© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/12 17. Februar 2012

Gewalt als Argument
Bürgerrechte: Eine zweifelhafte Moral tritt immer häufiger an die Stelle des Gesetzes
Thorsten Hinz

Nein, noch haben wir keinen Gesinnungs-, Ideologie- oder Maßnahmenstaat, sind Polizei und Justiz nicht Schild und Schwert der Partei, doch die Fälle, in denen die Gesinnung über das Recht triumphiert, sie häufen sich. Das ist alljährlich in Dresden zu beobachten, wo eine legale, rechtsstaatlich nicht verbietbare Demonstration – ein Trauermarsch – verhindert oder gestoppt wird durch Gegendemonstranten, denen die Gesinnung der Organisatoren nicht paßt. Längst stehen Parteitage, Informationsstände oder Wahlkundgebungen, die in Fragen des Euro, des Islams oder des andauernden NS-Bezugs alternative Auffassungen erwarten lassen, unter Aufsicht und faktischer Genehmigungspflicht von Rechtsbrechern.

Angedrohte oder ausgeübte Gewalt, vor der Vermieter, Aufsichtsbehörden, Gerichte und die Teilnehmer der Veranstaltungen kapitulieren, geht nicht von den angeblichen Antidemokraten, sondern von ihren Gegnern aus, die sich damit in der Lage des unangefochtenen Erpressers befinden, der Kraft Selbstermächtigung neues Recht setzt. Das ist möglich, weil der Staat es unterläßt, mit der gebotenen Härte gegen die Erpressungen und Nötigungen vorzugehen und den öffentlichen Raum für ein breites Meinungsspektrum offenzuhalten. Manchmal – wie beim Anti-Islamisierungskongreß 2008 in Köln – ist sogar ein sympathieerfülltes Augenzwinkern der Staatsorgane zu vermerken und schlüpfen Gewalttäter in die Rolle von Hilfspolizisten.

Neben der offiziellen, der Gesetzes-ebene, hat sich eine also zweite, informelle Ebene etabliert, auf der sich die zivilgesellschaftlich Engagierten tummeln, deren gute Absicht den Rechtsbruch legitimiert: in ihrer subjektiven Wahrnehmung ohnehin, zunehmend aber auch in Politik und Rechtsprechung. Nur müßte ihr zentrales Glaubensbekenntnis: „Der Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ erst einmal bewiesen werden, ehe der Staat ihn sich zu eigen macht. Gemeint ist in Wahrheit der Nationalsozialismus, dessen destruktive Energien sich aber nur im Zusammenhang mit dem nicht minder verbrecherischen Kommunismus erklären lassen, dem die antifaschistischen Zivil-engagierten jedoch huldigen oder den sie wenigstens als Verbündeten betrachten. Vor allem trifft auf die meisten Beschuldigten der Faschismusvorwurf nicht einmal zu. Inzwischen trägt er seine Beweiskraft jedoch in sich selbst und degradiert die Gesetzeslage zum unverbindlichen Regelwerk.

Dieser Prozeß wirkt schon weit in die legislative und exekutive Gewalt hinein. Er wird getragen von Politikern wie Wolfgang Thierse (SPD), die in den entscheidenden Sachfragen wie der Euro-Krise weder über Durchblick noch Handlungskompetenz verfügen und die ihr Dasein durch medienwirksames Scheinhandeln begründen. Andere sind von vornherein als Gesinnungsfanatiker in die Politik eingetreten, notdürftig ausgerüstet mit einem Studium der Politologie und Frauenforschung wie die linke Bundestagsabgeordnete Caren Lay, die ihre Teilnahme an einer Blockadeaktion 2011 in Dresden so rechtfertigt: „Ich halte es vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und insbesondere nach der Aufdeckung der fürchterlichen rassistischen Mordserie durch Nazi-Terroristen für eine demokratische Pflicht, sich gegen solche Aufmärsche und deren Zurschaustellung rassistischer und menschenverachtender Ideologie zur Wehr zu setzen!“ Die Mischung aus Floskeln, Halbwissen und unbewiesenen Behauptungen gibt ein Beispiel für die Einheit von Antifa-Ideologie und infantilem Narzißmus. Man könnte schmunzelnd darüber hinweggehen, wenn daraus nicht eine politische Selbstermächtigung folgen würde, die nach der Macht greift. Immerhin, noch wirken rechtsstaatliche Beharrungskräfte: Der Bundestag hat auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Immunität von Frau Lay aufgehoben.

Zu befürchten hat sie dennoch nichts. Dafür wird die „Vierte Gewalt“, der Journalismus sorgen, der keine dem Parlament vergleichbaren institutionellen Bindungen und Hemmungen kennt und unisono über die vermeintliche Kriminialisierung des „Kampfes gegen Rechts“ zetert. Das derart erzeugte Stimmungsbild wirkt nachweisbar auf die Justiz, die „Dritte Gewalt“, zurück. Bei aller Unabhängigkeit, die man ihnen zugestehen darf, bedenken Richter bei der Urteilsfindung die mediale Rückwirkung mit.

Das gilt erst recht bei politisch motivierten Straftaten, die je nach Ausrichtung unterschiedlich erfaßt und behandelt werden. Diese Tendenz, die sich zunächst informell vollzog, ist längst kodifiziertes Recht geworden, vor allem durch die Definition von Gesinnungsstraftaten, die ausschließlich auf der politischen Rechten verortet werden. Schon gibt es Forderungen, auch entsprechende „Haßverbrechen“ in das Strafgesetzbuch einzuführen.

Das würde die einen ermuntern, ihre Selbstermächtigung auszuweiten in der Erwartung, daß der eskalierte Ausnahmezustand sich fortschreitend in neues Recht verwandelt. Die anderen müssen sich fragen, ob und wie lange sie sich überhaupt noch im Besitz von Grundrechten wähnen dürfen.

Was kann man tun? Wenigstens kann man auf die Gefahren hinweisen und versuchen, diejenigen zum Nachdenken zu bringen, die an einflußreicher Stelle sitzen und denen die Entwicklung zum Gesinnungsstaat ebenfalls unheimlich ist.

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