© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/12 17. Februar 2012

Ende eines schillernden Starrichters
Spanien: Das elfjährige Berufsverbot für den Madrider Untersuchungsrichter erzürnt die Linken und erfüllt Konservative mit Genugtuung
Michael Ludwig

Verfolgt man die deutsche Berichterstattung über den Madrider Untersuchungsrichter Baltasar Garzón – „Tiefschlag für die Gerechtigkeit“ (Zeit-online) –, könnte man glauben, die spanische Justiz sei nichts anderes als francohörig und rachsüchtig. Der Aufmarsch einiger hundert linken Demonstranten für den Juristen, der in diesen Tagen zu einem elfjährigen Berufsverbot verurteilt wurde, wird als Signal dafür gewertet, daß die überwältigende Mehrheit der Spanier hinter Garzón steht, was aber keineswegs der Fall ist. Für viele ist der 55 Jahre alte Jurist vor allem eines: eine Symbolfigur des Sozialismus, deren Eitelkeit normale bürgerliche Maßstäbe sprengt.

Die Staatsanwaltschaft beim Obersten Gerichtshof hatte dem vom Dienst suspendierten Richter vorgeworfen, in der Korruptionsaffäre „Gürtel“ die Telefongespräche zwischen den Untersuchungshäftlingen und ihren Anwälten abgehört zu haben. Das ist nach dem spanischen Strafgesetzbuch nicht erlaubt.

Garzón und sein Anwalt argumentierten, die Angeklagten und ihre Rechtsbeistände seien im Begriff gewesen, gemeinsame Sache zu machen. Sie wollten in der Schweiz schmutziges Geld waschen. Um das zu verhindern, habe man sich dazu entschlossen, die Gespräche mitzuschneiden. Das Gericht sah das anders. Die sieben Richter erklärten einstimmig, lediglich in Sachen Terrorismus sei es zulässig, die fundamentalen Rechte der Verteidigung derart zu beschneiden, nicht aber in einem Fall von Korruption.

Mit diesem Urteilsspruch ist die Causa Garzon noch lange nicht aufgearbeitet. Ein weiteres Verfahren gegen den Juristen aus Andalusien ist noch anhängig. Hier geht es um die von ihm angestrebte Aufdeckung und Aufarbeitung der Verbrechen während des Bürgerkrieges und aus der Franco-Zeit. Publicitywirksam waren in dem Prozeß Zeugen aus jener Zeit aufmarschiert, um über die begangenen Greueltaten zu berichten.

Allerdings: Es fand immer nur eine Seite Gehör, die linke. Das ist nicht verwunderlich, wenn man den Lebensweg dieser schillernden Persönlichkeit verfolgt. 1993 kandidierte er bei den Parlamentswahlen für die Sozialisten und schaffte den Sprung in das Abgeordnetenhaus. Ministerpräsident Felipe Gonzalez ernannte ihn zum Staatssekretär, ein Posten, den er bald wieder aufgab.

Als Konservative schon frühzeitig forderten, auch die Mordtaten der Kommunisten, Sozialisten und Anarchisten zu untersuchen – beispielsweise die Erschießung von rund 2.400 Frauen und Männern 1936 in dem Ort Paracuellos nahe Madrid, die von den Linken verdächtigt wurden, Parteigänger Francos zu sein – kanzelte Garzón die Antragsteller mit dem Vorwurf ab, „das Recht mißbrauchen“ zu wollen.

Kein Wunder also, daß Garzón Einseitigkeit vorgeworfen wird und seine Gegner einen Prozeß wegen Rechtsbeugung und Überschreitung seiner Kompetenzen angestrengt haben, da das gültige Amnestiegesetz eine derartige juristische Untersuchung verbietet.

Ob Garzón mit seiner Verteidigungsstrategie durchkommt, die Taten der Franco-Schergen seien Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewesen und würden somit nicht verjähren, wird sich zeigen. Das Urteil wird in den nächsten Tagen erwartet.

In dem dritten Verfahren gegen Garzón, der zum ersten Mal international auf sich aufmerksam machte, als er von Großbritannien die Auslieferung des dort medizinisch behandelten chilenischen Ex-Diktators Augusto Pinochet forderte, ging es um Bestechlichkeit. Er soll für Kurse an einer New Yorker Universität unverhältnismäßig hohe Honorare bezogen haben, die angeblich von spanischen Bankmanagern und Unternehmen gesponsert wurden. Im Gegenzug soll der Untersuchungsrichter die Sponsoren vor Gerichtsverfahren geschützt haben. Doch hier hatte Garzón Glück. Der Oberste Gerichtshof in Madrid stellte am Montag das Verfahren ein. Ein Grund: Die Anklage sei nicht fristgerecht eingereicht worden.

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