© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/12 10. Februar 2012

Tiefes Mißtrauen
Geschichtspolitik: Vor den Gedenkveranstaltungen in Dresden sucht Ministerpräsident Stanislaw Tillich die Nähe zu Linksextremisten
Paul Leonhard

Ein tiefes Mißtrauen herrscht zwischen Sachsens Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) und vielen Dresdnern. Diese sehen seit Jahren mit Befremden, wie das traditionelle Gedenken an die Zerstörung ihrer Stadt durch angloamerikanische Bomber am 13. Februar 1945 dafür benutzt wird, um den Straßenkampf zu üben. Daß in dieser Situation ein sächsischer Ministerpräsident zur deutschlandweiten Unterstützung gegen geplante Trauerkundgebungen rechtsextremistischer Kameradschaften aufgerufen hat, ist einmalig. Die Bürgerschaft sei nicht entschlossen genug gewesen, dem braunen Spuk von Anfang an ein Ende zu setzen, kritisierte Tillich. Deswegen „stehen wir in der Pflicht, das zu tun“.

Der Aufruf des Christdemokraten hat Gehör gefunden. Auf einer ganzseitigen Anzeigenseite im Dresdner Stadtmagazin Sax ist zu lesen, wer sich „Naziaufmarsch, Geschichtsrevisionismus und Repression entgegenstellen“ will: Neben den Bündnisgrünen und der Linkspartei sowie diversen Gewerkschaften und deren Jugendorganisationen sind unter anderem die Marxistisch-Leninistische Partei, die Interventionistische Linke, Attac, die Antifaschistische Aktion, die Deutsche Kommunistische Partei, der Lesben- und Schwulenverband sowie der Bund der Antifaschisten mit dabei.

Ein Bündnis, auf das sich weder Tillichs eigene Landtagsfraktion noch die der FDP einlassen wollte. Sehr zum Leidwesen von Innenminister Markus Ulbig (CDU) verweigerten beide Fraktionen der Regierung die Gefolgschaft. Da Grüne und Linkspartei weiterhin auf eine Blockade der Demonstrationen setzen, sprachen sich die bürgerlichen Abgeordneten gegen einen gemeinsamen Protestaufruf aus. Zur Seite sprangen dem Katholiken Tillich dafür die sächsischen Bischöfe. Sie laden in einem Aufruf alle Christen ein, sich an der Menschenkette durch Dresden am 13. Februar und an einer Kundgebung auf dem Schloßplatz am 18. Februar zu beteiligen: Es sei wichtig, daß „viele Menschen über die Grenzen der Stadt hinaus ein deutlich sichtbares Zeichen gegen rechten Terror und menschenfeindliche Einstellungen setzen“.

Dicker schwarzer Rauch war im vergangenen Jahr ein sichtbares Zeichen für die Proteste. Die Straßenschlachten mit der Polizei und die Aufschriften der von Linksextremisten getragenen Plakate, nach denen deutsche Täter keine Opfer sind, haben sich die Dresdner gemerkt. Das ist nicht das, was sie sich unter einem „Signal der Versöhnung und des Friedens“ vorstellen. Immerhin will die Kirche auch Gottesdienste, Friedensgebete und Mahnwachen organisieren, bei denen der Opfer der Bombardierung Dresdens gedacht werden soll.

Daß es in diesem Jahr wieder zu rechtswidrigen Blockaden angemeldeter Demonstrationszüge kommen wird, scheint mittlerweile gewiß. Zumindest wenn tatsächlich Rechtsextremisten demonstrieren. Sicher ist das nicht. Ende vergangener Woche teilte ein Sprecher des Rathauses mit, daß eine Anmeldung „aus dem rechten Spektrum“ zu einer Demonstration am 18. Februar zurückgezogen und lediglich für den 13. Februar eine Kundgebung von einem „Aktionsbündnis gegen das Vergessen“ angemeldet worden sei. Zuvor hatte es bereits Gerüchte gegeben, die NPD-nahe „Junge Landsmannschaft Ostdeutschland“ halte die Anmeldung einer von ihr geplanten Demonstration lediglich aufrecht, um Proteste ins Leere laufen zu lassen.

Die Linksextremisten mobilisieren trotzdem. Das Bündnis „Dresden Nazifrei!“ hat Mitte Januar mit einer bundesweiten Plakataktion begonnen, seine Abhänger zu aktivieren. Unterstützung kommt unter anderem von den Jusos. „Gemeinsam mit unterschiedlichen Organisationen arbeiten wir zusammen, um die Nazi-Demo zu blockieren“, teilte der Juso-Bundesvorsitzende Sascha Vogt mit. Und um logistische Probleme wie die Anreise kümmern sich die Gewerkschaften, die unter anderem Busse organisieren.

Auch ohne Rechtsextremisten dürfte Dresden am 18. Februar ein Treffpunkt für Linksextremisten werden. Schließlich gelte es, den „entfesselten Obrigkeitsstaat“ in die Schranken zu weisen, „der seine moralisch lädierte Autorität mit aller Gewalt wiederherstellen will und dazu mündige Bürger mit absurden Prozessen überzieht“, wie Martin Glück vom Bündnis „Nazifrei – Dresden stellt sich quer“ auf dem linksextremistischen Internetportal Indymedia mitteilte. SPD-Mitglieder sammeln derweil schon mal Spenden, um damit Prozeßkosten „von demokratischen, friedlichen Blockierern“ zu finanzieren, wie der frühere SPD-Oberbürgermeisterkandidat Albrecht Leonhardt verkündete.

Dresdens Erster Bürgermeister Dirk Hilbert hat sich dagegen nachdrücklich für die Durchsetzung demokratischer Rechte ausgesprochen. Er halte Blockaden für einen Eingriff in das Demonstrationsrecht anderer und damit für nicht geeignet. Und der FDP-Politiker weiß sich einer Meinung mit der Mehrheit der Dresdner, wenn er davon träumt: „Vielleicht erreichen wir eines Tages, daß keine Nazis mehr durch unsere Stadt marschieren, auf linksautonome Gewaltbereite treffen und in der Stadt Exzesse veranstalten.“

Foto: Blockadeaktion von Linksextremisten im vergangenen Jahr in Dresden: Dicker schwarzer Rauch als sichtbares Zeichen

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