© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/12 02. März 2012

Zeitschriftenkritik: Der Hauptstadtbrief
Sprengsatz für Europa
Thorsten Thaler

Mit einer fundierten Kritik am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) hat sich der renommierte Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek im Hauptstadtbrief zu Wort gemeldet. Der Geschäftsführende Direktor des Instituts für Öffentliches Recht der Universität Freiburg hatte die Verfassungsbeschwerden gegen den Vertrag von Lissabon und den Euro-Stabilisierungsmechanismus EFSF mit Gutachten unterstützt. Mit dem ESM soll ab Mitte 2012 ein dauerhafter und auf völkerrechtlicher Ebene institutionalisierter Bail-out-Mechanismus zur Verfügung stehen. Das heißt, künftig haftet die Europäische Union beziehungsweise ihre Mitgliedstaaten für die Schulden anderer Mitgliedstaaten.

Dazu schreibt Murswiek in der aktuellen Ausgabe des Informations- und Hintergrund-Dienstes aus Berlin (106/2012): „Die Bundesregierung ist dabei, mit ihrer – natürlich gut gemeinten – Rettungspolitik Deutschland zum unbeliebtesten Land in Europa zu machen und die Früchte der europäischen Völkerverständigung zu vernichten. (…) Die Bundeskanzlerin will den Euro retten, um den Frieden in Europa zu sichern. Jetzt sehen wir, daß die Rettungspolitik in einem seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gekannten Ausmaß den Völkerhaß schürt und daß sie nicht nur ungeeignet ist, die Euro-Krise zu lösen, sondern daß sie einen Sprengsatz an die Idee der europäischen Einigung legt, der zu dienen sie sich doch verpflichtet fühlt.“ Mit einem nicht mehr befristeten ESM entscheide sich die Politik „für eine dauerhafte Bail-out-Politik mit dauerhaften dirigistischen Eingriffen in die nationale Haushalts-, Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik der Mitgliedstaaten und mit Sozialisierung der von privaten Finanzinstituten unverantwortlich eingegangenen Risiken“. Mit dem ESM werde nicht nur eine „dirigistische, zentralistische und marktwirtschaftsfeindliche“ Politik fortgesetzt, schreibt Murswiek weiter, sondern diese Institution sei „in sich selbst undemokratisch“.

Deutlich zur Euro-Krise und besonders dem zweiten „Rettungspaket“ für Griechenland äußert sich auch Roland Tichy, Chefredakteur der Wirtschaftswoche. Den Bundestagsabgeordneten schreibt er ins Stammbuch, sie seien „Gefangene ihrer bisherigen Fehlentscheidungen, ihres mangelnden Muts vor vermeintlichen Fachleuten der Fraktion und nicht durchdachter Europa-Begrifflichkeit“. Der Euro sei nur eine Währung, „nicht mehr und nicht weniger, er funktioniert mit mehr oder weniger Mitgliedern und er ist nicht Europa“. Währungspolitik eigne sich nicht für europäische Symbolpolitik. Bislang aber, so Tichy, werde der Euro „zur Symbolpolitik mißbraucht – ein Mißbrauch, der den gemeinsamen Wohlstand und sogar das politische Projekt gefährdet“.

Die Verschuldung, sekundiert der Volkswirtschaftler Stefan Homburg, Direktor des Instituts für Öffentliche Finanzen in Hannover, werde auf Jahre hin ein Dauerproblem Europas und eine Belastung der europäischen Beziehungen sein.

Kontakt: Hauptstadtbrief Berlin, Tempelhofer Ufer 23-24,10963 Berlin, Tel.: 030 / 21 50 54 00. Das Einzelheft kostet 5 Euro, ein Abonnement für sechs Ausgaben 25 Euro. www.derhauptstadtbrief.de

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