© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/12 02. März 2012

Die Rechnung geht auf
Rußland: Vor der kommenden Präsidentschaftswahl hat Premier Putin das Heft wieder fest in der Hand / Russisch, pragmatisch und mißtrauisch zum Sieg
Thomas Fasbender

Wladimir Putin kann den russischen Präsidentschaftswahlen am 4. März beruhigt entgegenblicken. Das liegt nicht nur daran, daß ein geplanter Anschlag auf ihn zufällig aufgeflogen ist und er sich nun als unerschrockener Politiker darstellen kann. Auch die unabhängigen Umfragen sehen ihn mit Abstand an der Spitze. Eine Kehrtwende, wenn man bedenkt, welch breiter Widerstand sowohl der Regierungspartei „Einiges Rußland“ als auch dem Premier um die Jahreswende entgegenschlug.

Ende 2011 hatte das „Tandem“ aus Präsident Medwedew und Premier Putin vor allem beim städtischen Publikum massiv an Boden verloren. Beider freimütiges Eingeständnis, wonach Putins Präsidentschaftskandidatur 2012 schon vier Jahre zuvor vereinbart worden war, bald darauf die Manipulationen bei den Parlamentswahlen im Dezember – beides führte in der Bevölkerung zu heftiger Empörung darüber, wie man hier mit Staat und Wahlvolk umsprang.

Nach einer kurzen Phase der Unsicherheit haben die Kremloberen, voran der gewiefte Taktiker Putin, wieder Tritt gefaßt. Und sie haben aus der Geschichte gelernt: kein Niederknüppeln der Opposition. Die Abwicklung der Großveranstaltungen ohne den kleinsten Zwischenfall belegt, wie geschmiert das Räderwerk der Macht funktioniert.

Der zweite Schachzug folgte nach Jahresbeginn. Parallel zu den Aufmärschen der Opposition werden Aufmärsche pro Putin organisiert. Dort warnen die Redner in Erinnerung an die Ukraine 2004 vor einer „Orangenen Revolution“. Es sind Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle wie bei der Opposition, nur eben jene, die westlichen Vorstellungen distanziert begegnen und hinter dem liberalen Aktionismus immer auch Interessen in Washington und London sehen.

Jeder weiß, daß die Teilnehmer an den Pro-Putin-Demonstrationen zum wesentlichen Teil aus der Provinz kommen und mit Bargeld, Freifahrtschein und nachhaltigem Druck zur Teilnahme motiviert wurden. Dennoch geht die Rechnung auf. Der Eindruck haftet, daß es zumindest zwei Rußlands gibt, jedenfalls kein in oppositioneller Ablehnung seiner Obrigkeit geeintes Volk.

Die Empörung nach den Dumawahlen ist dem landesüblichen Achselzucken gewichen, die Emotionen sind weitgehend verdampft. Die schweigende Mehrheit stützt das System und stützt Putin. Dessen Strategie ist es, diese schweigende Mehrheit zu mobilisieren. Dazu dienen Zuckerbrot und Peitsche; für die Parteigänger des Kreml liegt darin nichts Verwerfliches. Wiegen in einer Demokratie die Stimmen der Stillen in der Provinz, die nicht so ohne weiteres zum Demonstrieren zu bewegen sind, geringer als jene der mobilen, gebildeten urbanen Mittelschichten?

Es scheint, daß Putin in diesen Monaten an der Vervollkommnung seiner „gelenkten Demokratie“ arbeitet. Die Rechtspopulisten mit ihrem Kandidaten Wladimir Schirinowski gehören schon seit Jahren als „systemische Opposition“ fest dazu, ebenso die Kommunisten unter Gennadi Sjuganow.

Allein die Liberalen und Demokraten standen bislang außen vor – aus eigenem Stolz und weil der Staat nicht wußte, wie er mit ihnen umgehen soll. Seit den Großdemonstrationen Ende 2011 ist offensichtlich, daß der Himmel nicht einstürzt, wenn sie auf der Straße ihre Meinung kundtun. In den Augen der Mehrheit sind das alles sowieso fremdländische Konzepte; das liberale Potential liegt bei maximal zehn bis fünfzehn Prozent. Auch der superreiche Oligarch Michail Prochorow, selbst Präsidentschaftskandidat, wird es am 4. März nicht in Stimmen umsetzen können.

Putin steht weiterhin für eine russische Politik der Mitte. Er muß die Demokraten integrieren, da sie bei der Modernisierung Rußlands unerläßlich sind. Und er braucht sie zur Bändigung der einzigen Opposition, die irgendwann die Macht ergreifen könnte: Nationalisten und Sozialisten. Aber die Integration vollzieht sich nach seinen Regeln. Regeln, die in Moskau geschrieben werden, nicht in Washington, London oder Berlin. Russisch, pragmatisch und mißtrauisch ist seine Politik, und spricht damit die Mehrheit der Wähler an.

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