© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/12 02. März 2012

Vorbehalte und Aversionen
Frankreich: Der sozialistische Präsidentschaftskandidat Hollande positioniert sich weit links und national
Norbert Breuerpyroth

Einerseits hat François Hollande eindeutig an Gewicht verloren; der vordem rundliche Herr hat für den Wahlkampf merklich abgespeckt. Gleichzeitig hat er aber auch an politischem Gewicht noch einmal zugelegt: Als Präsidentschaftskandidat der Sozialistischen Partei (PS), deren Vorsitzender er von 1997 bis 2008 war, führt er derzeit vor dem amtierenden Präsidenten Nicolas Sarkozy.

Letzteren soll er, wie Le Parisien berichtet, im Januar vor einer handverlesenen Presserunde wie folgt imitiert haben: „Ich bin der Präsident des Mißerfolgs, ich bin ein gemeiner Kerl, aber in dieser schwierigen Zeit bin ich der einzig Fähige …“ Hollande selbst hat es indes auch nicht leicht: Sarkozy geißelte ihn kürzlich als „Lügner“, der Altmaoist Alain Badiou warnte, mit ihm „müsse sich Frankreich auf das Schlimmste vorbereiten“.

Nach einer letzten Umfrage von Le Monde liegt Monsieur Hollande dennoch mit 32 Prozent komfortabel vor dem Amtsinhaber (25 Prozent). In Sachen Endrunde würden sodann gar 59 Prozent Hollande, 41 nur Sarkozy wählen. Marine Le Pen vom Front National ist derweil, trotz Schützenhilfe von Schächtungsgegnerin Brigitte Bardot, von 19,5 auf 16 Prozent abgerutscht. Zudem hat sie erst 430 der nötigen 500 Unterschriften von sie befürwortenden Mandatsträgern erlangt – bis Mitte März muß sie die übrigen 70 zusammenhaben, sonst droht ihr das Aus.

Wer ist nun dieser François Hollande? Er wurde 1954 als Sohn eines politisch weit rechts stehenden Arztes und einer Sozialarbeiterin im nordfranzösischen Rouen geboren. Er ist Absolvent der Elitehochschule ENA, arbeitete als Rechtsanwalt und Professor für Ökonomie, erinnert im Habitus indes eher an einen Oberstudienrat à la weiland Hans Eichel. Hollande war Berater Mitterrands, Pressesprecher der Regierung Mauroy, Abgeordneter für das malerisch-altfranzösische Departement Corrèze, später dessen Präsident des Generalrates.

Was will Hollande? Erst spät, Ende Januar, enthüllte er sein Wahlprogramm. Der früher als eher fad geltende Franzose – Ex-Lebensgefährte der 2007 gescheiterten Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal, mit der er vier Kinder hat; inzwischen ist er mit der TV-Politikredakteurin Valérie Trierweiler liiert – wird überraschend kriegerisch. Sein Hauptwidersacher seien die Finanzmärkte. Große Banken will er zerschlagen, das Einlagengeschäft soll vom Investment-Banking abgespalten werden.

Seine Steuerreform soll explizit die Reichen ins Visier nehmen (Streichung von Steuervorteilen, Spitzensteuersatz von 75 Prozent für Einkommen ab einer Million Euro). Beamte werden hingegen umgarnt, es sollen Zehntausende neuer Stellen für Lehrer geschaffen werden. Ausländer sollen bei Kommunalwahlen stimmberechtigt sein. Das Verhältniswahlrecht will er einführen, gleiche Mann/Frau-Anteile in Regierung und Parteien durchsetzen. Abgeordnete sollen keine weiteren politischen Ämter bekleiden dürfen. Er propagiert die Abschaltung des ältesten AKW in Fessenheim (Elsaß). Und Frankreich soll natürlich groß bleiben. Im Fall seiner Wahl will er den in Brüssel ausgehandelten Stabilitäts- und Fiskalpakt neu verhandeln. Die Schuldenbremse lehnt er ab, will „Euro-Bonds“. Während Deutschland die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank tapfer verteidigt, will Hollande sie instrumentalisieren.

Blickwinkel Deutschland: Nachdem unter anderem der französische Sozialist Arnaud Montebourg der Kanzlerin vorgeworfen hatte: „Die Frage des deutschen Nationalismus kocht wieder hoch durch die Bismarcksche Politik von Madame Merkel“, replizierte der französische Außenminister Alain Juppé: „Ich finde es wirklich empörend, daß einige sozialistische Verantwortungsträger aus politischer Gehässigkeit die rote Linie übertreten. Die sozialistische Partei läuft Gefahr, alte deutschlandfeindliche Dämonen zu wecken, das ist ganz und gar unverantwortlich!“ Der frühere konservative Regierungschef Jean-Pierre Raffarin wetterte darauf gegen ein „kindisches Kräftemessen“, welches eben jener Sozialisten-Chef Hollande mit Deutschland angezettelt habe. Hatte der Gescholtene sich doch dergestalt eingelassen: „Seit einigen Monaten ist Frau Merkel diejenige, die entscheidet und Herr Sarkozy derjenige, der ihr darin folgt.“ Und legte nach: „Frankreich hat sich Deutschland unterworfen“. Den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag von 1963 will er gar durch ein neues Abkommen ersetzen.

Wahlkampfgetöse, um antideutsche Ressentiments zu bedienen? Einer im Auftrag der deutschen Botschaft in Paris zeitgleich erfolgten Umfrage nach ist die deutsch-französische Freundschaft nahezu graniten verankert: 82 Prozent der Franzosen geben an, entweder eine sehr gute (19 Prozent) oder eine ziemlich gute Meinung über Deutschland zu haben (63 Prozent).

Vorbehalte und Aversionen, die nicht zuletzt aus der als schmachvoll empfundenen Blitzkrieg-Besetzung im Zweiten Weltkrieg herrühren, kommen auch heute noch vor, zumeist jedoch weit humorvoller: In einer satirischen Fernsehsendung auf Canal Plus wandte sich kürzlich Angela Merkel – auf dem Stuhle des französischen Präsidenten vor der Trikolore sitzend – an die Franzosen. Zu Klängen der „Marseillaise“ weist sie die Franzosen wutschnaubend zurecht, die spaßigen Zeiten seien vorüber, jetzt gehe es an die (auf deutsch) „Arbeit“. Und sie selbst kümmere sich um alles. Mit deutschen Fähnlein winkende Franzosen – unter ihnen Präsident Sarkozy – begrüßen sodann jubelnd und unter dem Ruf „Merci, les Allemands“ eine Kolonne Bundeswehrpanzer, die mit Blasmusik nach Frankreich einziehen.

Die Wahlkampfunterstützung der deutschen Bundeskanzlerin wird in Frankreich als unglückliche Geste gesehen. Wer die sensible französische Seele kennt, gleich welcher Parteicouleur, würde auf eine solche deutsche Darbietung lieber verzichtet haben, da diese – ungewollt – einen Hauch von Demütigung erspüren lassen könnte. Was Wunder, daß Monsieur Hollande diese Unterstützung grimmig sieht. Daß die SPD nun ihrerseits den früheren langjährigen Sozialistenchef unterstützen möchte, ist hingegen als wenig spektakulär zu betrachten, da die SPD außer Altkanzler Helmut Schmidt kaum jemand zu bieten hat, der in Frankreich einen höheren Bekanntheitsgrad besitzt. Altkanzler Schröder bekundete im Le Figaro offen, es gebe „keinerlei Beziehung“.

Hollande zeigte auf dem SPD-Bundesparteitag im Dezember, daß er auch anders kann: „Wenn die Franzosen mir im nächsten Mai die Verantwortung übertragen, dann möchte ich diese Partnerschaft zwischen Frankreich und Deutschland verstärken im Dienste Europas. Ich setze mich für eine starke Allianz zwischen Deutschland und Frankreich ein. Ich möchte, daß unsere Partnerschaft respektvoll vonstatten geht.“

Der 57jährige – der durch Paris mit dem Moped fährt und zu seinen Lieblingsmusiktiteln „Je veux“ von Zaz zählt – hat wenig von der Noblesse eines Giscard d’Estaing, strahlt nicht die würdevolle Autorität eines de Gaulle oder den ironisch-rustikalen Charme von Chirac aus. Eines ist ihm aber doch zu eigen, was deutlich besser zu einem französischen Präsidenten paßt als die zuweilen aktionsgeladene Zappeligkeit des Amtsinhabers: Gelassenheit. Als ihm dieser Tage eine Frau bei einer Rede eine Tüte Mehl über den Kopf schüttete, setzte der arg Geweißte nach einer kurzen Reinigung seine Rede ungerührt fort.

Foto: Mehlanschlag auf François Hollande: Vor allem mit seiner Gelassenheit kann es der Sozialist mit dem aktionsgeladenen Sarkozy aufnehmen

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