© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

Der Fluch der Ressourcen
Die neuen Rohstoffstrategien der Industriestaaten haben wenig beachtete ökologische Folgewirkungen
Marc Geschke

Ökologisch fundiert, erlebt die nach 1989 verblichene Kritik am „westlichen Imperialismus und Neo-Kolonialismus“ derzeit eine ungeahnte Hochkonjunktur. Hauptziel multimedial vorgetragener, nicht mehr an verbrauchter marxistischer Semantik klebender Attacken ist die Rohstoffpolitik der „reichen“ Industrie- gegenüber den „armen“ Entwicklungsländern.

Das Konfliktpotential, das hier entstanden ist und das das 21. Jahrhundert prägen dürfte, baute sich im Zuge der Globalisierung erst seit der Jahrtausendwende auf. Wie vor dem Ölpreisschock 1973 die Knappheit der Ressource Erdöl in der Regel nur von Ökologen thematisiert wurde, so war bis 2000 selten die Rede davon, daß auch andere Naturrohstoffe bald zu weltwirtschaftlich raren Gütern werden könnten (JF 31-32/11).

Spätestens aber nachdem Japan 2009 einen Plan vorstellte, der dem Inselreich die stabile Versorgung mit seltenen Metallen sichern sollte, die EU-Kommission im Juni 2010 14 kritische Rohstoffe (Antimon, Beryllium, Kobalt, Flußspat, Gallium, Germanium, Graphit, Indium, Magnesium, Niob, Metalle der Platingruppe, seltene Erden, Tantal und Wolfram) auflistete, die sie zum Überleben Europas für existentiell deklarierte, und schließlich die Bundesregierung Ende 2010 sich auf eine „neue Rohstoffstrategie“ festlegte, stand die Problematik ganz oben auf der geopolitischen Agenda.

Als deutscher Nebeneffekt offenbarte die schwarz-gelbe Neujustierung der Rohstoffsicherung zugleich die immense Praxisrelevanz naturwissenschaftlicher Forschung. Denn maximal anwendungsbezogen, waren es die politikberatenden Fachleute der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR, JF 2/11), die der Merkel-Regierung jeweils drei Zielländer in vier Kontinenten identifizierten, die für möglichst enge Rohstoffpartnerschaften in Betracht kämen: die Demokratische Republik Kongo (Ex-Zaïre), Südafrika und Simbabwe (Ex-Südrhodesien) im Schwarzen Erdteil, Rußland, Kasachstan und die Ukraine im GUS-Raum, China, Indien und Indonesien sowie in Südamerika Brasilien, Chile und Peru.

Der jüngste, mitten in der eskalierenden Euro-Krise unternommene Ausflug der Kanzlerin in die Mongolei zeigt jedoch, daß die BGR-Experten überaus flexibel bei der Auswahl potentieller Rohstoffpartner sind. Wie Cord Jakobeit, Professor für Internationale Politik in Hamburg, darlegt, ist das Führungspersonal in Berlin, Brüssel, Tokio und inzwischen auch in Washington durch das rasante Wirtschaftswachstum der Schwellenländer China, Indien und Brasilien unter Handlungsdruck gesetzt worden. Der Rohstoffhunger dieser Staaten ließ die Weltmarktpreise für Metalle explodieren, es drohen in vielen Branchen bereits Engpässe.

Doch dies Szenario ökonomischer Zwangslagen, denen sich die alten Industriestaaten ausgesetzt sehen, ist nur ein Aspekt unter vielen bei der Rohstoffpolitik, denen sich die Globalisierungskritiker der Zeitschrift Welt-Sichten (Heft 12/11 und 1/12) widmen. Der wichtigste aus ihrer Sicht sind die Umweltzerstörungen als Folge des forcierten Wettlaufs um die Ausbeutung von Kupfer- und Goldminen, des skrupellosen Abschürfens von „Blutmineralien“ wie Wolfram, Kassiterit (Zinnerz) oder Koltan (Niob/Tantalerz) im Kongo, sorgloser Ausplünderung von Wäldern und Agrarland oder des mörderischen „wilden Recyclings“ von Elektroschrott auf afrikanischen und indischen Mülldeponien.

Hochgiftiges Quecksilber und Zyanid, die zahllose, illegal tätige Kleinschürfer Perus zur Goldgewinnung einsetzen, verseuchen Böden und Trinkwasser und vernichten die nachhaltigeren Entwicklungsperspektiven der Agrarwirtschaft. Ángel Ibarra, Präsident Umweltschutzverbandes UNES in El Salvador, bringt die Misere auf die Kurzformel: „Eine grüne Minenwirtschaft gibt es nicht.“ Gäbe man allein den 26 Anträgen kanadischer und US-Konzerne auf Ausbeutung von Gold- und Silberlagern in seinem Land statt, würde das dabei eingesetzte Zyanid langfristig die Wasserversorgung, die Lebensmittelsicherheit und die Gesundheit der Bevölkerung gefährden. Ein „umweltverträglicher“ Abbau sei nicht denkbar.

Erst recht, so die in Lima arbeitende Journalistin Hildegard Willer, in den südlichen Anden und im Amazonasgebiet, wo ganze Wälder abgeholzt würden, um Gold aus dem Flußsand zu filtern. Die Umweltschäden betrügen dort ein Vielfaches der Profite, die die peruanische Bergbauvereinigung auf eine Millirade Dollar jährlich schätzt.

Diesen „Fluch der Ressourcen“ bekommen die weitaus meisten der ihre Bodenschätze exportierenden Länder in der südlichen Hemisphäre zu spüren. Denn der Besitz ergiebiger Rohstoffquellen, so formuliert der Ökonom Edward B. Barbier (University of Wyoming) die paradoxe Konstellation, garantiert nur in Ausnahmefällen einen erfolgreichen Aufstieg aus der Armutszone und ein Entkommen aus der ökologischen Abwärtsspirale.

Barbier sowie Irene Knoke und Friedel Hütz-Adams vom Institut Südwind erklären dies mit der Schwäche nationaler Regierungen gegenüber den international operierenden Rohstoffkonzernen. Von deren Gewinnen bleibt im Staatssäckel der Entwicklungsländer wenig hängen. Infolge geschickter Finanzpolitik der Konzerne gingen ihnen dreimal so viele Steuereinnahmen verloren, wie sie an Entwicklungshilfe erhalten. Das Geld fehlt, um außerhalb der Export-Enklaven in den Aufbau einer wirtschaftlichen Infrastruktur zu investieren und nicht länger von den isolierten Profitquellen des Ressourcenraubbaus leben zu müssen. Gelungen ist dies bisher nur Malaysia, Thailand und Botswana.

Aber auch in aufstrebenden Ländern (vor allem auf der zwischen Indonesien, Malaysia und Brunei geteilten Insel Borneo) werden weiter großflächig Regenwälder zerstört, um Plantagen für die Monokultur der Palmölerzeugung zu gewinnen. Da selbst das positive Beispiel Malaysia die „Wende zu nachhaltiger Primärproduktion“ noch nicht geschafft habe, ist es für Barbier nicht verwunderlich, wenn heute 1,3 Milliarden Menschen in „ökologisch gefährdeten Gebieten“ der südlichen Erdhalbkugel leben. Da dort bis 2025 fast 3,2 Milliarden Menschen versorgt werden müssen, werde der Druck auf die schwindenden Naturreserven zunehmen und der Teufelskreis aus Rohstoffabhängigkeit, Bevölkerungswachstum, Umweltzerstörung und ländlicher Armut kaum zu durchbrechen sein.

EU-Rohstoffbericht „Critical raw materials for the EU – Report of the Ad-hoc Working Group on defining critical raw materials“:

http://ec.europa.eu

Foto: Kinder beim Goldschürfen in Afrika: Teufelskreis aus Rohstoffabhängigkeit, Bevölkerungswachstum, Umweltzerstörung und ländlicher Armut

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