© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/12 24. Februar 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Vier Minuten
Marcus Schmidt

So scheinbar endlos sich die Wulff-Affäre über Wochen hingezogen hatte, so kurz und knapp geriet schließlich der Abschied des Bundespräsidenten von seinem Amt. Gerade einmal vier Minuten benötigte Christian Wulff am vergangenen Freitag in seinem Berliner Amtssitz Schloß Bellevue, um der versammelten Hauptstadtpresse seine Rücktrittserklärung zu verlesen.

Zu diesem Zeitpunkt war in Berlin längst allen klar, daß Wulff, nachdem die Staatsanwaltschaft Hannover am Abend zuvor angekündigt hatte, beim Bundestag die Aufhebung der Immunität des Präsidenten zu beantragen, nicht noch einmal versuchen werde, sich mit dem öffentlichen Versprechen einer umfassenden Transparenz zu retten. Spätestens als am Freitag vormittag das Kanzleramt für 11.30 Uhr eine Erklärung der Bundeskanzlerin ankündigte, die zu diesem Zeitpunkt eigentlich längst auf dem Weg nach Italien sein sollte, um den Euro zu retten, galt ein Rücktritt Wulffs als sicher. Und so vertrieben sich die zahlreichen Journalisten die Wartezeit im Großen Saal von Schloß Bellevue mit dem Sammeln von Namen möglicher Nachfolger. Natürlich fiel dabei immer wieder der Name Joachim Gauck, aber auch der Wolfgang Schäubles, Thomas de Maizières sowie Frank-Walter Steinmeiers. Doch als Wulff zusammen mit seiner Frau um 11.02 Uhr den Saal durch eine der großen Flügeltüren betrat, verstummten alle Gespräche und war nur noch das Klicken der Objektive zu hören.

Schon mit den ersten Sätzen wurde deutlich, daß Wulff seine Rücktrittserklärung für den verzweifelten Versuch nutzen würde, um seiner abrupt abbrechenden Amtszeit eine Bedeutung zu geben, die den Tag des Amtsverzichtes überdauert. Noch einmal bemühte er das Thema Integration, das seit seiner Feststellung, der Islam gehöre zu Deutschland, zum Leitbild seiner kurzen Präsidentschaft geworden war. „Ich bin davon überzeugt, daß Deutschland seine wirtschaftliche und gesellschaftliche Kraft am besten entfalten und einen guten Beitrag zur europäischen Einigung leisten kann, wenn die Integration auch nach innen gelingt“, sagte Wulff am Freitag, und er ließ keinen Zweifel daran, daß er der richtige Mann dafür war. Vielleicht hatte er bis zuletzt gehofft, er könne sich bis zum Donnerstag dieser Woche retten. Für diesen Tag ist in Berlin die Gedenkveranstaltung für die Opfer der rechtsextremistischen Zwickauer Terrorzelle angesetzt. Mit einer bewegenden, mit einer großen Rede, so hat Wulff vermutlich gehofft, werde er seine Kritiker verstummen lassen. Noch in seiner Rücktrittserklärung geht Wulff auf die „ wichtige Gedenkveranstaltung“ ein und gibt bekannt, daß statt ihm die Bundeskanzlerin sprechen werde.

Dann verlassen Wulff und seine Frau den Großen Saal, an dessen Stirnseiten zwei großflächige „Farbraumkörper“ des Künstlers Gotthard Graubner mit dem Titel „Begegnungen“ hängen, der eine eher gelb, der andere eher lila. Später werden aufmerksame Beobachter notieren, daß Wulff nicht nach der Hand seiner Frau gegriffen habe und sie nicht nach der seinen.

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