© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/12 10. Februar 2012

Allein im Dienst für Deutschland
Katastrophenschutz: Wenn die Natur zuschlägt, läutet die Stunde der freiwilligen Helfer. Doch der gesellschaftliche Wandel fordert seinen Tribut
Michael Martin

Die große „Hamburger Sturmflut“, die vor fünfzig Jahren im Februar 1962 ganz Norddeutschland heimsuchte (siehe Seite 19), zählt mit 347 Toten bis heute zu den schwersten Naturkatastrophen hierzulande. In der Geschichte Deutschlands wurde der Schutz der Bevölkerung jahrelang vorrangig unter militärischen Gesichtspunkten gesehen. Auch die Bundesrepublik knüpfte nach dem Zweiten Weltkrieg angesichts der Bedrohungslage des Kalten Krieges an diese Tradition an. Einen bundeseinheitlichen Katastrophenschutz gibt es allerdings bis heute nicht. Nur der Schutz der Zivilbevölkerung im Verteidigungsfall liegt gemäß Artikel 73 des Grundgesetzes in der Kompetenz des Bundes. Hingegen ist der Katastrophenschutz im Frieden den Ländern zugeordnet. 1950 wurde das Technische Hilfswerk (THW), 1956 das Bundesamt für zivilen Bevölkerungsschutz gegründet. Wehrpflichtige konnten seitdem eine mehrjährige Verpflichtung in einer im Katastrophenschutz tätigen Organisation eingehen und wurden so vom Dienst an der Waffe freigestellt (Ersatzdienst).

Nach der deutschen Einheit 1990 wurden die Zuständigkeiten modifiziert. Der Katastrophenschutz blieb Ländersache, koordiniert werden die Maßnahmen dennoch von einer Bundesbehörde, dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. „Aus personellen, technischen und finanziellen Gründen wäre es nicht sinnvoll, wenn Bund und Länder für die Bekämpfung von Schadenssituationen, die zwar unterschiedliche Ursachen, aber ähnliche Auswirkungen haben, voneinander unabhängige Hilfeleistungssysteme unterhalten würden. Es besteht daher bereits jetzt eine enge Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Art, daß der friedensmäßige Katastrophenschutz auch im Verteidigungsfall Aufgaben zum Schutz der Bevölkerung wahrnimmt. Umgekehrt steht das durch den Bund finanzierte Ergänzungspotential für den Zivilschutz den Ländern auch für die Gefahrenabwehr im Frieden zur Verfügung“, heißt es in der Selbstdarstellung.

Innerhalb der Behörde wurde bereits vor Jahren das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum eingerichtet. Hauptaufgabe ist die Optimierung des länder-, kommunen- und organisationsübergreifenden Informations- und Ressourcenmanagements bei großflächigen Gefahren- und Schadenslagen. In der Bundesrepublik sind zahlreiche öffentliche Einrichtungen mit der Hilfe für die Bevölkerung bei Katastrophen betraut. Dazu zählen die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, die Feuerwehren, das Deutsche Notfallvorsorge-Informationssystem, die Ordnungsbehörden sowie die Kreisverbindungskommandos der Bundeswehr (KVK), die in jedem Landratsamt angesiedelt sind und mit Reservisten besetzt sind. Hinzu kommen je nach regionaler Ausprägung eine Vielzahl von privaten und kommunalen Organisationen. Das Thema Katastrophenschutz ist bisher in den bundesdeutschen Medien nicht sehr ausgeprägt behandelt worden. Nach den Terroranschlägen in Amerika 2001 flammte die Debatte ebenso kurz auf wie vor Groß-ereignissen wie der Fußballweltmeisterschaft. Nach dem Elbehochwasser 2002 wurden die Vorsorgemaßnahmen im Katastrophenschutz einer Prüfung unterzogen. Fehlende Kommunikationsmittel, uneinheitliche Führungsstrukturen und zu geringe Kapazitäten in der medizinischen Notfallversorgung wurden moniert und als Schwachstellen aufgeführt.

Der dritte Gefahrenbericht der Schutzkommission beim Bundesminister des Innern von 2006 benannte ebenfalls massive Lücken in der Katastrophenvorsorge. Die fünf wichtigsten Lücken lägen demnach bei der Mobilisierung der Selbsthilfepotentiale in der Bevölkerung, beim Schutz kritischer Infrastrukturen, der Alarmierung und fortdauernden Unterrichtung der Bevölkerung, bei medizinischer Versorgung und Nachsorge, in der allgemeinen institutionellen Organisation der Notfallversorgung sowie der Versorgung mit Lebensmitteln und Trinkwasser. Als Fazit heißt es in dem Bericht: „Es ist durchaus realistisch anzunehmen, daß deutsche Zivilschutzeinrichtungen für die Bekämpfung großer Schadensereignisse nicht ausreichend gewappnet sind und sowohl die Planungen wie die Arbeitsabläufe der Behörden, die für den Katastrophenschutz zuständig sein können und die Ausstattung von Polizei, Feuerwehr etc. immer noch eklatante Mängel aufweisen.“

In den vergangenen Jahren haben daher verschiedene Modifizierungs-Maßnahmen stattgefunden. Dennoch klagen regionale Einheiten nach wie vor, daß für den Katastrophenschutz zu wenig finanzielle Mittel zur Verfügung stehen würden. So finanziert der Bund momentan nur rund zwei Drittel der Länderausgaben. Das THW verfügt derzeit über rund 40.000 aktive Einsatzkräfte, sein Jahresbudget beträgt rund 177 Millionen Euro. Die Freiwilligen Feuerwehren haben mehr als eine Million Mitglieder. Ein Ansatz zur besseren Katastrophenvorsorge könnte ein eigens eingerichteter Studiengang sein – Katastrophenmanagement – wie ihn die Universität in Bonn anbietet. Durch die neuen Stellen, die Behörden und Institutionen seit vielen Jahren für Katastrophenschutz-Beauftragte schaffen, hat sich auch die Ausbildungslandschaft verändert. Es gibt heute viele Möglichkeiten, in Deutschland ein Bachelor- oder Master-Studium im Rettungsingenieurwesen oder für Gefahrenabwehr zu beginnen. Die Bergische Universität Wuppertal zum Beispiel bietet einen Studiengang für „Sicherheitstechnik“ an, die Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften einen für „Gefahrenabwehr“. Auch bei der Prävention ist in den vergangenen Jahren erheblich gearbeitet worden. Dabei ist vor allem die Übungsserie „Lükex“ (Länderübergreifende Krisenmanagement-Übung/Exercise) bekannt geworden. Sie ist Teil einer Serie nationaler Krisenmanagement-Übungen, die die Wirksamkeit der „Neuen Strategie des Bundes und der Länder zum Schutz der Bevölkerung“ (beschlossen im Jahr 2002) erproben sollen.

Die erste dieser Übungen fand im Jahr 2004 statt und hatte großflächige Stromausfälle sowie Terroranschläge auf See zum Thema. Im Jahr darauf wurden im Hinblick auf die kommende Fußballweltmeisterschaft 2006 mögliche Szenarien im Umfeld von Großveranstaltungen geprobt. Die Übung im Jahr 2007 hatte den Schwerpunkt Pandemie. Die bisher letzte Übung mit dem Themenkreis bundesweite Terrorangriffe mit chemischen, biologischen und radioaktiven Substanzen fand Anfang 2010 statt. Bisher ungeklärt sind die Auswirkungen, die die Abschaffung der Wehrpflicht sowie die fortgesetzten Standortschließungen („Rückzug aus der Fläche“) auf die Einsatzfähigkeit der Organisationen hat. Bei größeren Katastrophen wie Hochwasser waren auch Armeeangehörige im Einsatz. Gleichzeitig haben viele Ersatzdienstleistende ihren Dienst bei THW-Einheiten oder Rettungsdiensten getan. Als Ausgleich wurde der Bundesfreiwilligendienst ins Leben gerufen. Für den steht der Härtetest in Form eines Ernstfalls noch aus.

 

Katastrophenschutz

Von Naturgefahren sind wir hierzulande, wo es keine aktiven Vulkane, keine starken Erdbeben und kaum Wirbelstürme gibt, nicht übermäßig bedroht. So scheint es. Tatsächlich führen aber die außerordentlich hohe Besiedelungsdichte sowie die großen volkswirtschaftlichen Wertkonzentrationen dazu, daß ein größeres Naturereignis schnell zu einer echten Katastophe wird. In Deutschland geht die häufigste Gefahr von Stürmen, Hochwasser und Hagel aus. Den größten statistischen Anteil an volkswirtschaftlichen Schäden haben Winterstürme (53 Prozent), gefolgt von Überschwemmungen und Hagelniederschlägen (je 15 Prozent).

Im Katastrophenfall sind in der Regel als erstes die Feuerwehren, das Technische Hilfswerk (THW) und Einheiten der Rettungsdienste (Rotes Kreuz, Johanniter, Malteser) im Einsatz. Allerdings haben sie Nachwuchssorgen. Schuld daran sind vor allem der demographische Wandel, ein geändertes Freizeitverhalten sowie die wirtschaftlich begründete Abwanderung junger Leute aus ländlichen Gebieten, so Silvia Darmstädter, Sprecherin des Deutschen Feuerwehrverbandes, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Die Aussetzung der Wehrpflicht sei jedoch „kaum spürbar“, da die bisher rund 40.000 Ersatzdienstleistenden sich ohnehin in den Wehren engagiert hätten. Anders sieht man das im Roten Kreuz, wo allein in Bayern über 500 Ersatzdienstleistende im vergangenen Jahr entfielen. Auch das THW ist von einem beachtlichen Mitgliederrückgang betroffen. Kamen in der Vergangenheit etwa 5.000 neue Freiwillige pro Jahr, so sind es jetzt nur rund 2.500, teilte Pressesprecher Nicolas Hefner der JF mit. Zuletzt waren noch 1.600 Ersatzdienstleistende im THW. Derzeit sind 30 Teilnehmer des neuen Bundesfreiwilligendienstes eingesetzt – in der Geschäftsstelle des Verbandes.

www.dfv.org

www.thw.de

Foto: Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks im Schneetreiben: Expertenbericht des Bundesinnenministeriums weist Lücken in der Katastrophenvorsorge der Bundesrepublik nach

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