© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/12 17. Februar 2012

Preußen als europäische Chance
Erinnerungspolitik im polnischen Takt
Udo Sommer

In der englischsprachigen Welt, so berichtet David E. Barclay, Biograph Friedrich Wilhelms IV. und Ernst Reuters und Vorsitzender der German Studies Association in den USA, ist Preußen „immer weniger im Gespräch“. Jedenfalls kämen Geschichte und Kultur des 1947 besatzungsrechtlich aufgelösten Staates in seinem akadamischen Verband amerikanischer Deutschlandexperten immer seltener auf die Agenda von Jahreskonferenzen. Für den 64jährigen, noch von deutsch-jüdischen Emigranten geprägten Barclay vollzieht die US-Historikerschaft damit nur nach, was die bundesdeutsche Wissenschaftspolitik vorgebe, denn „in Deutschland sind die Lehrstühle für preußische Geschichte von den Universitäten verschwunden“.

Ganz so schlimm steht es zwar nicht, wie man im Rückblick auf die Einrichtung eines preußischen Studienschwerpunkts an der Berliner Humboldt-Universität im letzten Herbst weiß. Doch, damit hat Barclay recht, zunehmendes Desinterese ist in den USA zu registrieren. Da läßt es aufmerken, wenn sein Essay im selben, dem Thema „Saupreußen“ gewidmeten, mit Einlassungen von Ute Frevert und dem Schwafelgrafen Friedrich Dieckmann (zum Wiederaufbau des Berliner Schloßes als kosmopolitisches „Forum der Republik“) beschickten, wie üblich Alt-Bonner Piefigkeit verströmenden Heft der Zeitschrift für Ideengeschichte (4-2011) von einem Plädoyer Kazimierz Wóycickis konterkariert wird, das das „imaginäre Preußen“ als „europäische Chance“ beschwört.

Der Warschauer Politologe, Jahrgang 1949, der seine Kindheitsferien in Masuren verbrachte, das in den 1950ern „eigentlich immer noch deutsch gewesen“ sei, glaubt Polen und Deutsche über die Erinnerung an die „gemeinsame“ preußische Geschichte einander näherbringen zu können. Die „Erzählung“ Preußens bilde die Brücke der Verständigung, an der es allen politischen Sonntagsreden zum Trotz ganz offenkundig mangelt. Schließlich gehört der Löwenanteil des preußischen Territoriums heute „unwiderruflich“ zu Polen, wo die militärische wie moralische Niederlage des Dritten Reiches lange als „Sieg über Preußen“ begriffen und mit „großer Genugtuung“ quittiert worden sei.

Die Verständigung, die sich Wóycicki von einer Art erinnerungspolitischem Joint-venture-Projekt erhofft, scheint jedoch bei näherer Betrachtung nur alten Wein in alte Schläuche füllen und im geschichtsklitternden Geist der berüchtigten deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen fortfahren zu wollen. Denn schon die Semantik, die „Umsiedlung“ und höchstens einmal „Zwangsmigration“ für die Vertreibung oder Ermordung der angestammten deutschen Bevölkerung, für ethnische Säuberung und völkerrechtswidrige Annexion der preußisch-deutschen Ostgebiete des Reiches setzt, spekuliert auf die zuletzt im Kleinkrieg um Erika Steinbachs „Zentrum gegen Vertreibung“ triumphierende polonophile Unterwürfigkeit hierzulande.

Darum vermeidet Wóycicki auch jede Erwähnung der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte, die dem Kriegsausbruch 1939 vorherging. Und darum zeigt er sich ostentativ „irritiert“ über „Erklärungen mancher Vertreter der deutschen Vertriebenenverbände“, die es wagen zu behaupten, polnische Nationalisten hätten die gewaltsame Westausdehung Richtung Oder und Neiße bereits seit 1848 geplant. Ebensowenig rührt er am alten Phantasma, der Polen „angeschlossene“ Teil Deutschlands habe lediglich den ähnlich schrecklichen Verlust der „polnischen Ostgebiete“ auf dem heutigen Territorium Weißrußlands, der Ukraine und Litauens kompensiert. Daß die von dort nach Schlesien oder Ostpreußen verpflanzten „Neusiedler“ als „Beute-Polen“ nur kurzzeitig Bürger des 1918 wiedererstandenen polnischen Staates waren und in ihren Heimatregionen als polnische Minderheit lebten, die mit den in einer 700jährigen Geschichte wurzelnden Ostdeutschen also kaum zu vergleichen sind, blendet der engagierte „Verständiger“ Wóycicki vorsichtig aus.

Seine Vorschläge bilden daher keine redliche Basis, um das von ihm erwartete „langsame Verblassen negativer Stereotype“ sowie das wechselseitige Interesse beider Nachbarvölker zu befördern und Preußen als „wichtigen Faktor des europäischen Integrationsprozesses“ wieder ins Spiel zu bringen. Schon gar nicht taugt diese altbekannte Warschauer Melodie, um den von Wóycicki beklagten „deutschen Mangel an Reflexion über die Bedeutung der verlorenen Ostgebiete“ zu beheben.

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