© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/12 10. Februar 2012

„Stolz als Seemacht tödlich getroffen“
Vor 70 Jahren: Die kühne Passage eines deutschen Flottenverbandes durch den Ärmelkanal erregte den Zorn Churchills / Marinestrategisch eher unbedeutend
Rolf Bürgel

In der Nacht vom 11. auf den 12. Februar 1942 ging vom Flottenstützpunkt Brest an der französischen Atlantikküste ein deutscher Flottenverband in See, bestehend aus den beiden Schlachtschiffen „Scharnhorst“ und „Gneisenau“ sowie dem Schweren Kreuzer „Prinz Eugen“, gesichert durch sechs Zerstörer, 14 Torpedoboote und drei S-Boot-Flottillen, mit einer Luftsicherung durch 176 Zerstörer- und Jagdflugzeuge der Luftflotte 3. Die Führung hatte der Befehlshaber der Schlachtschiffe, Vizeadmiral Otto Ciliax. Der Auftrag lautete: Durchbruch durch den Englischen Kanal in die Nordsee. Dieses Unternehmen unter den Codebezeichnungen „Cerberus“ (Marine) und „Donnerkeil“ (Luftwaffe) gehört zu den kühnsten und risikoreichsten Operationen deutscher Marinegeschichte.

Der Kriegsbeginn 1939 traf die im Aufbau befindliche Kriegsmarine unvorbereitet. Auch der Aufbau der U-Boot-Waffe befand sich erst im Anfangsstadium. Nach dem unerwartet schnellen Sieg über Frankreich eröffnete sich der Seekriegführung mit dem Gewinn der französischen Atlantikküste dann zumindest geostrategisch eine überraschend neue Perspektive. Endlich verfügte die Kriegsmarine über die ersehnte strategische Basis für den Einsatz auch schwerer Überwassereinheiten gegen den britischen Geleitzugverkehr im Atlantik. Nach dem Hinzutritt der Schlachtschiffe „Bismarck“ und „Tirpitz“ sowie des Schweren Kreuzers „Prinz Eugen“ stand dazu ein respektabler Verband mit vier Schlachtschiffen und vier Schweren Kreuzern zur Verfügung. Es dürfte auch der starken britischen Schlachtflotte schwerfallen, die zahlreichen Geleitzüge gegen diesen Verband ausreichend zu schützen.

Doch es sollte anders kommen. Zwar gelang „Scharnhorst“ und „Gneisenau“ als ersten deutschen Schlachtschiffen im Januar 1941 der Durchbruch in den Atlantik und eine anschließende erfolgreiche Jagd auf britische Geleitzüge. Aber der Durchbruch von „Bismarck“ und „Prinz Eugen“ im Mai scheiterte. Die „Bismarck“ wurde versenkt, die „Prinz Eugen“ entkam nach Brest.

Zu dem danach geplanten Einsatz der „Tirpitz“ und des Schweren Kreuzers „Admiral Scheer“ ist es nicht mehr gekommen, nachdem die Engländer das zur Versorgung notwendige Tankerversorgungssystem zerstörten. Damit fehlte die wesentliche Voraussetzung für weitere Einsätze schwerer Überwassereinheiten im Atlantik. Erschwerend hinzu kam, daß Brest seinen Wert als Stützpunkt nahezu völlig eingebüßt hatte, gelang es der Luftwaffe doch nicht, ihn und die darin liegenden Schiffe gegen die pausenlosen Bombenangriffe der Royal Airforce ausreichend zu schützen.

Vor allem aber zielte Hitlers Aufmerksamkeit inzwischen in eine andere Richtung: Norwegen. Zum einen befürchtete er dort eine britische Landung. Zum anderen war durch den Geleitzugverkehr zwischen Island und Murmansk zur Versorgung der Roten Armee das Nordmeer zu einem neuen Kriegsschauplatz geworden. Hitler verfügte daher die Verlegung sämtlicher schwerer Einheiten dorthin, auch des Brest-Geschwaders. Die Seekriegsleitung sträubte sich, doch Hitler ließ sich nicht umstimmen, drohte sogar mit der Außerdienststellung der Schiffe. Da der nördliche Weg um die Britischen Inseln herum zu lang und risikoreich war, wurde der kürzere, nicht minder risikoreiche durch den Kanal, also praktisch durch den Hinterhof britischer Seemachtstellung, gewählt.

Hervorragend geplant, kühn in der Durchführung und durch eine ausnahmsweise einmal reibungslose Zusammenarbeit mit der Luftwaffe gelang das schier Unmögliche. Die Engländer wurden vollkommen überrascht. Erst als der Verband die engste Stelle des Kanals bereits passiert hatte, erfolgte eine Reihe unkoordinierter Angriffe durch eine Handvoll Zerstörer, Schnellboote und Flugzeuge, die ohne Erfolg blieben. So erreichte der Verband am 13. Februar unbeschadet die Nordsee.

In England kochten die Emotionen hoch. Churchill tobte, als ihm das Entkommen der deutschen Schiffe gemeldet wurde und setzte – mitten im Krieg – einen Untersuchungsausschuß ein. Die Times schrieb: „Seit dem 17. Jahrhundert ist nichts mehr passiert, was unseren Stolz als Seemacht tödlicher getroffen hätte.“ Bei nüchterner Betrachtung ergab sich ein anderes Bild. Operativ war der Kanaldurchbruch zweifellos ein glänzender Erfolg. Strategisch aber war er ein Rückzug. So konnte die britische Flotte sämtliche Schlachtschiffe aus dem Atlantik abziehen und in den Pazifik zum Kampf gegen Japan entsenden.

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