© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/12 17. Februar 2012

Athener Scherbengericht
Griechenland: Nach den neuen Sparbeschlüssen ist die Krise des Systems nicht nur auf der Straße, sondern auch im Parlament unübersehbar
Panayotis Doumas

Entsetzt und ungläubig schauen die Passanten auf die Schäden der Krawalle vom Sonntag. Rund um den zentralen Syntagma-Platz in Athen sieht es aus wie nach einem Bombenangriff. Bilanz des Protestes gegen das vom Parlament beschlossene und von der Europäischen Kommission, dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank geforderte harte Sparprogramm: 170 Geschäfte wurden geplündert, über 90 Gebäude, darunter das historische Filmtheater Attikon, zahlreiche Banken, Geschäfte und Cafés in den beiden Haupteinkaufsstraßen wurden in Brand gesteckt. Allein die Kosten für die Instandsetzung der Infrastruktur des Syntagma-Platzes werden auf 1,5 Millionen taxiert. Der Gesamtschaden ist noch nicht ermittelt, sicher ist jedoch, daß sich die Finanzlage Griechenlands dadurch nicht verbessert.

Nach der Parlamentsentscheidung steht dem zweiten Rettungspaket in Höhe von 130 Milliarden Euro sowie einem möglichen Schuldenschnitt praktisch nichts mehr im Wege. Ein Erfolg für die Übergangsregierung unter Premier Loukas Papadimos also? Doch das Gegenteil ist der Fall. Die politische Klasse Griechenlands steht vor einem Scherbenhaufen.

Beispielhaft hierfür steht die rechtsnationale Laos-Partei. Kaum hatte sie sich im November 2011 staatstragend der Notregierung angeschlossen und Ministerposten erhalten, sah sie sich in den Umfragewerten fallen. Rutschte gar unter fünf Prozent. Angesichts des Abflusses von Stimmen in Richtung der offen nationalsozialistischen Chrysi-Avgi-Partei einerseits und zur neuen Partei von Dissidenten der konservativen Nea Dimokratia (ND) zog Parteichef Giorgos Karatzaferis vergangene Woche die Notbremse. Obwohl er tags zuvor Papadimos noch sein Einverständnis für das neue Memorandum der Troika von IWF-, EU-Kommissions- und IWF-Experten bestätigt hatte, verkündete er Stunden später den Ausstieg der Laos aus der Regierung.

Dem mochten sich die beiden Laos- Abgeordneten, Adonis Georgiadis (Vize Minister für Handelsschifffahrt) und Makis Voridis (Minister für Infrastruktur, Transport und Netzwerke) nicht anschließen und stimmten dem Memorandum zu. Noch in der Nacht wurden beide aus der fünfzehnköpfigen Laos-Parlamentsfraktion ausgeschlossen.

Doch nicht nur Laos hatte mit Dissidenten zu kämpfen, auch aus den Reihen der an der Notregierung beteiligten Sozialisten (Pasok) und Konservativen (ND) votierte mit 14, respektive 20 Abgeordneten eine beachtliche Zahl mit „Nein“ und ignorierte die Parteilinie.

Alle wurden im Anschluß aus ihren Fraktionen ausgeschlossen und symbolisieren so die neue Unübersichtlichkeit in der griechischen Politik. Noch stimmten 199 von insgesamt 300 Abgeordneten für das Sparpaket und suggerierten Stabilität. Doch hinter den Kulissen brodelt es. Ein weiterer Funke und das altbekannte Parteiensystem bricht auseinander. Die so oft propagierte Überzeugungsarbeit der Parlamentarier geht an den meisten Griechen mittlerweile vorbei, ja die Politiker selbst haben Probleme, sie angesichts horrender Finanz- und Wirtschaftsdaten zu unterfüttern.

Entsprechend treiben die beschlossenen Lohn- und Rentenkürzungen, die Reduzierung des Mindestlohns und Massenentlassungen in der Verwaltung die Griechen auf die Straße. Eine Demonstration jagt die andere. Ein Streik den anderen. Als letzte Hoffnung gilt nun die Abhaltung von Wahlen im April. Doch die will außer den Linken, den Kommunisten und den Nationalsozialisten keiner der Etablietren so recht.

Zurück bleiben verängstigte Abgeordnete und vom Ruin bedrohte Athener Händler. Denn die Versicherungen zahlen nicht, und so sind die Opfer auf staatliche Hilfe angewiesen. Dabei hätten sie vorbeugen können. Einige Geschäftsleute hatten nach den Gewaltausbrüchen der Autonomen darüber berichtet, daß ihnen Emissäre vor der Demonstration bei Zahlung von 200 Euro Gewaltfreiheit zugesichert hätten.

 

Panayotis Doumas ist Pressesprecher des parteilosen griechischen Infrastrukturministers Makis Voridis.

Foto: Entsetzte Blicke nach der Krawallnacht in der Athener Innenstadt: Über 90 Gebäude wurden in Brand gesteckt und 170 Geschäfte geplündert

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen