© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/12 09. März 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Ungewaschener Zeitgeist
Paul Rosen

Schummriges Licht, verdreckter Fußboden, Treppen wie Hühnerleitern, schlechte Luft, und die Toilette mag man gar nicht erst aufsuchen. Die Rede ist von den Berliner Clubs, wo alle, die sich „hip“ fühlen, am Wochenende unbedingt sein müssen. Das Leben pulsiert in diesen Läden selten vor Mitternacht; der Tag und helles Licht sind der natürliche Feind solcher Etablissements und der (meisten) Besucher. Diese Umgebung könnte man als politikfreie Zone verorten. Doch weit gefehlt. Die untote FDP traute sich für den Medientreff der Bundestagsfraktion in das „Department“ im alten Postfuhramt der Oranienburger Straße neben der Synagoge in Berlin-Mitte. Eingeweihte kannten den zwischenzeitlich geschlossenen Club noch unter dem Namen „Rodeo“.

Solche Läden sind in Berlin bei den „Hipstern“, wie die mit dunklen Hornbrillen und Schals ausgerüsteten Partygänger in Begleitung ihrer gestiefelten Damen genannt werden, der absolute Knaller. Je abbruchreifer das Gemäuer ist, desto abgefahrener der Club darin. Heute noch wird vom „Tresor“ geschwärmt, der sich im Keller eines früheren Bankgebäudes befand. Auch Promis zieht es in Ruinen. So hält Günther Jauch seine Talk-Sendung im alten Gasometer in Schöneberg ab. Das „E-Werk“ in Mitte, das früher der Elektrizitätsversorgung diente, kann für Empfänge und Feiern gebucht werden – wenn man einen Termin bekommt. Und selbst die Herren im Nadelstreifen von der deutschen Industrie zogen zur Jahresversammlung in den bereits weitgehend entkernten Palast der Republik kurz vor dessen endgültigem Abriß. Der „Klassenfeind“ wollte den Sieg über die Sozialisten genießen.

Nur was wollte die FDP im alten Postfuhramt? Der Andrang war groß. Jeder, der irgendwas mit Medien in Berlin-Mitte macht und es auf die FDP-Einladungliste schaffte, war auch da, um von Fraktionschef Rainer Brüderle zu hören, daß man bei der nächsten Wahl in alter Stärke wieder in den Bundestag kommen werde. Von der Umgebung irritierte Kellner eines Catering-Service schleppten Tabletts mit großen Rotwein-Kelchen, Bier gab es nur aus der Flasche. Das Essen war undefinierbar – ganz hipstermäßig – klein geschnitten in Gläsern. Statt guten Appetit wünschten sich Gäste „viel Glück“.

Im überfüllten „Kuppelsaal“ lief unterdessen in Endlosschleife ein Video, wie gut der Euro für Europa und Deutschland sei. Um das zu dokumentieren, lief der Bombenabwurf eines Flugzeugs aus dem Zweiten Weltkrieg rückwärts. Es sah so aus, als ob die Bomben ins Flugzeug zurückfliegen und sollte suggerieren, daß die FDP-Politik für Frieden und Euro und damit gegen Euro-Kritiker Frank Schäffler aus den eigenen Reihen steht.

Die Veranstaltung war ein Fanal. So wenig wie ihrer derzeitigen Politik würden die meisten ihrer Wähler den Liberalen in einen schmuddeligen Club folgen, nach dessen Besuch man das Bedürfnis nach gründlicher Desinfektion verspürt. Wer überzeugend bürgerliche Politik machen will, sollte auch bürgerlich leben und nicht dem ungewaschenen Zeitgeist hinterherlaufen.

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