© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/12 02. März 2012

Auslagern und kein Ende
Problemfall Outsourcing: Trotz mancher schlechter Erfahrungen boomt das Geschäft mit der Ausgliederung von Arbeitsplätzen
Marco Meng

Das Geschäft „Outsourcing“ glänzte im vergangenen Jahr in Europa mit einem Rekordergebnis. Bezogen auf Deutschland, Österreich und die Schweiz erhöhte sich das Gesamtvertragsvolumen der Auslagerung von Geschäftsfeldern ins Ausland auf mehr als 11,2 Milliarden Euro.

Allein die Auslagerung des IT-Bereichs von Siemens an den französischen Konzern Atos beziffert sich auf 5,8 Milliarden Euro. Bezieht man die Auslagerung wie Datenverarbeitungs-, Buchhaltungs- und Telefondienstleistungen innerhalb Deutschlands mit ein, ergab das 2011 ein Volumen von fast 20 Milliarden Euro. Davon entfielen gut 13 Milliarden Euro auf das Auslagern von Informationstechnologie und rund 6,3 Milliarden Euro auf das sogenannte Business-Process-Outsourcing (Auslagerung kompletter Geschäftsprozesse). Insbesondere „Cloud Computing“ würde dem Outsourcing-Markt zusätzlichen Schwung verleihen. Beim „Cloud Computing“ (siehe Infokasten) werden IT-Leistungen als Service über das Internet erbracht.

„Osteuropa gewinnt an Akzeptanz“

Eine aktuell veröffentlichte Studie der Steria Mummert Consulting – bezeichnenderweise jedes Jahr unter der gleichen Überschrift – besagt: „Osteuropa gewinnt an Akzeptanz beim Outsourcing“. Demnach befürworteten rund drei Viertel der deutschen Unternehmen die Auslagerung von Geschäftsaktivitäten in östliche Nachbarstaaten wie Polen oder Tschechien – ein Plus von 18 Prozent. Die Auslagerung von Geschäftsprozessen sei besonders in der Branche Transport und Logistik (25 Prozent) und bei Banken (24 Prozent) beliebt. Auch in der IT-Branche lassen 24 Prozent der Unternehmen Leistungen in Osteuropa erbringen. Einzig der Handel und Versicherungen lagern mit acht Prozent nur sehr vorsichtig Infrastruktur-Projekte nach Osteuropa aus.

Der größte Hinderungsgrund für „Outsourcing“ seien nach wie vor Bedenken wegen der Datensicherheit. Probleme mit der Sprache Englisch nennen 62 Prozent. Genauso viele sehen auch Probleme darin, daß Dokumentationen und Anwendungen nur auf deutsch vorliegen und folglich von Mitarbeitern des Dienstleisters nur schwer verstanden würden.

Was die Studie indes weniger propagiert ist die Tatsache, daß bei manchen Unternehmen, die Geschäftsfelder in „Billiglohnländer“ verlagerten, der Trend wieder zurück nach Deutschland geht – weil die Erfahrungen im Ausland letztlich teuer bezahlt wurden. Die Siteco Beleuchtungstechnik GmbH hat beispielsweise 2007 ihren Produktionsstandort im slowenischen Maribor geschlossen und zurück nach Deutschland verlagert, 2008 holte die Neuenfelder Maschinenfabrik wichtige Teile der Produktion aus dem chinesischen Yangzhong nach Hamburg zurück, der Batterienhersteller Varta hat 2009 seine Produktionsstraße in China wieder abgebaut und nach Dischingen zurückverfrachtet.

Nicht nur bei deutschen Firmen ist hier Ernüchterung eingetreten, vor allem natürlich je weiter das entsprechende Land entfernt liegt. Auf jede vierte bis sechste Verlagerung folgt innerhalb von vier bis fünf Jahren eine Rückverlagerung. Die Zahl enttäuschter deutscher „Globalisierungsabbrecher“ liegt jährlich bei über 500 Unternehmen.

Bereits knapp die Hälfte der Unternehmen, die ihre IT-Dienstleistungen einst ausgelagert hatten, bereuen heute ihre Entscheidung, denn erhoffte Kosteneinsparungen von 50 Prozent haben sich als unrealistisch erwiesen und stehen mangelhaften Dienstleistungen und umständlicher Kommunikation gegenüber. Wie die Computerwoche Ende 2011 berichtete, führen rund ein Viertel aller IT-Outsourcing-Verträge zu Streitigkeiten mit dem externen Dienstleister.

Nachdem seit Ende der 1970er Jahre die Großkonzerne damit begonnen hatten, sich weltweit in wachsendem Tempo Produktionsstätten aufzubauen und kostenintensive Sparten auszulagern, versuchten das seit den 1990ern zunehmend auch mittelständische Unternehmen. Allen voran die Textilbranche, die von den oftmals katastrophalen Arbeitsbedingungen in Fernost profitiert. Arbeitsplätze wurden geschaffen – nur leider nicht in Deutschland, sondern der Brillenhersteller Rodenstock schuf welche in Tschechien, die Reifenfirma Continental in Rumänien, VW in der Slowakei. Rund vier Milliarden Euro jährlich haben deutsche Firmen somit in den vergangenen Jahren in Mittel- und Osteuropa investiert.

Doch die Frage, wie viele hiesige Arbeitsplätze diese Auslandsinvestitionen gekostet haben, läßt sich kaum beantworten, sowohl Gewerkschaften als auch Unternehmen hüllen sich da in Schweigen. Heute beschäftigen deutsche Unternehmen und Beteiligungsfirmen in Osteuropa etwa 800.000 Menschen. Daß sich die Verlagerung von arbeitsintensiven Sparten ins Ausland nicht immer rentiert, zeigen die Beispiele Schiesser und Trigema. Letztere mit fast achtzig-prozentiger Wertschöpfung und nur geringer Abhängigkeit von Zulieferern produziert nur in heimischen Gefilden, ersterer mit Produktionsgesellschaften in Griechenland, Tschechien und der Slowakei mußte 2009 Insolvenz anmelden.

Die Mittelständler erwarteten sich große Märkte oder billige Produktion, wie beispielsweise in der Ukraine, wo man Mietwohnungen in Büros umfunktioniert hat und jetzt an Schreibtischen junge Männer und Frauen vor Computern sitzen. Das Geschäft mit „Callcentern“ funktioniert zwar nicht gut (mangels Sprachkenntnissen), aber Netzseiten oder Programme werden hier entwickelt – während in Deutschland bei der Bundesagentur für Arbeit mehr arbeitslose IT-Fachkräfte als offene Stellen gemeldet sind. Die Zahl der arbeitslosen Datenverarbeitungsfachleute lag 2011 bei 27.800 Personen.

Nicht nur Vor-, sondern auch viele Nachteile

Die Hauptgründe dafür, Geschäftsfelder auszugliedern, sind Kosteneinsparungen und „Konzentration aufs Kerngeschäft“. Das führt aber nicht selten dazu, daß man über das Ziel hinausschießt: Auch Aufgaben, die teuer und aufwendig sind, gehören eben zu einem Unternehmen dazu; sie auszulagern bedeutet nicht selten, sich in unkalkulierbare Abhängigkeit zu begeben. Das kann dazu führen, daß ein Unternehmen ohne eigenes Verschulden Schaden durch die Probleme ihrer externen Dienstleister erleidet. Gesamtprozesse, bei denen vormals von eigenen Mitarbeitern Probleme schnell selber gelöst wurden, sind heute so kompliziert, daß die Lösung eines Problems nun oft länger dauert.

Nach der ersten Euphorie ist Ernüchterung eingetreten. Länder wie Tschechien melden mittlerweile einen Rückgang der ausländischen Kapitalzuflüsse. Zudem blieben die sogenannte „Billiglohnländer“ nicht lange billig, da zumindest die Lohnforderungen in Osteuropa rasch anstiegen. Sowohl Indien als auch Polen werden in den nächsten Jahren kräftige Lohnzuwächse zu verzeichnen haben. Eine Umfrage des Informationstechnik-Magazins CIO über die Verlagerung von Programmier- oder Datenverarbeitungsaufgaben an Dienstleister im Ausland ergab, daß bis zu 53 Prozent der Auslagerer „überhaupt keine positiven Resultate verzeichneten.“

Quer durch Branchen und Wirtschaftsbereiche erzählen Unternehmensberater von Klagen: mangelnde Qualität, Probleme bei Lieferzeiten oder -mengen, zudem seien Nebenkosten oft unerwartet hoch. Anscheinend sind hier viele bei der Planung nicht ganz ehrlich zu sich selbst: Laut einer Studie der Warwick Business School haben weniger als die Hälfte der befragten Chefs von IT-Abteilungen versucht, die Wirtschaftlichkeit eines geplanten IT-Outsourcings zu quantifizieren. Nur ein Fünftel der Abteilungsleiter, die Wirtschaftlichkeitsberechnungen durchführten, vertraute dem Ergebnis.

Lohnt sich also der Aufwand überhaupt, Geschäftsbereiche auszulagern oder an externe Dienstleister zu vergeben? Die Verlagerung von Geschäftsfeldern ins Ausland ist natürlich vor allem für Großkonzerne interessant, insbesondere, wenn die Billiglohnländer auch gleichzeitig wichtiger Absatzmarkt sind (oder werden können) wie China. In Osteuropa ist in diesem Bereich allerdings nicht mehr viel zu erwarten. Eine umfassende Wirtschaftlichkeitsrechnung müßte für Unternehmen außerdem alle relevanten Kosten einer Auslagerung beinhalten, was oftmals gar nicht möglich ist: Die Qualität der ausgelagerten Prozesse, die Abhängigkeit von Drittunternehmen, etwaiger Verlust von Kundennähe, der Schutz des Know-hows, wie will man das im voraus berechnen? Ferner wird selten einkalkuliert, daß die Fluktuationsraten von Mitarbeitern im Ausland sehr hoch sind: Die Beschäftigten, die dort meist nur befristete Verträge teilweise zu prekären landesüblichen Konditionen haben, wechseln deutlich schneller dorthin, wo ihnen mehr Lohn geboten wird.

Zudem wird die Kommunikation zwischen Fertigung und Planung, aus denen neue Ideen für Verbesserungen entstehen, beim Auslagern einzelner Prozesse erschwert oder gar abgewürgt. So mußten viele Unternehmen feststellen, daß sich zwar durch „Outsourcing“ kurzfristig unmittelbar Kosten reduzieren lassen, langfristig es aber oft trotzdem teurer werden kann. Kostenorientierung als Motivation für Outsourcing vergißt dabei oft Qualität und Innovation. Auch das Betriebsklima kann mittels profitoptimierendem „Outsourcing“ negativ beeinflußt werden. Zwei-Klassen- Mitarbeiter, Mitarbeiter, die um ihre Arbeitsplätze fürchten, Mitarbeiter, die nur schwer miteinander kommunizieren können, steigern nicht die Produktivität.

Doch trotz aller Unbill und Negativschlagzeilen à la „Vaterlandslose Gesellen auf der Chefetage“ (Wirtschaftswoche) zeigte sich der Präsident des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) Dieter Kempf, optimistisch,daß gerade der IT-Sektor in diesem Jahr dank „Outsourcing“ und „Cloud Computing“ um 4,5 Prozent auf 73 Milliarden Euro wachsen wird.

 

Cloud Computing

Geht es um die Optimierung von Geschäftsabläufen, Personalabbau und die Steigerung des Umsatzes gilt im IT-Bereich neben dem klassischen Outsourcing das Cloud Computing als Nonplusultra. Es soll die kostenintensive Bereitstellung von Bürofläche, Servern, Kühlung und Software sowie teure Technikereinsätze und Upgrades ersetzen. Dabei werden IT-Produkte und -Dienstleistungen auf den Großrechnern externer Dienstleister wie Microsoft, Google, Amazon, Apple, T-Systems oder IBM zum Abruf bereitgestellt. Hierbei bezahlt der Kunde nur für die von ihm in Anspruch genommene Datenmenge. Aufgrund erheblicher Skepsis in puncto Sicherheit, Vertraulichkeit, Transparenz und Zuverlässigkeit, steckt das Cloud Computing in Deutschland noch in den Kinderschuhen.

Foto: Kunshan Huaqiao International Service Business Park: Seit Jahren ist China eine der führenden Nationen in der Outsourcing-Industrie, doch die Osteuropäer holen auf

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