© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

CD: Bononcini
Flackernde Leidenschaft
Sebastian Hennig

Schmerzen und Wonnen der Liebe durchziehen die Kantaten und Kammermusiken aus der Zeit der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert. Schon die erste Kantate „Tutta fiamme e tutta ardore“ auf der CD mit Liedern der Bononcini-Brüder Antonio Maria (1677–1726) und Giovanni Battista (1670–1747) läßt keinen Zweifel an der Beschaffenheit und Ausrichtung dieser Musik. Ulrike Hofbauers Sopran und die Blockflöten verweben sich in einen Wechselgesang über Leidenschaft, stolze Glut, Feuer und Flamme. Nach einem Rezitativ kommen in der zweiten Arie die Flöten zu einem Zusammenklang, der immer noch hell singend mit dem Gesang über dem Continuo läuft. Das zündelt und züngelt ganz entsprechend der flackernden Leidenschaft des Textes.

Die Bononcini-Brüder wurden in Bologna bei Giovanni Paolo Colonna ausgebildet, gemeinsam wirkten sie am Wiener Hof. Eine ruhmvollere Laufbahn als seinem Bruder Antonio Maria wurde Giovanni Battista Bononcini zuteil. Eine Arie aus seiner Oper „Il trionfo di Camilla“ in englischer Fassung „Yes, yes ’tis all I want“ zeugt von der Weltläufigkeit des Komponisten. Auf der Platte läßt eine Bearbeitung für Laute ein melodiöses Interregnum zwischen zwei Kantaten entstehen. Auch die Triosonate für zwei Diskantgamben und Basso continuo ist eine historische Bearbeitung eines Vokalwerkes, der Kaiser Leopold I. gewidmeten „Duetti da camera“ von 1691.

Die Schäfer-Romanzen eines Marivaux erscheinen vor dem inneren Auge des Hörers, wenn von Phyllis und Chloris die Rede ist und davon, wie sie sich entziehen, locken, Gedanken und Träume beherrschen. „Wenn du, Phyllis, gehst, wirst du mich auf der Schwelle zum Tod sehen, denn diese dir treue Seele kann ohne dich, grausame Schöne, ohne Schmachten nicht leben.“

Die Menschen des Rokoko waren Erotiker von Format. Ihre Aufrichtigkeit war die Höflichkeit. Selbst ihre reelle Unzucht ist noch näher den Troubadours als heutigen Sprüngen ins Abseits. Was es bedeutete, nicht mehr schmachtend auf der Schwelle zwischen Wollust und Tod zu verharren, sondern mit einem Terzerol diese Spannung explosiv zu lösen, zeigt ein halbes Jahrhundert später Goethe in seinem „Werther“. Ein kleiner Schritt in der Kunstentwicklung, der einen großen Abstieg in der Zivilisation markiert, von der All-Liebe zum Selbstmitleid, jener als Selbstbestimmung verkleideten Selbstentwirklichung. Möglicherweise ist dieser Roman für das abendländische Schicksal bezeichnender als die Erklärung der Menschenrechte.

Der davor liegenden graziösen Anakreontik des Ancien régime hat sich hier ein Ensemble mit dem passenden Namen La Ninfea angenommen. Daß „ninfea“ nicht die italienische Bezeichnung der Seerose allein ist, deren aufbrechende rosa Knospe auf blauem Wasserspiegel die Titelseite des Beiheftes ziert, sondern zugleich die belebte personifizierte Natur meint, mit ihren Nymphen, Dryaden und Feen, der Personage der Opern und Märchen des Barock, legt die zurückhaltend bezaubernde Musik nahe. Die berückende Stimme von Ulrike Hofbauer, der das kleine Ensemble nie zu nahe tritt, überredet nach und nach immer dringlicher zur traurigen Verliebtheit in die alte Welt.

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