© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/12 24. Februar 2012

Streichholz an der Lunte
Ein Angriff auf iranische Atomanlagen hätte unabsehbare Folgen. Amerikas Präsident ist unter Druck
Michael Wiesberg

Einmal mehr hängt das Damoklesschwert eines Präventivschlags gegen die iranischen Atomanlagen über dem Mittleren Osten. Gerüchte machen die Runde, daß die Israelis im Frühjahr, notfalls auch ohne Unterstützung der Vereinigten Staaten, mit militärischen Mitteln vorgehen werden, weil „später zu spät“ sein könnte, wie Israels Verteidigungsminister Ehud Barak betonte. Daß der Iran schon in naher Zukunft im Besitz von Atomwaffen sein könnte, wenn nichts unternommen werde, davon ist allerdings seit rund zehn Jahren die Rede. Mindestens ebensolang wird der „Point of no return“ an die Wand gemalt, jener Punkt also, an dem ein Aufhalten des iranischen Atomprogramms angeblich nicht mehr möglich sei.

So verhält es sich auch diesmal, was die Frage berechtigt erscheinen läßt, welchen Zweck die zyklisch wiederkehrende Beschwörung der Gefahr potentieller iranischer Atomwaffen eigentlich verfolgt. Aktuell spielt sicherlich die kommende amerikanische Präsidentenwahl eine Rolle, lassen doch Obamas republikanische Konkurrenten keinen Zweifel daran, daß man dem Iran in den Arm fallen müsse. Der Präsident sieht sich also unter Zugzwang, der durch den sang- und klanglosen Rückzug aus dem Irak und die desolate Lage in Afghanistan weiter potenziert wird. Sollte der Iran noch in seiner Amtszeit zur Atommacht aufsteigen, stünde Obama vor einem außenpolitischen Scherbenhaufen. Eine Situation, die Israel und den jüdischen Lobbygruppen in Amerika in die Hände spielt, die in dieser Konstellation einen Hebel zur Durchsetzung ihrer Interessen sehen. Ihre Botschaft ist klar und eindeutig: Die Vereinigten Staaten sollen im Falle eines Militärschlages mit im Boot sitzen. Entsprechend massiv fällt das Bedrohungsgerede im Zusammenhang mit der „iranischen Bombe“ aus. Nur mutmaßen kann man darüber, inwieweit die Amerikaner bereits in den seit Jahren betriebenen Geheimdienstkrieg gegen den Iran involviert sind, dessen Bilanz eher durchwachsen ist.

In diesem Zusammenhang wird immer wieder auf ermordete iranische Atomwissenschaftler verwiesen und der Mossad als möglicher Drahtzieher gezielter Tötungen genannt. Der Spiegel hat unter Berufung auf das Magazin Foreign Policy über eine Urheberschaft der terroristischen sunnitischen Organisation „Dschundallah“ (Soldaten Gottes) gemutmaßt, im Iran so etwas wie der „Staatsfeind Nr. 1“: Mossad-Mitarbeiter, die sich als CIA-Agenten ausgegeben haben sollen, hätten Mitglieder dieser Organisation für Anschläge rekrutiert. Für diese Lesart spricht, daß einige der Ermordeten Universitätsdozenten von eher marginaler Bedeutung für das Atomprogramm waren. Ihre Lebensgewohnheiten waren vergleichsweise leicht zu erkunden. Mit Randfiguren wie ihnen hätte sich der Mossad wohl kaum zufriedengegeben.

Ein bedeutsamer Faktor, der in westlichen Medien geflissentlich übersehen wird, ist die Rolle Saudi-Arabiens und anderer Golfmonarchien im laufenden Konflikt mit dem Iran. Es ist bekannt, daß Saudi-Arabien, wo mit dem Wahhabismus eine extreme Variante des Islams quasi Staatsreligion ist, eine ausgesprochene Abneigung gegen den schiitischen Iran hegt. Saudi-Arabien, aber auch andere Golfstaaten wirkten im Hintergrund bei den Regimewechseln in bis dahin mehr oder weniger säkular ausgerichteten Staaten wie Ägypten, Tunesien oder Libyen mit.

Aktuell ist es Syrien, der wichtigste Verbündete Teherans in der Region, bei dem ein ähnliches Szenario im Raum steht. Offensichtlich besteht das Ziel der Golfstaaten darin, diese Länder auf den Pfad des „wahren Islams“ zu bringen. Im Fall Syrien droht dieses Spiel diesmal allerdings nicht aufzugehen, weil insbesondere die wichtigen BRICS-Staaten (Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika) aufgrund ihrer Interessenlage in der Region keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß sie einen weiteren von außen betriebenen Regimewechsel in einem souveränen Land nicht zulassen wollen.

Warum die USA der saudischen Interessenpolitik sekundieren, hat Ex-CIA-Operationsleiter Robert Baer einmal wie folgt begründet: „Ob es einem gefällt oder nicht, die USA und Saudi-Arabien sind an der Hüfte miteinander verbunden wie siamesische Zwillinge. Die Zukunft der Saudis ist unsere Zukunft.“ Aus saudischer Sicht ist Amerika ein elementarer Grundpfeiler der Außenpolitik, weil der Wüstenstaat seinem regionalen Hauptkonkurrenten Iran militärisch in keiner Weise Paroli bieten kann. Die saudische Führung unternimmt indes kaum Anstrengungen, diese Abhängigkeit auch nur abzumildern. Wohl auch deshalb, weil die Herrscherfamilie, die vor allem an ihrem Machterhalt interessiert ist, einen Staatsstreich seitens eines zu starken Militärs befürchtet. Für die Eindämmung des iranischen Vormachtstrebens sind die USA also unabdingbar. Aus US-Sicht ist Saudi-Arabien nach wie vor einer der wichtigsten Ölproduzenten der Welt und damit ein zentraler Faktor bei der Sicherung der strategischen Ressource Erdöl.

Die iranische Führung ihrerseits, die jüngst als Reaktion auf das gegen Teheran verhängte Embargo bereits die Öllieferung an Großbritannien und Frankreich eingestellt hat, wird den USA und ihren Verbündeten mit Sicherheit nicht den Gefallen tun, mit einer Sperrung der Straße von Hormus einen Casus belli zu liefern. Sollte es aber doch zu einem Militärschlag kommen, dann ist eine derartige Maßnahme seitens des Iran nicht nur denkbar – handelt es sich hier doch um eine Art Nadelöhr für den Ölexport –, sondern hat durchaus eine gewisse Aussicht auf Erfolg. Selbst Pentagon-Experten haben Respekt vor möglichen „Schwarmangriffen“ kleiner und bestens bewaffneter Boote, die sogar Flugzeugträgern gefährlich werden können. Nicht zuletzt diese unberechenbare asymmetrische Schlagkraft des Iran hat das Interesse des Pentagons an einem militärischen Abenteuer wohl deutlich gedämpft.

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