© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/12 17. Februar 2012

Die Erben von Hermann
Schlacht am Harzhorn: Neue Funde zur römisch-germanischen Kriegsführung in der Spätantike
Sebastian Pella

Waren nach der sensationellen Entdeckung des römisch-germanischen Schlachtfeldes am Harzhorn im Landkreis Northeim im Jahr 2008 (JF 44/10), das den erstmaligen Nachweis einer kriegerischen Auseinandersetzung im Norden Germaniens in der Spätantike (3. Jahrhundert n. Chr.) erbrachte, bereits Ende 2010 im Zuge der andauernden Geländeprospektionen ein völlig neues Gefechtsfeld entdeckt und eingegrenzt worden, so gab das bewaldete Areal seither eine Reihe von spektakulären Funden frei. Münzen, eine schwere Axt, zwei schwere Wurflanzen („Pila“), ein Amboß, Helmfragmente und Lanzenspitzen kamen im Rahmen der Prospektionen der Grabungstechniker so zum Vorschein.

Das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege stellte im Januar offiziell die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und Funde vom römisch-germanischen Schlachtfeld am Harzhorn vor, wobei ein überraschendes Fundstück im Mittelpunkt des Interesses stand. Der Fund von Artefakten, die dem Archäologen eine exakte Verbindung seiner nichtschriftlichen Befunde mit geschichtlichen Quellen und der historischen Überlieferung erlauben, ist äußerst selten. Obgleich das Harzhorner Schlachtfeld vergleichsweise gut datiert ist, gelang es den Archäologen und Historikern bislang nicht, das umkämpfte Areal zweifelsfrei mit einem wissenschaftlich belegbaren historischen Ereignis zu verknüpfen.

Bei den seit 2010 einsetzenden Ausgrabungen und insbesondere dem hierbei entdeckten neuen Gefechtsfeld fiel die hohe Konzentration an römischen Artefakten auf. Sind die älteren Funde am Harzhorn vorwiegend römische Distanzwaffen (Katapultspitzen, Pfeilspitzen), weist das Fundspektrum an dem neuen Gefechtsareal primär Nahkampfwaffen auf, deren Beschädigungen auf intensive Nahkampfhandlungen hindeuten. Hierbei ragen die zwei vollständig erhaltenen „Pila“ heraus, die als schwere Wurflanzen von den römischen Legionären geführt wurden und deren Abnutzungsgrad auf heftige Kampfszenen schließen läßt. Weitere eindrucksvolle Funde sind Teile eines römischen Legionärshelmes sowie zahlreiche Lanzenspitzen, wovon ein Artefakt den seltenen Beleg für germanische Gefechtswaffen aus der Harzhornschlacht erbringt.

In der historischen und archäologischen Fachwelt sorgte aber vor allem der Fund einer zwei Kilogramm schweren, komplett erhaltenen römischen Pionieraxt („Dolabra“) aus Eisen für Furore. Diese eine Kombination aus Hacke und Axt darstellende „Dolabra“ brachte im Verlauf der Restaurationsarbeiten eine Sensation hervor: Auf der Breitseite wurde eine Inschrift sichtbar, die erstmals Anhaltspunkte für den Aufbau der in der Schlacht am Harzhorn kämpfenden römischen Truppen gibt. In römischen Lettern prangt „LEG IIII“ auf der „Dolabra“ und weist somit die Vierte Legion als Herkunftseinheit aus. Epigraphiker entschlüsselten nun die Inschrift vollständig, wodurch die historische Kontextualisierung der Harzhornschlacht erst in ihrem ganzen Umfang erfaßt werden kann.

Bei der Inschrift stellten die Experten zwei sich überlagernde Buchstabenfolgen fest, deren Inhalt sich auf die Beinamen der Vierten Legion „flavia severiana alexandriana“ (nach dem im März 235 ermordeten Kaiser Severus Alexander benannt) bezieht. Diese Legion „flavia felix“ hatte ihren Heimatstandort in „Singidunum“ (Belgrad) in der Provinz Obermoesien und war als eine Einheit mit besonders hoher Kampfkraft an zahlreichen Militäroperationen des 3. Jahrhunderts beteiligt. Doch in den Abschriften der antiken Quellen (wie der „Historia Augusta“) wurde seit dem 17. Jahrhundert die Angabe eines 500 Kilometer langen Anmarschweges auf 50 Kilometer reduziert, da die Chronisten von einer Falschangabe ausgingen.

In Verbindung mit dem aufgrund der Funde nachgewiesenen Aufmarsch der Vierten Legion konnten die Archäologen und Historiker nun die Verbindung zu einem Feldzug von Kaiser Maximinus Thrax aus dem Jahr 235 herstellen. Die Legion wurde im Winter 234/35 eigentlich für einen Feldzug von Kaiser Alexander Severus bei Mainz mobilisiert, doch rebellierten die Legionäre, brachten den Kaiser um und erkoren eben jenen Maximinus Thrax als neuen Kaiser Roms. Dieser führte die gefechtsmäßig über 50.000 Mann starke Armee schließlich in das in den Quellen als „Schlacht im Moor“ beschriebene Gefecht gegen die germanischen Stämme im Norden. Gleichsam kann über die Anzahl der beteiligten Legionäre derzeit nur spekuliert werden.

Die Entzifferung der Inschrift in Verbindung mit den neuartigen Fundstücken erlaubt nunmehr, die Schlacht am Harzhorn als einen Kampfschauplatz innerhalb einer weiträumigen und großangelegten Militäroperation einzuordnen. Anscheinend setzten sich die römischen Legionäre an dem 2008 entdeckten Gefechtsfeld aufgrund ihrer überlegenen Fernwaffen (Katapulte) durch, wurden an dem neu entdeckten Areal aber wohl erneut in heftige Nahkämpfe mit germanischen Kriegern verwickelt.

Angesichts der sensationellen und in Forscherkreisen international für Aufsehen sorgenden Funde kündigte die niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Johanna Wanka, an, das Land Niedersachsen werde die einmalige Chance, die diese außergewöhnlich gut erhaltenen Funde bieten, nutzen, „um noch 2013 im Rahmen einer großen Landesausstellung in Braunschweig das Harzhorn und das dramatische 3. Jahrhundert an der Nordgrenze des Imperium Romanum in all seinen Facetten darzustellen“.

Foto: Legionärsdarsteller marschieren auf deutscher Landstraße Richtung Norden: Was wollten die Römer im feindlichen Germanien?

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