© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/12 24. Februar 2012

„Das Charisma Gaucks“
Gauck zeigt Sinn für gewachsene Bindungen. Annäherung vier: Der Konservative
Moritz Schwarz

Herr Dr. Weißmann, Joachim Gauck nennt sich selbst einen „linken, liberalen Konservativen“. Was soll das denn sein?

Weißmann: Ach, sind wir nicht alle ein bißchen Gauck?

Im Ernst: Traut sich Gauck vielleicht nur nicht, sich selbst „konservativ“ ohne schützendes Adjektiv zu nennen?

Weißmann: Mit Vermutungen über die fehlende Traute von Joachim Gauck wäre ich vorsichtig. Im Gegensatz zu uns beiden hat er unter anderen, heißt unter Bedingungen eines brutalen Polizeiregimes tatsächlich etwas riskiert. Das gibt ihm einen Vorsprung. Aber er ist natürlich nicht Steffen Heitmann. Ich denke, es geht ihm eher um prinzipielles Mißtrauen gegen ideologische Zuschreibungen – nicht untypisch für Leute mit seiner Art Biographie – und darum, daß der Begriff „konservativ“ unscharf wirkt, man sich darunter alles mögliche vorstellt, vom Angepaßten bis zum Faschisten.

Die „Süddeutsche Zeitung“ meint, die Betonung des „liberal-konservatien Gauck“ liege „in vielen Fragen der Gesellschaftspolitik auf konservativ, nicht auf liberal.“ Und „The European“ schreibt, in zahlreichen „seiner gesellschaftlichen Positionen ist Gauck rechts der CDU anzusiedeln und damit Präsident der fünf Millionen CDU-Wähler, die seit 1990 gestorben sind“.“Was halten Sie davon?

Weißmann: Hübsch formuliert. Wenn die damit meinen, daß Gauck ein Antitotalitärer ist, und das heißt natürlich immer zuerst ein Antikommunist, und daß er außerdem keine Probleme hat, ein Deutscher zu sein, dann ist da sicher etwas dran. Was die Verstorbenen angeht: Die Konservativen haben doch die Ewigkeit für sich, oder wie der unsterbliche Edmund Burke sagte: „Stimmrecht für die Toten!“

Hat sich Rot-Grün mit Gauck also ein Kuckucksei ins Nest gelegt?

Weißmann: Daran mag etwas sein. Wenn man den aktuellen Berichten folgt, dann sind nur die Sozialdemokraten zufrieden, die Grünen beginnen schon über ihren Kandidaten zu streiten, die Gewerkschaften murren, die Einwandererlobby auch. In der SPD könnten einige dem Irrtum verfallen sein, daß ein evangelischer Pfarrer per se Genosse ist. Aber die meisten wissen sicher, daß Gauck das Gewäsch von der „bunten Republik“ nicht über die Lippen kommt und er den Islam mit gesunder Skepsis betrachtet. Für die anderen reicht als Grund des Mißtrauens, daß er der „Nationalstolz-Typ“ ist. Die Linke hat ihn so apostrophiert, und die taz nennt ihn einen „reaktionären Stinkstiefel“, das alles genügt jedenfalls, ihn mir sympathischer zu machen als Wulff-Großburgwedel.

Sie scheinen also mit der Kandidatur Gaucks ganz zufrieden zu sein?

Weißmann: Nun, das Wichtigste wurde noch gar nicht angesprochen: das Charisma Gaucks. Wenn Sie einmal mit Jugendlichen sprechen, denen die deutsche Teilung samt DDR bestenfalls Geschichte, wahrscheinlicher egal ist, und die Gauck bei einem Vortrag und anschließendem Gespräch erlebt haben, dann wissen Sie, was ich meine. Der Mann hat eine präzise Vorstellung davon, was Freiheit ist, und von wem sie zuerst bedroht wird. Er ist tatsächlich mal ein Unangepaßter, nicht nur einer, der den „Querdenker“ für Talkshows mimt, kein gelungenes Produkt der „Westernization“. Und er kann der nächsten Generation einen anderen Eindruck davon vermitteln, was unsere Vergangenheit auch bedeutet – einen anderen jedenfalls, als jener Kurzzeit-Präsident, der mit Mühe ein Reformgymnasium bewältigt und nichts als Politik gelernt hat, genauer: Parteipolitik.

Sie meinen Christian Wulff?

Weißmann: Wen sonst.

 

Dr. Karlheinz Weißmann, 53, Historiker, Publizist und Gründer der konservativen Denkfabrik „Institut für Staatspolitik“

 

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