© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/12 10. Februar 2012

Pankraz,
A. de Botton und die Kirche für Atheisten

So etwas kann nur in England passieren. Dort gibt es jetzt ein Buch des Philosophen und bekannten Salon-Atheisten Alain de Botton, „Religion for Atheists“ (Verlag Hamish Hamilton, Januar 2012, 320 Seiten, bei Amazon für 20,95 Euro zu beziehen), in dem er sich darüber aufregt, daß die zahllosen Atheisten, die die Insel bevölkern, keine Tempel oder Kirchen bauen. Das könne nicht gutgehen. Denn auch der Atheismus sei ein Glaube, eine Religion, und Religionen bräuchten nun einmal Tempel, Kirchen, Synagogen oder Moscheen, um dort ihren (Un-)Gottesdienst zu verrichten. Ohne Atheistentempel kein Atheismus.

John Gray vom Londoner Guardian hat die Diskussion aufgenommen und stimmt de Botton zu. Glaube, sagt er, könne nicht einfach durch (solides oder nur eingebildetes) Wissen ersetzt werden, er sei ein menschliches Grundbedürfnis und münde notwendig in Religion ein, also in ritualisierte Formen der Anbetung übermenschlicher Kräfte an extra dafür markierten Orten. Schon der Gründer des Positivismus und der strikt naturwissenschaftlich orientierten Soziologie im 19. Jahrhundert, Auguste Comte (1798–1857) habe das erkannt und wortmächtig zur Errichtung von „Tempeln der Humanität“ aufgerufen.

Gegen die Überzeugung von de Botton und Gray scheint nun freilich die bekannte Alltagsfigur der Neuzeit zu sprechen, jener in Massen vorkommende „aufgeklärte“ Spießer, der einem bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit selbstgefällig versichert, daß er an nichts glaube und damit bestens zurechtkomme. Er, der gebildete, wissenschaftlich sich ständig auf dem laufenden haltende Herr XYZ, könne auf Kirchen, Moscheen oder sonstige Tempel ohne weiteres verzichten, auch auf die dort stattfindenden Gesänge, Gebete, Opferhandlungen und sonstigen Rituale. Das sei doch alles Firlefanz.

Nicht ganz so eindeutig klingt das Votum der Geschichte. Neuzeitliche Revolutionen und Diktaturen, die einen aggressiven, Götterbilder stürzenden und Tempel anzündenden Atheismus praktizierten, haben es nie lange bei ihrer Kirchenlosigkeit ausgehalten. Beispiel Robespierre: Der blutrünstige Jakobinerhäuptling von 1793, der unzählige Kruzifixe und Heiligenstatuen vernichten ließ, richtete noch ganz zuletzt, bevor ihn seine Gegner einen Kopf kürzer machten, einen „Kult des höchsten Wesens“ ein, welches man anbeten sollte, mit neuen Ritualen, Statuen und Plänen für gewaltige Tempelbauten.

Die Bolschewiken in Rußland, die unzählige Kirchen abreißen ließen, um an ihrer Statt Freibäder einzurichten, oder sie in Pferdeställe oder Waffenlager „umfunktionierten“, balsamierten am Ende die Leichen ihrer mörderischen Anführer, Lenin und Stalin, ein, stellten sie öffentlich aus, machten sie zum Mittelpunkt ausgedehnter, faktisch religiöser Staatsrituale, ummantelten die Sarkophage mit prächtigen roten Marmorgehäusen. Das war wie in uralten Pharaonenzeiten: Menschen wurden selber zu Göttern, aber nur um den Preis ihres Todes und des Verschwindens im Nichts.

Buddhismus und Konfuzianismus, die großen Geisesbewegungen Ostasiens, die von Anbeginn an statt Gottes ein mit rätselvollen Kräften aufgeladenes „Nichts“ als Brennpunkt von „Heiligkeit“ verehrten, entgingen deshalb noch lange nicht dem Schicksal, zu Religionen zu werden, reichhaltigsten Gedankenarsenalen aus kodifizierten Formen von Anbetung, Opfer und Ritual – und natürlich mit Tempeln und Klosteranlangen, die im Lauf der Jahrhunderte immer größer wurden und sich auch allmählich mit Bildnissen füllten, Konfuziusstatuen, Bodhisattvas, Propheten und Meistern jeglicher Art.

Vor allem der Tempelbau war durch keine Kraft aufzuhalten oder auch nur zu minimieren. Für den bilderfeindlichen Islam galt von Anfang an: Je strenger das Bilderverbot, um so eifriger und machtvoller der Bau von Moscheen, Religion ist Verehren und Hüten des Heiligen, und das Heilige bedarf einer spezifischen Zeit- und Raumstruktur. Nur sie tröstet uns über unsere Endlichkeit und Geworfenheit hinweg, indem sie „selbst die raumzeitliche Beschränkung auf sich nimmt“ (Mircea Eliade).

Heiligkeit wandert nicht im Raum, sondern behauptet unverrückbar einen bestimmten Platz, der energisch vom profanen Raum abgegrenzt wird. In ältesten Zeiten war das vielleicht ein heiliger Berg oder eine heilige Eiche, heute und seit langem ist es ein Tempel, eine Kirche. Und das Heilige wandert auch nicht in der Zeit, sondern es schlägt, wo immer es angerufen wird, einen Bogen zurück zur immer gleichen Ur-Erzählung und damit zum gesungenen, gesprochenen und/oder gespielten Ritus, welcher Symbol gläubigen Miteinanderseins ist und wiederholbares Drama, im Gegensatz zur Unwiederholbarkeit der realen Zeit.

Mit anderen Worten: Für den wahrhaft gläubigen Menschen muß es heilige Räume und heilige Riten geben, die in einem Gottesdienst ausdrücklich zelebriert werden. Solche Einsicht scheint übrigens neuerdings wieder recht aktuell zu werden, wofür ja nicht zuletzt spricht, daß nun sogar die führenden Atheisten als privilegierte Kirche anerkannt werden wollen und dazu aufrufen, überall im Land möglichst prächtige Tempel des Atheismus zu errichten.

Es wird allerdings vergebliche Liebesmüh bleiben. Wer nur Gelangweiltheit und seichten Spott vorzubringen hat, der kann nicht einmal einen banalen Versammlungssaal füllen, geschweige denn einen veritablen Tempel. Auf Gott glaubt der moderne „aufgeklärte“ Spießer leicht verzichten zu können, die Wissenschaft hat ihn doch angeblich längst entzaubert. Weshalb denn dann noch einen Tempel? Unnötige Kosten!

Wie aber steht es eigentlich mit dem Teufel? Warum gibt es einen Atheismus, aber keinen Asatanismus? Nun, der moderne Spießer braucht eben ein Inbild des prinzipiellen Besserwissers und Nörglers an der Schöpfung. Der Teufel läßt sich nicht entzaubern, die Hölle läßt sich nicht säkularisieren. Man will sich selbst schließlich hin und wieder mal im Spiegel betrachten.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen