© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

Das wird Krieg in den Nahen Osten bringen
Peter Scholl-Latour analysiert nüchtern und kenntnisreich die „Arabellion“ zwischen Maghreb und Persischem Golf
Franz Uhle-Wettler

Während der Französischen Revolution versuchte Robespierre, Freiheit mit terreur und Brüderlichkeit mit der Guillotine zu verwirklichen. Deshalb wäre, als 2009 mit dem Ruf nach Freiheit und Demokratie die „Arabellion“ begann, die Frage notwendig gewesen, mit welchen Mitteln in den einzelnen Staaten die Rebellen welche Ziele verwirklichen und wen sie an die Regierung bringen wollten sowie ob zusätzliche Kräfte wie beispielsweise Arbeitslosigkeit den Aufstand bewirkten. Doch in den meisten Medien wurden diese Fragen kaum gestellt. Die Intellektuellen (und die heutigen Politiker) sind, ähnlich wie zur Zeit Robespierres, in Freiheit und Demokratie verliebt – und Liebe macht gegen Tatsachen blind. Der Verfasser des anzuzeigenden Buches ist aber keiner jener Intellektuellen, die sich wenig um Tatsachen kümmern und nur von der reinen Vernunft zu leben vorgeben. Mithin ist sein Buch weithin eine Offenbarung.

Bereits die Bezeichnung der libyschen Rebellen als „Freiheitskämpfer“ in Anführungszeichen gilt bei uns meist als Verstoß gegen die guten Sitten. Die Kritik Scholl-Latours gipfelt in der Behauptung, angesichts der „sterilen“ Debatten des Bundestages und des US-Kongresses erweise sich unsere Form der Demokratie als „recht untauglich“ für die Überwindung der gewaltigen Probleme der moslemischen und arabischen Staaten; das „Abendland“ sei „in keiner Weise“ gewappnet, den arabischen Ungewißheiten „mit Sachkenntnis und der notwendigen Sympathie zu begegnen“.

Diese Behauptungen belegt der Verfasser mit vielen Erlebnissen und Erfahrungen, die er seit mehr als sechzig Jahren auf zahllosen Reisen in jenen Ländern sammeln konnte, und macht so die Lektüre des Buches spannend. Dabei übersieht er nicht die fast anderthalb Jahrtausende alte Religion und die Kultur dieser Länder, hält aber weit im Vordergrund die Entwicklung der jüngsten Vergangenheit. Wichtig ist der Hinweis, daß mancher der unter dem Jubel westlicher Länder gestürzten Diktatoren eine von religiösem Fanatismus freie Politik verfolgte und dezidiert islamistische Gruppierungen unterdrückt hat. Gerade diese Gruppierungen drohen aber halbwegs freie Wahlen zu gewinnen. Mehrere Staaten, zum Beispiel Libyen, der Jemen und Syrien, sind durch Gegensätze der Stämme sowie religiöse Differenzen zutiefst gespalten. Wenn die zusammenhaltende harte Hand fehlt, droht ihnen das gleiche Schicksal wie der Sowjetunion, der Tschechoslowakei und Jugoslawien. Mithin urteilt der Verfasser, die Begeisterung des Westens über den „Arabischen Frühling“ werde bald der Skepsis weichen.

Die Frage, ob Sicht und Moral der westlichen Staaten einäugig sei, beantwortet Scholl-Latour schon im Vorwort des Buches mit dem Hinweis auf die „extrem reaktionäre und unduldsame“ Dynastie Saudi-Arabiens, wo die „fanatischen“ Wahabiten die höchste religiöse Autorität sind und aus deren Reihen die Terrorgruppen der al-Qaida hervorgegangen sind. Doch sogar als saudische Truppen völkerrechtswidrig in Bahrain einmarschierten, um dort die Arabellion zu unterdrücken, „hüllten sich die westlichen Prediger von Menschenrechten und freier Volksentscheidung“ in Schweigen. Für die heutige deutsche Politik ist wichtig, daß Scholl-Latour weiteren Rat und Tat des Westens für arabische Staaten töricht und verhängsnisvoll nennt, denn Araber und Moslems wollten und müßten endlich frei sein von Einflüssen anderer Kulturen und Staaten.

In der kurzen Zeit seit dem Erscheinen des Buches sind schon bemerkenswert viele der Voraussagen der Verwirklichung nahe gerückt oder sogar wahr geworden. Bereits im Dezember 2011 meldeten englische Zeitungen, der neue Präsident des Irak, Nouro al-Maliki, urteile, der Fall des syrischen Diktators Bashar el-Assad „wird Krieg in den Mittleren Osten bringen;“ seine Begründung wiederholt exakt, worauf sich die skeptische Voraussage Scholl-Latours gründet. In den gleichen Tagen veröffentlichten andere britische Zeitungen Artikel, der Irak-Krieg sei falsch gewesen und die Frankfurter Allgemeine spricht vom drohenden „arabischen Winter“.

Wo so viel Licht ist, ist auch etwas Schatten. Das zeigt sogar das Inhaltsverzeichnis. Die Kapitel nennen die meisten Staaten jener Region. Aber mit Israel, Jordanien und dem Libanon fehlen auch die Hunderttausenden vertriebenen sowie die in Israel noch ausharrenden Araber. Damit fehlt auch eine sorgfältige Darstellung einer der Hauptursachen der Entfremdung zwischen arabischen Staaten und Moslems. Wahrscheinlich wird auch nicht jeder Leser allen Urteilen Scholl-Latours zustimmen; der Rezensent hat beispielsweise unter anderem Schwierigkeiten mit dem Urteil, die Weigerung Deutschlands, sich am Krieg gegen Gaddafis Libyen zu beteiligen, sei beschämend, sinnlos und grotesk gewesen. Insgesamt aber bleibt, daß dieses Buch für denjenigen fast unverzichtbar ist, der eine ideologiefreie, an den Tatsachen orientierte und spannend geschriebene Darstellung der Arabellion sucht.

 

Dr. Franz Uhle-Wettler, Generalleutnant a. D., ist Militärhistoriker und war Leiter des Nato Defence College in Rom. Peter Scholl-Latour: Arabiens Stunde der Wahrheit – Aufruhr an der Schwelle Europas. Ullstein Verlag, Berlin 2011, gebunden, 384 Seiten, Abbildungen, 24,99 Euro

Foto: Libysche Demonstranten rebellieren gegen das Gaddafi-Regime, Juni 2011: Die Begeisterung des Westens werde bald der Skepsis weichen

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