© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/12 09. März 2012

Assimilation und Integration
Der kleine Unterschied
von Rolf Stolz

Angesichts einer krisengeschüttelten globalisierten Welt, angesichts einer Zuwanderungspolitik ohne Verantwortlichkeit, Planmäßigkeit und Berechenbarkeit ist der weitere Verlauf des Menschen- und Katastrophenexperiments „multikulturelle Gesellschaft“ nur mit einer hohen Unsicherheit vorherzusagen. Vielfältige Binnen- und Außeneinflüsse können nur sehr unvollkommen einkalkuliert werden, zumal jedes politische Eingreifen die gegebene Situation verändert.

Eines aber steht fest: Das Niederreißen aller Grenzen und das Aufheben aller Zuwanderungsbeschränkungen würde die Konflikte verschärfen und zum kalten oder heißen Bürgerkrieg führen. Ohne Grenzen zwischen den eigenen Leuten und den Fremden, zwischen alten und neuen Deutschen einerseits und den Ausländern innerhalb und außerhalb unseres Landes andererseits gibt es keine Selbstbestimmung und keine verantwortbare Zuwanderungspolitik. Andererseits werden wir nicht in die fünfziger Jahre zurückkehren können, als die Deutschen weitgehend für sich lebten. Jede rückwärtsgewandte Nostalgie, jede „Ausländer raus“-Orientierung – ob in der rabiaten Rigidität der NPD oder etwas sanfter und differenzierter – ist hilf- und heillos.

Das sollte uns aber nicht daran hindern, im kritischen Rückblick festzuhalten, daß die Politik des „Gastarbeiter“-Transfers alles andere als ein zwangsläufiges Naturereignis gewesen ist. Sie folgte einer bewußten Entscheidung für eine Politik, die mittels Wählertäuschung und im höheren Interesse des eigenen Machterhalts zeitweilige Arbeitsmarktprobleme löste, Gewinne privatisierte und langfristige Kosten sozialisierte, sprich dem deutschen Volk aufbürdete.

Auch der Asylmißbrauch durch eine unerfreuliche Minderheit von Wirtschaftsflüchtlingen war ebensowenig alternativlos wie die als Türöffner für eine Zuwanderung ins orientalisch-muslimische Ghetto genutzte „Familienzusammenführung“. Was Christopher Caldwell in seinen „Reflections on the Revolution in Europe. Immigration, Islam and the West“ (London 2009) schreibt, war vor 50 Jahren schon vorhersehbar und wurde von Kritikern damals vorhergesagt: „Europa hat seinen Bedarf an Arbeitskraft von Zuwanderern überschätzt. Der wirtschaftliche Nutzen, den die Zuwanderung gebracht hat, war minimal und temporär. Er ist längst Vergangenheit. (…) Immigranten beanspruchen die Sozialsysteme mehr, als sie dazu beitragen.“

Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) äußerte im Fernsehen klipp und klar: „Sieben Millionen Ausländer sind eine Fehlentwicklung.“ Soll Zuwanderung die nicht geborenen Kinder ersetzen, kommt man zu absurden Konsequenzen: Die Vereinten Nationen haben unter dem Stichwort „Replacement Migration“ (ersetzende Zuwanderung) selbst berechnet, daß dafür seit 1960 mehr als 700 Millionen Zuwanderer nach Europa hätten strömen müssen. Das sind weit mehr Menschen, als jetzt hier leben – und es hätte unzweifelhaft zu Mord und Totschlag geführt.

Assimilation bezeichnet ein Ähnlich-Werden beziehungsweise ein Sich-ähnlich-Machen durch Einzelpersonen oder ganze Gruppen der Bevölkerung, bei dem eine Minderheit sich in eine Mehrheit einfügt und ganz oder zumindest partiell mit ihr verschmilzt. Assimilation hat kulturell-sprachliche Aspekte, aber es geht nicht zuletzt um eine emotionale Fundierung im Sinne einer Identitätsveränderung. Eine große Rolle spielt hier die kollektive und individuelle Einschätzung der Aussichten, langfristig von der Mehrheit akzeptiert und in ihre Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Ist diese Einschätzung optimistisch, wächst die Bereitschaft zur Assimilation.

Die 1964 von dem US-amerikanischen Soziologen Milton Myron Gordon in seinem Buch „Assimilation im amerikanischen Leben. Die Rolle der Rasse, der Religion und der nationalen Herkünfte“ entwickelte Theorie der Assimilation sieht in einem Sieben-Stufen-Prozeß die kulturelle Assimilation (Akkulturation) als Ausgangspunkt des Assimilationsprozesses. Ihr folgen die strukturelle Assimilation (Akkommodation, also Eintritt in Organisationen der Kerngesellschaft), die eheliche Assimilation (Amalgamierung) durch interethnische Familienbildung, die identitätsbezogene Assimilation (Entwicklung eines Zugehörigkeitsgefühls zur Aufnahmegesellschaft), die einstellungsbezogene Assimilation (Aufgabe alter Vorurteile), die verhaltensbezogene Assimilation (Verschwinden von Diskriminierungen), die staatsbürgerlich-gesellschaftliche Assimilation (Verschwinden von Wertkonflikten und Machtkämpfen). Assimilation ist somit ein Prozeß, der mit Kontakten, Austausch und der Verminderung von Abgrenzungen beginnt und schließlich durch Vermischung zur Bildung einer einzigen neuen Gruppe führt.

Integration meint demgegenüber einen dynamischen, langwierigen und sehr komplexen Prozeß des Zusammenfügens und Zusammenwachsens, bei dem auf der Grundlage einer Wertgemeinsamkeit (zum Beispiel der Vorstellung von Leistungsgerechtigkeit) nach und nach eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft entsteht. Dies führt zu einem Einbeziehen von Menschen, die zunächst einmal ausgeschlossen waren beziehungsweise sich von sich aus in Sondergemeinschaften abgeschlossen hatten.

Anders als die Assimilation zielt die Integration nicht auf die Verschmelzung und nicht einmal das ausgeprägte Ähnlich-Werden ab, sondern dient der Aufrechterhaltung der Verschiedenheit als eigene Einheit, die unter dem gemeinsamen Dach eines Staates und einer Gesellschaft mit anderen sozialen Einheiten kooperiert. Eine gewisse Veränderung von Werten, Normen und Einstellungen der Migranten findet auch bei den Nur-Integrierten statt, aber sie wird nicht aktiv gewünscht und betrieben, sondern eher halbbewußt erduldet – abgespalten in einen inneren Sektor, den man weiter unter Kontrolle jenes übermächtigen Über-Ichs zu halten versucht, das von dem teils realen, teils fiktiv in sich selbst aufgebauten Kollektiv der Herkunftsnation bestimmt wird.

Bei der Assimilation stehen eine gemeinsame Kultur und das Bemühen um Aufnahme in das Staatsvolk im Mittelpunkt. Dagegen kooperieren bei der Integration verschiedene Subkulturen, Ethnien, nationale Minderheiten mehr oder weniger gut. Diese grundsätzliche Differenz wird in der Politik bewußt oder aus Unfähigkeit verwässert und verwischt. Der vorherrschende nationale Nihilismus und die Dominanz eines verdummenden Neoliberalismus verhindern eine klare Sicht auf die gesellschaftlichen Bruchlinien und Konflikte, sie führen zu einer totalen Konfusion der Begriffe und Konzepte.

Schauen wir auf die Situation der Zuwanderer in Deutschland, so finden wir Menschen, die auf dem Wege sind, zu Deutschen zu werden – über die Staatsangehörigkeit hinaus oder sogar noch vor dem Erwerb der Staatsangehörigkeit, also assimilierte oder doch zumindest assimilationswillige neue Deutsche. Zudem existieren Migranten, die ein gewisses Zugehörigkeitsgefühl zur Aufnahmegesellschaft entwickelt haben, aber weder hier noch da zu Hause sind und unter ihren Füßen keinen festen Standort spüren. Hybrididentitäten, gespaltene Persönlichkeiten, was die Loyalität zu ihren Vaterländern betrifft.

Darüber hinaus gibt es gesellschaftlich integrierte Menschen, die zwar in Deutschland angekommen sind, aber sich nicht zum deutschen Volk zugehörig fühlen und die sich implizit als Gäste auf Zeit oder als potentielle Angehörige einer auf Dauer angelegten ethnischen Minderheit sehen. Im Vergleich zu dieser wachsenden Zahl an Fremdethnien auf deutschem Territorium sind die vier traditionell anerkannten Minderheiten in Deutschland – die Dänen in Schleswig-Holstein (50.000), die Sorben (60.000), die Zigeuner (80.000 bis 120.000) sowie die Friesen als eine ihnen gleichgestellte Volksgruppe – eine zu vernachlässigende Größe.

Es handelt sich bei ihnen um weniger als ein halbes Prozent der Bevölkerung, wohingegen allein die Türken ohne deutsche Staatsangehörigkeit 1,4 Prozent der Bevölkerung (2010: 1,2 Millionen Menschen, ohne die 1,5 Millionen bereits eingebürgerten Türken) ausmachen. Letzteren mangelt es aber an jenen alten, soliden und dauerhaften Bindungen zu unserem Land, die etwa die Schweiz als unerläßlich ansieht. Andererseits mehren sich die Versuche türkischer Lobby-Vereine, auf eine Anerkennung als nationale Minderheit hinzuarbeiten – parallel zu Versuchen, zuerst die Gleichstellung des Islams mit dem Christentum und langfristig religiöse und kulturelle Hegemonie durchzusetzen.

Nicht zuletzt gibt es im heutigen Deutschland eine große Zahl von Menschen, die zur Integration unfähig oder unwillig sind und sich in Parallelgesellschaften einrichten (siehe Seite 1 und 6). Teils ist für diese Leute die gesellschaftliche Abstinenz und der Rückzug in die eigene Folklore prägend, aber in den meisten Fällen geht es darum, zunächst eine Art von ethnisch-religiös homogenen „befreiten Gebieten“ zu bilden, in denen der deutsche Staat keinen Einfluß mehr besitzt und in denen die Deutschen allenfalls noch als Zaungäste vorkommen. Von dort aus soll das jeweilige Lebens- und Weltanschauungsprogramm – meist handelt es sich dabei um den Islamismus und die Scharia – auf die Gesamtgesellschaft ausgebreitet werden.

„Assimilation ist ein Verbrechen“ – die Attacke des türkischen Premierministers Recep Tayyip Erdoğan in Köln vor Tausenden jubelnden Türken war selbst ein verbales Verbrechen, aber sie war immerhin eine entschiedene Parteinahme für die Interessen seines Landes. Die Behauptung des mittlerweile zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff gegenüber dem türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül, in Deutschland denke niemand an Assimilation der hiesigen Türken, war nicht allein offenkundiger Unsinn (zahlreiche Deutsche und Türken wollen diese Assimilation), es war ein bewußter Angriff auf die deutschen Lebensinteressen.

Ali Ahmet Acet, der scheidende türkische Botschafter in Deutschland, erklärte noch im September 2011, es sei unmöglich, Türken zu assimilieren. „Die Türken haben viel Heimweh, sie fühlen starke Bande zu ihren Dörfern und zu ihrer Familie. Außerdem haben sie eine andere Religion. Wegen dieser Unterschiede ist Assimilierung nicht möglich. Deshalb muß man den Türken ermöglichen, Teil Deutschlands zu werden, aber ihre kulturelle Identität zu bewahren.“

In der Tat werden sich die Wege trennen, wenn ein unabhängiges, souveränes Deutschland Assimilation zum Staatsziel erhebt. Wer Assimilation, die immer nur freiwillig und aus eigenem Entschluß realisierbar ist, für sich und seine Kinder anstrebt, der wird als deutscher Staatsbürger alle Rechte haben. Wer das nicht will, der hat die Möglichkeit, als integrierter Ausländer in der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu leben.

Das erfordert, entweder nach der Einreise für sich selbst zu sorgen oder aber – wenn dies nicht gelingt – in das Herkunftsland zurückzukehren. Integration setzt unbedingte Loyalität zum integrierenden Staatswesen voraus. Es bedeutet vor allem, dessen Lebensinteressen und Gesetze zu respektieren, sich nicht als fünfte Kolonne ausländischer Politiker und ferngesteuerter Islamverbände mißbrauchen zu lassen.

 

Rolf Stolz, Jahrgang 1949, ist ständiger JF-Kolumnist. Der Diplom-Psychologe war Mitbegründer der Grünen und lebt heute als Publizist in Köln. Zuletzt schrieb er auf dem Forum über Anti-Patriotismus („Der deutsche Selbsthaß“, JF 41/10).

Foto: Recht auf Differenz: Ein wirklich souveräner Staat sollte gegenüber Einwanderern Integration erzwingen und freiwillige Assimilation ermöglichen

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