© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/12 24. Februar 2012

Mehr Deutsch
Lehrerverband zum Tag der Muttersprache
Richard Stoltz

Der Deutsche Lehrerverband (DL) hat massive Vorwürfe gegen die Bildungspolitik in Deutschland erhoben. Vor allem den Deutschunterricht lassen die politisch Verantwortlichen „verkommen“, kritisierte der DL-Präsident Josef Kraus anläßlich des von der Unesco deklarierten Tages der Muttersprache am Dienstag dieser Woche.

„Keine andere Nation geht schulisch so gleichgültig mit der eigenen Muttersprache um wie die deutsche“, sagte Kraus. Während in den meisten Ländern der Welt die Landessprache als Unterrichtsfach rund ein Viertel des Gesamtunterrichts ausmache, sei es in Deutschland nur rund ein Sechstel. Selbst an Gymnasien, die nach ihrem Selbstverständnis eigentlich „Schulen der Sprachen“ seien, hätten Schüler in manchen Klassen der Mittelstufe nur noch drei Stunden pro Woche Deutschunterricht, also weniger als ein Zehntel ihres Gesamtunterrichts.

Hinzu kommt nach Angaben des Lehrerverbandes, daß in Deutschland bereits die Grundschullehrpläne mutter- bzw. landessprachlich „auf Sparflamme eingestellt sind; hier sind in der Regel gerade eben noch 700 Wörter Grundwortschatz der mickrige Standard“. Zugleich werde der Deutschunterricht in der Grundschule zugunsten eines „zu diesem Zeitpunkt fragwürdigen“ Englischunterrichts gekürzt. In höheren Jahrgangsstufen seien anspruchsvolle Literatur und simple Gebrauchstexte im Zuge einer „hohlen Kompetenzenpädagogik“ auf eine Ebene gestellt worden.

„Der Deutschunterricht hat sich diesen Vorgaben leider angepaßt und das Niveau heruntergefahren“, sagte Kraus. „Es gibt oft keinen verbindlichen Lektürekanon mehr; die Deutschlehrer sind gehalten, mit Texthäppchen statt mit Ganzschriften zu arbeiten; anstelle von kompletten Diktaten verlangt man von Schülern das Zustöpseln von Lückentexten; Tests im Fach Deutsch sind zu Multiple-Choice-Tests verkommen.“

Unterdessen erinnerte die Deutsche Sprachwelt an die Bedeutung des Hochdeutschen. Zugleich warnte Schriftleiter Thomas Paulwitz (38) vor Bestrebungen, gebrochenes Deutsch unter dem Namen „Kiezdeutsch“ zu einem eigenständigen deutschen Dialekt aufzuwerten. „Es führt in die Irre, dieses in Wortschatz und Grammatik verarmte Deutsch als Dialekt schönzureden.“

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