© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/12 10. Februar 2012

Otmar Issing gehört zu den Euro-Befürwortern – und doch hat er vor der Krise gewarnt
Hüter der Wahrheit
Markus Brandstetter

Otmar Issing ist in diesen Tagen ein vielbeschäftigter Mann. Presse, Radio und Fernsehen wollen von ihm wissen, ob der Euro stabil ist oder die D-Mark wiederkommt, ob Griechenland die Euro-Zone verläßt, ob die Zinsen steigen oder fallen; ob es eine Inflation, Deflation oder Stagflation geben wird.

Wem man zutraut, die Antwort auf solche Fragen zu geben, der muß mehr als andere von Wirtschaft und Politik verstehen, und das tut der ehemalige Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank. Issing, Jahrgang 1936, gehört zwar zu den Architekten der Euro-Einführung, aber er war einer derjenigen, die reinen Wein einschenkten, weil er deutlich sagte, daß eine Währungsunion ohne politische Union dauerhaft nicht funktionieren könne. Und so kann Issing, obwohl pro Euro, doch als Kritiker der Euro-Rettungspolitik gesehen werden, die sich erneut als Dame ohne Unterleib erweist.

Issings Sinn für Realität rührt daher, daß er 25 Jahre grundsolider Professor für Volkswirtschaftslehre in Würzburg und Erlangen war. In diesen Jahren hat er die maßgebliche deutsche Einführung in die Geldtheorie verfaßt. Ebenfalls aus dieser Zeit stammt sein makroökonomischer Werkzeugkasten, der es ihm erlaubt, auch die kompliziertesten Wirtschaftsfragen souverän zu beantworten. Und der 1990 seine Berufung ins Bundesbank-Direktorium, später seinen Wechsel zur EZB, deren volkswirtschaftliche Belange er bis 2006 leitete, zweifellos beförderte.

Bereits vor der Unterzeichnung des Maastricht-Vertrags 1992 betonte Issing, daß die Mitgliedsländer ihre Finanzen nicht rechtzeitig konsolidiert hätten und etwa Italien und Frankreich auf die Währungsunion überhaupt nicht vorbereitet seien. Diese kritische Haltung hat der Würzburger unter dem Druck der Politik später aufgeweicht, als er in den damals (2005) niedrigen Zinsen in Irland und Spanien und den unterschiedlichen Wachstumsraten der EU-Länder kein Problem erkannte, obwohl das einen der Hauptgründe für die heutige Euro-Krise darstellt.

Aber in Issing ist der Wissenschaftler, der die Wahrheit erkennen will, stets stärker gewesen als der Beamte und Funktionär. Er vermag Irrtümer einzusehen und umzudenken. Als die Euro-Krise sich 2011 verschärfte, erteilte er einer Transferunion, in der EU und EZB auf Jahrzehnte hinaus die Schulden von Griechenland oder Portugal finanzierten, eine klare Absage. Der Franke, der seinen Interviewpartnern mit Witz und Kompetenz gerne in die Parade fährt, kritisierte: „Nun sollen die, die sich an die Regeln halten, für jene aufkommen, die dagegen verstoßen.“

Mitunter wurde versucht, Issing in die „europafeindliche“ Ecke zu stellen, weil er Vernunft und Solidität über politische Begehrlichkeiten stellt. In solchen Zeiten hat der studierte Altphilologe sich durch fiktive Dialoge mit Sokrates getröstet und Kraft aus der Lektüre philosophischer und ökonomischer Klassiker geschöpft.

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