© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/12 24. Februar 2012

Acta: Gefährdet das geplante Anti-Produktpiraterie-Abkommen die Netzfreiheit?
Willkommen in der Anarchie
Christian Schwießelmann

Wenn ich eine Zeitung auf der Parkbank liegenlasse, dann ist das legal. Wenn ich das online mache, dann ist es verboten. Warum eigentlich? Die Befürworter einer harten Linie bei der Pirateriebekämpfung argumentieren, das Internet sei ein „rechtsfreier Raum“, den es zu regulieren gelte. Das ist eine beliebte Floskel machtversessener Politiker, denen es darum geht, ihren Einfluß auf Lebensbereiche auszudehnen, die sie nichts angehen.

Kopiert und eingefügt – fertig ist die Einleitung (und der Beweis der Existenz geistigen Eigentums ex negativo): Wenn die Gegner von Urheberrechtsschutz im Internet recht hätten, wäre der soeben geschehene Raub geistigen Eigentums nur auf gedrucktem Papier ein Verbrechen. Im Internet könnte dagegen munter kopiert werden, daß einem Karl-Theodor zu Guttenberg das Herz aufginge. Wissenschaftliche Plagiate wie die profilneurotischer Jungpolitiker wären nur noch dann problematisch, wenn die zusammengeräuberte Doktorarbeit auf Papier gedruckt wird, nicht aber wenn sie im Netz „elektronisch“ erscheint. Schließlich dienten die bewußten Schummeleien lediglich dem Informationsaustausch im Internet.

Eine konsistente Argumentation sieht anders aus: Man kann durchaus das Rechtsgut geistiges Eigentum in Frage stellen, müßte dann aber fein säuberlich das Verbreitungsmedium vom „persönlichen geistigen Werk“ trennen, wie es im deutschen Urheberrechtsgesetz aus dem Jahre 1965 heißt. Sicher gibt es für philosophiegeschichtlich Gebildete genug gute Gründe anzunehmen, daß alle Gedanken schon einmal gedacht, alles zu Schreibene schon einmal geschrieben wurde. Die Crux liegt nun aber im medialen Wandel, wie die häufigen Änderungen des Urheberrechts belegen. Der Gesetzgeber sieht sich ständig gezwungen, der technischen Innovation hinterherzuhecheln und sie mit Gesetzesanpassungen einzufangen. Immer neue Daten- und Tonträger wie Magnetband, Diskette, CD, DVD und MP3 erschweren es, das „Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit“ (Walter Benjamin) zu schützen. Im Internetzeitalter ist dies für den einzelstaatlichen Gesetzgeber fast unmöglich geworden, weil der Datenverkehr – dem Warenverkehr folgend – die Grenzen der Nation längst ebenso überschritten hat. Die Regierungen reagieren deshalb mit internationalen Handelsabkommen auf völkerrechtlicher Ebene auf die globale Verletzung von Urheberrechten. Diese Verträge sollen Immaterialgüterrechte schützen, also nicht nur Verwertungsrechte der Plattenindustrie, sondern auch deutsche Erfindungen und Patente, auf denen unser Wohlstand basiert. Dabei geht es nicht darum, Freiheitsrechte einzuschränken, sondern Freiheitsrechte wie die Eigentumsrechte durchzusetzen.

Niemand wird bestreiten können, daß Künstler und Erfinder von den Nutzungsentgelten ihrer Schöpfungen leben müssen. Im besagten „Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit“ reicht es nicht aus, ein Ölgemälde für mehrere hundert Taler an den Landesfürsten oder den Adel zu verkaufen. Im Gegenteil: Ein selbständiget Fotograf beispielsweise muß dafür Sorge tragen, daß jedet seiner Schnappschüsse – egal ob im Internetblog oder in der Papierzeitung – bezahlt wird. Ansonsten droht ihm der Gang zum Sozialamt!

Daß sich einerseits Konzerne die Taschen mit Verwertungsrechten füllen und Künstler leer ausgehen, ist ein Problem vermachteter Märkte. Nur Monopolisten können Bands in Knebelverträge zwingen und Kunden Einheitsprodukte aufzwingen. Daß sich andererseits Staaten das Urheberrecht zum Vorwand nehmen, um ihre Bürger im Netz zu überwachen, ist ein Problem der Verhältnismäßigkeit. Seit den preußischen Staatswissenschaftlern Adolph Wagner und Johannes Popitz weiß man, daß moderne Staaten ihre bürokratischen Tätigkeiten beständig ausdehnen und zentralisieren, wenn ihnen keine mutigen Bürger auf die Finger klopfen.

Das konservative Urteil über die Gefahr von Produktpiraterie im Netz sollte ausgewogen ausfallen. Nach dem römischen Rechtsgrundsatz audiatur et altera pars läßt sich durchaus ein Ausgleich zwischen den Eigentumsrechten kreativer Köpfe und der Netzfreiheit finden.

Dazu bedarf es vorerst einer Prise Anstand und Sitte. Kopieren – das macht man nicht. Wer sich allerdings nicht daran hält, muß mit harter Hand bestraft werden. Subsidiär sind also Absprachen und Gesetze nötig, die einfach und verständlich sind. Anderenfalls heißt es: Willkommen in der Anarchie!

 

Dr. Christian Schwießelmann, Jahrgang 1980, Studium der Politik- und Verwaltungswissenschaft, ist seit 2010 JF-Redakteur für Forum, Sein&Zeit und Online.

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