© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/12 24. Februar 2012

Nagelprobe für das System Ahmadinedschad
Iran: Kurz vor den Parlamentswahlen nimmt die Nervosität um den Präsidenten zu. Welche Rolle wird er in Zukunft noch spielen können?
Günther Deschner

Auch wenn Teheran das Gegenteil glauben machen will – die Sanktionen der Vereinten Nationen, der USA und der Europäischen Union haben den Iran hart getroffen. Das Land rutscht sichtbar in die Krise. Die Wirtschaft lahmt, es herrscht Inflation. Die nationale Währung, der Rial, hat binnen eines Monats ein Fünftel seines Wertes verloren. Wer kann, tauscht die Banknoten mit dem Porträt des Ajatollahs Khomeini in Währungen um, die als stabiler gelten. Die Lebensmittelpreise stiegen in drei Monaten um dreißig Prozent. Vor allem die ärmere Bevölkerung, auf die sich Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad stützt, leidet immer mehr.

Ausgerechnet inmitten dieser Krisenzeit, am 2. März, dem Freitag kommender Woche, wird im Iran das neunte Parlament (Madschlis) seit Gründung der Islamischen Republik 1979 gewählt. Schon jetzt gelten diese Wahlen als Nagelprobe für den amtierenden Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, der wegen der desolaten Wirtschaftslage und des Vorwurfs der Mißwirtschaft zunehmend unter Druck gerät. Schon eine Woche darauf wird – erstmalig in der Geschichte des Iran – ein Präsident vor das Parlament zitiert. Bis 8. März hat es ihm Zeit gegeben, zu erscheinen, Fragen über seine Politik zu beantworten und bezüglich der Vorwürfe um verschwundene Gelder Rede und Antwort zu stehen.

Es gilt inzwischen als wahrscheinlich, daß Ahmadinedschads politische Partei der sogenannten „Konservativen“, die derzeit rund die Hälfte der 290 Sitze im Parlament innehat, bei den Wahlen starke Verluste hinnehmen muß. Tritt dieser Fall ein, könnte Ahmadinedschad unter der Federführung seines Intimfeindes Ali Laridschani, der als Parlamentspräsident die Fäden im Parlament zieht, dessen „Koalition der Prinzipientreuen“ durchaus der Wahlsieger werden könnte und der bestens vernetzt ist, jederzeit mit einer Stimmenmehrheit der Abgeordneten abgesetzt werden.

Das künftige Parlament könnte dann auch in die Lage kommen, den nächsten Staatspräsidenten selbst zu bestimmen, da Irans oberster Führer, Ajatollah Khamenei vor einigen Monaten vorgeschlagen hat, den Staatschef nicht mehr direkt vom Volk, sondern durch das Parlament wählen zu lassen. Eine entsprechende Gesetzesänderung wird bereits diskutiert.

Im seit Wochen anhaltenden Wahlkampf, dem Ringen um die künftige Zusammensetzung des Parlaments, haben sich der geistliche Führer Khamenei und seine politischen Gefolgsleute mit einem Mix aus Anschuldigungen und Wortgefechten gegen Israel, die USA und die Europäische Union – und auf den „ungeschickten“ und „abweichlerischen“ Präsidenten – profiliert, und ihr Wahlsieg erscheint damit gesichert. Offen bleibt, welche Rolle Ahmadinedschad nach der Wahl überhaupt noch spielen wird.

In jüngster Zeit hat Ajatollah Khamenei mehrmals demonstriert, daß er und nicht der Präsident es ist, der das letzte Wort in gewichtigen politischen Fragen hat. Mit der Beschuldigung, hinter dem Mord am Vize-Direktor der Uran-Anreicherungsanlage stünden CIA und Mossad, machte er bislang diffuse Verdächtigungen zur offiziellen Haltung Irans.

Ahmadinedschad tourte in diesen aufgeregten Zeiten wenig spektakulär durch politisch zweitrangige Staaten Lateinamerikas.

Vor der Parlamentswahl im Iran haben sich knapp 5.300 Kandidaten registrieren lassen, darunter auch Parwin Ahmadinedschad, die Schwester des Präsidenten – eine von insgesamt 390 weiblichen Kandidaten. Nicht alle wurden vom „Wächterrat“ in Teheran, eine Art religiösen Verfassungsgerichts, genehmigt. Vor allem für reformorientierte Politiker senkten die strengen Zensoren den Daumen. Die Fraktion um Ex-Präsident Mohammed Chatami boykottiert daher die Abstimmung.

Doch selbst Gefolgsleute des religiösen Eiferers Ahmadinedschad mußten um ihre Zulassung fürchten: Der Wächterrat achtete darauf, daß niemand kandidieren kann, der auf der Glaubenslinie des Präsidenten liegt. Der verehrt den „verborgenen Zwölften Imam“ als Messias und glaubt an dessen unmittelbar bevorstehende Wiederkehr. Diesen sogenannten „Mahdi-Kult“ sieht die hohe Geistlichkeit als Bedrohung ihrer Macht.

Die Behinderung oder gar Ausgrenzung der Anhänger des Präsidenten könnte ein entscheidender Schachzug zu seiner Amtsenthebung sein: Sollte Ahmadinedschads Fraktion nicht genug Mandate gewinnen, könnte ihn das Parlament noch vor Ende seiner zweiten Amtszeit – heißt im Sommer nächsten Jahres – mit einer Zweidrittelmehrheit absetzen.

Damit wären dann die inneren Machtverhältnisse des bevölkerungsreichsten und mächtigsten Staats am Persischen Golf wieder eindeutig geklärt – „im Namen des Volkes“. Und gewiß nicht zum Mißvergnügen des „Obersten Führers“ Ajatollah Khamenei.

Foto: Die Blicke sprechen Bände: Irans Präsident Ahmadinedschad und sein ärgster Widersacher Parlamentspräsident Ali Laridschani

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