© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/12 16. März 2012

Und Sarrazin hat doch recht!
Streitpunkt Sozialbiologie: Andreas Vonderach liefert fundiertes Grundlagenwissen zu Hintergründen einer Debatte über den Kontext von Intelligenz und Genen
Felix Dirsch

Die Sarrazin-Kontroverse begann vor mittlerweile eineinhalb Jahren. Sie hat nicht nur im Hinblick auf die partiell fehlgeschlagene Ausländerintegration bewußtseinssensibilisierend gewirkt; darüber hinaus hat sie eine öffentliche Diskussion über einen Wissenschaftsbereich mit sich gebracht, der schon seit geraumer Zeit ein Schattendasein fristet: die Sozialbiologie. Diese Bezeichnung versteht Andreas Vonderach im umfassenden Sinn. Er subsumiert darunter klassische Sozialanthropologie, Eugenik, Verhaltensforschung, Soziobiologie und moderne Verhaltensgenetik. Infolge vergangenheitsbedingter Tabuisierungen konnte bisher auch der gebildete Zeitungsleser mit Namen wie Francis Galton, James R. Flynn, Ilse Schwidetzky und anderen kaum etwas anfangen, obwohl sie namhafte Wissenschaftler ihrer Zeit sind.

Vor diesem Hintergrund ist es verdienstvoll, daß Vonderach, einer der besten Kenner der Thematik, das evidente Wissensdefizit beseitigen will und daher eine ebenso übersichtliche wie auch für den Laien gut lesbare Studie vorgelegt hat. In 27 Kapiteln schlägt er einen Bogen von Darwin bis zu einer von Ian J. Deary verfaßten Monographie aus dem Jahre 2011, die den Zusammenhang von Intelligenz und Genen eindringlich belegt.

Die Lektüre der Abhandlung lohnt nicht zuletzt deshalb, weil sie mythenzerstörend argumentiert. Diesen Vorzug wird man auch dann nicht leugnen können, wenn man einige Werturteile des Autors nur schwer nachvollziehen kann, etwa das über den berüchtigten NS-Rassenforscher Hans F. K. Günther, den „Rassen-Günther“, der im Dritten Reich eben kaum zurückhaltend war, weswegen er diverse Preise erhielt. Vonderach zeigt, wie sehr die von Galton, dem Vater der bis heute diskutierten Zwillingsexperimente, begründete moderne Eugenik in verschiedenen politischen Lagern verbreitet war, auch bei der politischen Linken. Die Überhöhung des Biologischen im Nationalsozialismus führte zu einer grundsätzlichen Diskreditierung von Verhaltensforschung und Eugenik.

Zeitweise sah es so aus, als würden beide von der angeblich humaneren Milieutheorie dauerhaft beerbt. Freilich sagt die politisch korrektere Ausrichtung nichts über den Wahrheitsgehalt einer Theorie. Bereits vor dem Siegeszug der modernen Genetik hätte stutzig machen müssen, daß Adoptivkinder auch im Verhalten ihren leiblichen Eltern wesentlich ähnlicher sind als den Adoptiveltern. Eineiige Zwillinge, die nicht in der gleichen Umgebung aufwachsen, korrelieren in ihrem Verhalten und ihren Gepflogenheiten dennoch ungewöhnlich stark. Aufgrund erdrückender wissenschaftlicher Erkenntnisse war die erneute Hinwendung zu biologischen Erklärungen, ohne sie zu verabsolutieren, konsequent.

Die bahnbrechenden humanethologischen Forschungen der Schule von Konrad Lorenz sowie der mit ihr verwandten Richtung der Soziobiologie aus den USA läuteten ein neues Wissenschaftsparadigma ein. Diesem waren auch die Intelligenzforscher Hans Jürgen Eysenck und Richard J. Herrnstein verpflichtet. Letzterer schaffte es, Intelligenz von sozialen Faktoren zu trennen. An dieser Stelle fällt nicht nur dem Fachmann auf, daß Vonderach die Einwände unerwähnt läßt, die gegen das vieldiskutierte Werk Herrnsteins und Murrays „The Bell Curve“ vorgebracht werden, etwa von Michael Hout, der den Einfluß des IQ auf das Einkommen relativieren konnte. Besonders interessant sind die Erörterungen Vonderachs über die rasant voranschreitende molekulare Verhaltensgenetik.

Vonderachs Darstellung, die am Schluß eine hilfreiche kommentierte Auswahlbibliographie präsentiert, kann zuerst eines nachdrücklich belegen: Sarrazin hat den „genetic turn“, der sich bereits seit Jahrzehnten abzeichnet, adäquat und auf dem Stand der Forschung in seine Analysen über das weite Feld der Abschaffung Deutschlands einbezogen. Der Phalanx seiner Gegner bleibt nicht nur politisch, sondern auch wissenschaftlich das Nachsehen.

Andreas Vonderach: Sozialbiologie. Geschichte und Ergebnisse (Berliner Schriften zur Ideologienkunde, Bd. 2), Institut für Staatspolitik Schnellroda 2012, broschiert, 221 Seiten, 15 Euro einer „einzigen visuellen identität“. (cs)

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