© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/12 02. März 2012

Hohepriesterin des Eigennutzes
Libertäre: 30 Jahre nach ihrem Tod ist der Einfluß der libertären Autorin Ayn Rand größer denn je
Michael Wiesberg

Je länger die US-amerikanische Schriftstellerin, Radikalkapitalistin und Philosophin Ayn Rand tot ist, desto mehr Einfluß gewinnen offensichtlich ihre Ideen. Dies gilt nicht nur für libertäre Kreise, wo sie seit langem in hohem Ansehen steht. Vor allem in den USA wird sie zu den wirkmächtigsten Autoren gerechnet, deren über 1.000 Seiten umfassendes Hauptwerk „Atlas Shrugged“ (1957) eine steigende Zahl von Amerikanern ihren Präsidenten neben der Verfassung und der Bibel als Bettlektüre empfehlen würde. Zu ihren Jüngern zählte selbst der ehemalige US-Notenbankchef Alan Greenspan, der seine erste Begegnung mit ihr in seiner Biographie beschrieb: „Ihr Gesicht wirkte dramatisch, fast streng, mit seinem großen Mund, der breiten Stirn und ihren dunklen intelligenten Augen (…) Sie war erbarmungslos analytisch und bereit, jeden Gedanken auseinanderzunehmen, um ihm auf den Grund zu gehen.“

Auch in Deutschland steigt der Bekanntheitsgrad von Ayn Rand seit Jahren; das Deutsche Theater Berlin inszenierte letztes Jahr zum Beispiel ihren Erfolgsroman „The Fountainhead“ („Der ewige Quell“) aus dem Jahr 1943. In diesem Roman, der zu ihrem ersten Bestseller wurde, finden sich bereits wesentliche Ideen ihres Weltbildes. Ihr Menschen-ideal spiegelt sie insbesondere in der Figur des Architekten Howard Roark, der wegen seiner eigenwilligen Ideen viele Rückschläge einstecken muß. Unter anderem sieht er sich gezwungen, ein Wohnungsbauprojekt zu sprengen, weil es nicht nach seinen Plänen umgesetzt worden war. In dem sich anschließenden Schadensersatzprozeß kann sich Roark so geschickt verteidigen, daß er nicht nur freigesprochen wird, sondern von einem einflußreichen Medienunternehmer und Grundstücksspekulanten sogar noch den Auftrag erhält, den höchsten Wolkenkratzer New Yorks zu bauen.

Roarks Plädoyer am Ende dieses Romans fokussiert wesentliche Kernanliegen der Randschen Ideenwelt: die großen Schöpfer, Denker, Künstler oder Forscher standen immer allein; am Ende siegten sie aber doch. Jeder Mensch müsse entscheiden, ob er ein Leben als „Schmarotzer“, der sich auf Kosten anderer bereichert, führen wolle oder ein Leben als selbstbestimmtes Individuum, das egoistisch seinen Weg geht. Normale Menschen betrachteten es nach Rand als ihre Hauptaufgabe, das Leiden der Mitmenschen zu bekämpfen. Ihnen gegenüber stünde der schöpferische Mensch, der nicht auf Krankheit eingestellt sei, sondern auf Leben. Unter dem Strich trage er durch seine Hervorbringungen deutlich mehr zur Linderung menschlicher Leiden bei, als es sich „Normalsterbliche“ vorstellen könnten. Egoismus, so versucht Rand hier zu vermitteln, muß deshalb als Tugend begriffen werden, Altruismus hingegen als Schwäche. Diese Maxime, eine Art Umkehrung des christlich-jüdischen Humanismus, bestimmte zeit ihres Lebens ihr Denken.

Wie wurde Ayn Rand zu dem, was sie war? Prägend sollte für die im Januar 1905 als Alissa Rosenbaum in Sankt Petersburg geborene Tochter deutschstämmiger Juden die Russische Revolution werden, bei der ihr Vater enteignet wurde und ihre Familie verarmte. Dennoch gelang es ihr, ein Studium aufzunehmen. Nach dessen Abschluß begann sie eine Ausbildung als Drehbuchschreiberin am Staatlichen Institut der Filmkünste. Ein befristetes Visum zum Besuch von Verwandten in den USA nutzte sie, um der Sowjet-union definitiv den Rücken zu kehren.

In den Vereinigten Staaten fand sie in dem Filmregisseur Cecil B. DeMille schnell einen Förderer, der ihr eine Anstellung verschaffte. 1931 wurde sie US-Staatsbürgerin. 1936 veröffentlichte sie ihren ersten Roman „We the Living“ („Vom Leben unbesiegt“), in dem sie ihre Jugenderfahrungen in Rußland schildert, vor allem aber die Übel kollektivistischer Systeme geißelt. Der Geist vieler US-Intellektueller in dieser Zeit stand indes links; entsprechend reserviert wurde Rands Romanerstling aufgenommen.

Die Entfaltung ihres Weltbildes, Objektivismus genannt, das in „The Fountainhead“ bereits als eine Art Ostinato das Geschehen bestimmt, erfolgt dann konsequent in ihrem Hauptwerk „Atlas Shrugged“ (dt. „Atlas wirft die Welt ab“ bzw. „Wer ist John Galt?“). In ihm sehen sich die Protagonisten, unter anderem das Erfindergenie John Galt, unentwegt durch mediokre Gestalten aller möglichen Provenienz bedrängt, die ihnen in den Arm fallen wollen. Rand versucht zu zeigen, daß diese Schöpfergenies die Welt in Gang halten und daß deren Untätigwerden das Ende der Zivilisation nach sich ziehe. Damit sich diese Genies entfalten können, bedürfe es eines Laissez-faire-Kapitalismus; jedes Eingreifen des Staates, das über militärische und polizeiliche Aufgaben hinausgehe, behindere oder ersticke deren Kreativität. „Es sind diese wenigen“, so Rand, „die die Welt bewegen und ihrem Leben Sinn geben – und diese wenigen sind es, die ich immer versucht habe anzusprechen.“ Spätestens „Atlas Shrugged“ machte Rand zur „Hohepriesterin des Eigennutzes“, wie es der Amerikanist Gert Raeithel in seiner „Geschichte der nordamerikanischen Kultur“ (1995) ausdrückte.

Umstritten sind bis heute die ethisch-politischen Konsequenzen ihres Weltbildes; so zum Beispiel die Ablehnung finanzieller Unterstützung von Armen, Kranken und Alten durch den Staat. Aus der Sicht von Rand handelt ein Staat unmoralisch, wenn er ein „soziales Netz“ errichtet oder wirtschaftliche Prozesse zu regulieren versucht. Die Aufgabe des Staates bestünde einzig darin, dem Laissez-faire-Kapitalismus zu sekundieren. Oder anders gewendet: Er hat den Lichtgestalten des Kapitalismus den Weg frei zu machen, damit diese im wohlverstandenen Eigennutz handeln können.

Wer hier auch den Geist Friedrich Nietzsches zu verspüren meint, der liegt nicht falsch. Zwar hat Ayn Rand nie offen bekannt, von diesem dezidierten Gegner der Aufklärung beeinflußt worden zu sein, ihre „heroischen Kapitalisten“, wie der Publizist Hannes Stein in einem Beitrag für die Welt anmerkte, wirken dessenungeachtet wie Verkörperungen des Nietzscheschen Übermenschen, die dessen Tugenden in sich vereinen. Sie treten mit jenem selbstgewissen, elitären Gestus auf, der Nietzsche mit Sicherheit gefallen hätte. Ein Gestus, den Rand selbst zeitlebens gepflegt hat – und der die am 6. März 1982 verstorbene Radikalindividualistin bis heute zum erklärten Feindbild von Linksintellektuellen macht.

David Schah: Ayn Rand. Ihr Leben. Lichtschlag Buchverlag, Düsseldorf 2008, gebunden, 180 Seiten, 19,90 Euro

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