© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

Auf jeden Topf paßt ein Deckel
Sexuelle Korrektheit: Feministisch ideologisierte Frauen bekommen, was sie wollten und verdienen
Ellen Kositza

Soll man? Darf man? Und was darf beziehungsweise sollte frau? Spätestens seit den späten 1960er Jahren erlebt jede Generation ihre heißen geschlechterphilosophischen Diskussionen. 1970 geriet der Auftritt der SPD-Abgeordneten Lenelotte von Bothmer zum Skandal. Sie hatte es – gegen das ausgesprochene Verdikt eines CSU-Mannes – gewagt, im Hosenanzug aufzutreten. Ein ihrerzeit ungehöriger, rebellischer Akt! Träte heute Angela Merkel, umgekehrt, im langen Rock ans Rednerpult – die Schlagzeilen des nächsten Tages wären ihr sicher.

Was wurde nicht schon alles an geschlechtlich markierten Stil- und Verhaltensfragen (wer trägt den Müll runter?) durchgekaut und, vor allem eherechtlich, in Gesetze gegossen! Mancher leidet darunter, daß die herkömmlichen Rollenbesetzungen Mann/Frau vakant und schwammig geworden sind. Zum Beispiel die junge Publizistin Nina Pauer, die im Januar in der Zeit zu einem fulminanten Augenrollen über die neue Generation der „Schmerzensmänner“ anhob. Fröstelnd, gehemmt, dauerreflektierend „und gerne auch einmal: schwach“, so stellt sich ihr der Mann von heute dar. Er ist lieb, sehr mit sich, seiner Körperpflege und seinen Gefühlen beschäftigt und entschuldigt sich für die Hemmungslosigkeit eines Kußversuchs. „Die Körper haben keine Chance gegen ihre Köpfe“, denkt die Enttäuschte. Und als der Kandidat erneut bei ihr klingelt, „regt sich nichts als der Wunsch, ihn tröstend in den Arm zu nehmen, anstatt sich flammend an seine starke Brust zu werfen“. Nina Pauers polemischer Artikel hat nicht nur viele hundert Kommentare provoziert, sondern auch etliche Antworten an prominenter Stelle.

Etwa aus der Feder von Julia Seeliger (Selbstdarstellung: „links, ökologisch und gerechtigkeitsverliebt; ihre Heimat ist das Internet“), die auf den Blog-Seiten der FAZ-online eine aufgeregte Antwort auf Pauers Männchen-Klage formuliert hat. Frl. Seeligers Rundumschlag beginnt mit einer gehörigen Wut auf die „Reproduktionsarbeit“, die immer noch an den Frauen hängenbliebe und nimmt sich konkret der aufgeworfenen Kußfrage an: „Ein Mann kann gar nicht zu lange nachdenken, ob er eine Frau ‘einfach küssen’ kann. Einfach zu küssen ohne vorher zu fragen ist reichlich uncool.“

Ihrer Kollegin Pauer wirft Frl. Seeliger ein reaktionäres Männerbild vor. „Das ganze Gerede ist wichtig.“ Sie spricht aus leidvoller Erfahrung: „Ich hatte auch mal einen Partner, mit dem ich versuchte, über die Beziehung zu sprechen – und der dann sagte, ich solle aufhören mit dem Pseudogequatsche.“ Auch die linke Bloggerin erhielt reichlich Lesermeinungen zu ihrer Stellungnahme, etwa die Frage, wie oft sie selbst das mit dem Drüberreden vor dem Küssen schon ausprobiert habe und wie die Reaktionen darauf gewesen seien. Klar, daß Frl. Seeliger ziemlich aggressiv reagierte. Hat jemand geglaubt, Aggression sei ein Privileg der Männer?

Die Forderung danach, die Reichweite und das Ob-überhaupt einer intimen körperlichen Annäherung vorab eindeutig abzuklären, ist ein alter feministischer Hut. Sie zählt seit über zwanzig Jahren zu den Geboten der sogenannten Sexual Correctness. Zum Ziel hatte diese an US-amerikanischen Universitäten ausformulierte Ideologie, feministische Vorgaben in öffentliches (via Sprachregelung) und privates Verhalten (etwa als Kußnorm) zu implementieren. Die Anhängerinnen solcher Sexualkorrektheit propagierten unter anderem einen Fragenkatalog, den auch Frl. Seeliger indirekt bewirbt, wenn sie schreibt, das entsprechende Verhalten innerhalb der Sado-Maso-Szene halte sie für mustergültig.

Bei einem eventuell auf sexuellen Kontakt hinauslaufenden date wäre demnach vor jedem Annäherungsschritt um eine dezidierte Zustimmung zu bitten. Vorgeschlagen werden glasklare Fragen von „Wäre es in Ordnung, wenn ich deine Hand hielte?“ bis „Dürfte ich dich körperlich penetrieren?“

Die Spaß-Punk-Kapelle „Die Ärzte“ hat solche Befindlichkeiten schon 1984 aus der Sicht des empfindsamen Mannes in einem Gassenhauer aufs Korn genommen: Du willst mich küssen, doch das geht mir zu schnell / Du solltest wissen, ich bin intellektuell. Der linke Liedermacher Konstantin Wecker sekundierte ein Jahrzehnt später mit seinem bissigen Lied Sexual Correctness: Darf ich mich zu ihnen hinbewegen? / Darf ich ihnen in die Augen sehen? / Darf ich meinen Arm um ihre Schultern legen, / ohne daß sie gleich vorn Kadi gehen?

Dürfte ich sie eventuell auch küssen? / Nötige ich Sie mit etwas Wein? / Ach, was muß man heute alles wissen müssen,/ um auch sexuell korrekt zu sein? (…)

2010 publizierte eine junge Riege männlicher Grünen-Politiker ein Manifest unter dem Titel „Nicht länger Macho sein müssen“, das der Grünen Julia Seeliger wohl gefallen haben dürfte. Es müsse „Schluß sein“ mit der „gesellschaftlichen Polarisierung“, die Männer auf Männlichkeit und Frauen auf Weiblichkeit reduziere! „Wir wollen nicht länger Machos sein müssen, wir wollen Menschen sein!“ Man forderte „role models, die stark genug sind, auch schwach sein zu dürfen“, man begehrte „mehr geschlechtersensible Männer in ‘klassischen’ Frauenberufen“. Wortführer Sven Lehmann hat dieser Tage nachgelegt, mit einem flugs von der Emma aufgegriffenen Pamphlet „Gemeinsam gegen das Patriarchat kämpfen“.

Was sich hier präsentiert, ist eine neue Prüderie unter dem Mantel der emanzipierten Aufklärung. Die aus archaischer Zeit überdauernden Gezeiten geschlechtlicher Anziehung, der phantastische Raum des Unausgesprochenen in der mann-weiblichen Annäherung, das uralte Spiel von Lockung, Verführung, Eroberung (oder dem „Korb“) – wie sähe es aus auf dem Reißbrett vertraglicher Regulierung? Glattgedacht, planiert, totgeredet!

Womöglich darf man der einen Kontrahentin dieser Geschlechterdebatte recht geben: Ja, viele Männer hören heute Mädchenmusik, sind im Besitz einer Batterie pflegender Kosmetika und agieren als Zauderer. So ist die Zeit, man paßt sich an! Gleichwohl mögen sowohl die Sehnsucht nach einem heroisch daherkommenden Eros als auch die Forderung nach einem sexuell korrekt agierenden Partner am Ende ihr Heil in der Redewendung finden: Der Herrgott hält für jeden Topf seinen Deckel bereit. Sprich: Zuletzt bekommt jede das Pendant, das sie verdient und sich heranzieht.

Foto: Prinzessin küßt Frosch: Vor jeder Annäherung um eine dezidierte Zustimmung bitten

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