© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/12 16. März 2012

Der neue Sozialismus
Hans-Werner Sinn über die „grüne Ideologie als Staatsdoktrin“ in Deutschland, die mit Hysterie und unvernünftiger Subventionspolitik oft sogar ökologisch eher schadet
Christian Schwiesselmann

Grün, ja grün sind alle meine Kleider“, sangen früher die Kinder. In der Erwachsenenwelt ist die grüne Republik längst Realität. „Die deutsche Konsensgesellschaft steht im Bann der neuen grünen Ideologie, die den Sozialismus ersetzt hat“, konstatiert Hans-Werner Sinn in seinem Buch „Das grüne Paradoxon“, das nun in einer dritten, völlig aktualisierten Auflage vorliegt. Der Münchner Starökonom wurde kürzlich von der FAZ als „Dickschädel unter den Wirtschaftsprofessoren“ geadelt, weil er die angehäuften Milliardenrisiken in der Bundesbankbilanz entdeckte, die Deutschland im Falle eines Währungszusammenbruchs mehr als eine halbe Billion Euro kosten könnten.

In „Das grüne Paradoxon“ reitet der Chef des renommierten Ifo-Instituts sein zweites Steckenpferd – die Umwelt- und Ressourcenökonomik. Schon in der ersten Auflage (2008) gab Sinn Einblick in die Motivation seines Buches: Wie viele seiner Landsleute denke und fühle er grün. Gerade deshalb ärgert ihn der gegenwärtige Subventionswettlauf um grüne Technologien in einer beispiellosen Allparteienkoalition: „Ich fand ein Ausmaß an Inkonsistenz und hemmungsloser Wurstelei unter Mißachtung selbst der einfachsten ökonomischen Gesetzmäßigkeiten, das mich erschüttert hat.“

Die deutsche Hysterie nach dem Reaktorunglück in Fukushima 2011 dürfte den Professor für Nationalökonomie darin bestärkt haben, das vergriffene Buch gründlich zu überarbeiten: Deutschland habe eine Massenhysterie erfaßt und diese treibe es zu einsamen Entscheidungen, urteilt Sinn aus der Rückschau. „Unser Land spielt bei der Atomkraft den Geisterfahrer auf der Autobahn und findet es paradox, daß alle anderen in die falsche Richtung fahren.“

Mit kühlem Verstand analysiert der Volkswirt den missionarischen Eifer, mit dem deutsche Politiker über alle Parteigrenzen hinweg das Land mit Windrädern zupflastern, die Dächer mit Solarzellen decken und die Autos mit Biosprit betanken lassen, ohne die einfachsten Gesetze der Ökonomik zu beachten. Die falschen Anreizstrukturen führen letztlich zu mehr von dem, was eigentlich vermieden werden soll: Kohlenstoffdioxid, das bei der Verbrennung von Kohlenstoff und Kohlenstoffverbindungen in die Erdatmosphäre gelangt. Ein grünes Paradoxon.

In diesem neuralgischen Punkt – ob nämlich der Klimawandel anthropogene Ursachen hat oder nicht – verläßt sich Hans-Werner Sinn auf die Mehrheitsmeinung unter den Klimaforschern. Es spricht aber für die wissenschaftliche Redlichkeit des gebürtigen Westfalen, daß er die Zweifel an der These vom Treibhauseffekt und der damit einhergehenden bedrohlichen Erderwärmung im ersten Kapitel nicht unterschlägt.

Als Abrechnung mit der heraufdämmernden Ökodiktatur läßt sich das dritte Kapitel über die „Grüne Republik“ lesen, das die gesamte bürokratische Förderkulisse ausleuchtet: steuersubventionierte Einspeisetarife für erneuerbare Energie, eine höhere Besteuerung fossiler Brennstoffe (Ökosteuer), Kraftwärmekopplung, Fassadendämmung, weltweiter Zertifikatehandel. Die Datenbank „Förderkompaß Energie“ listet etwa 1.000 Förderprogramme von Bund, Ländern, Gemeinden und Energieversorgern zum Bau von Solarkollektoren, Biomasse- und Biogasanlagen auf (Stand März 2008) – Milliarden und Abermilliarden Euro teuer. Allein der Solarstrom könnte den Endverbrauchern bis 2015 nach Berechnungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung 120 Milliarden Euro zusätzlich aus der Tasche ziehen. Alles Mumpitz und – O-Ton Sinn – „ein Hauch von DDR“.

Die Klimakanzlerin und ihre Gefolgschaft mißachten, so der Vorwurf des 64jährigen, das „Gesetz des einen Preises“, ein ökonomisches Grundgesetz. Der Preis zur Vermeidung von Kohlenstoffdioxid ist von Energieträger zu Energieträger unterschiedlich, was volkswirtschaftlich unrentable Vermeidungswege betriebswirtschaftlich rentabel macht. Am Ende stehen Ineffizienz und volle Konten bei Windradherstellern wie Enercon, dessen Milliardenvermögen nicht der Wind, sondern die Subvention von Windenergie zusammenwehte. Auch ein Ergebnis grüner Umverteilungspolitik.

Der größte Unsinn steckt für Sinn aber darin, daß die deutsche Klimaschutzpolitik lediglich die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen zu senken sucht, indem sie deren Preise durch Steuern anhebt und die der erneuerbaren Energieträger durch Subventionen senkt. Diese künstliche Minderung partieller Nachfrage verringert zum einen den Anstieg der Weltmarktpreise. Alles was Deutschland an Kohlenstoffdioxid einspart, werden die energiehungrigen Schwellenländer China und Indien, aber auch die USA zusätzlich in den Himmel pusten. Zum anderen ändert das grüne „Säbelrasseln“ die Zeitpräferenzen: die Ölscheichs und Kohlebarone befürchten strengere Auflagen bis hin zur Enteignung und ziehen die Ausbeutung ihrer Reserven vor. Resultat: „Statt den Klimawandel zu bremsen, beschleunigen wir ihn. Das ist das grüne Paradoxon, das diesem Buch seinen Titel gab.“

Hans-Werner Sinn hält wenig von einer deutschen Vorreiterrolle, weil sich einseitige Vorleistungen selten auszahlen und Trittbrettfahrer einladen. Statt dessen plädiert er für eine weltweite Quellenbesteuerung von Kapitaleinkünften, um Ressourceneigentümer anzuhalten, ihr Vermögen im Boden zu lassen. Erst dann sei ein Super-Kyoto-System mit Emissionshandel, das die Nachfrageländer zu einem lückenlosen globalen Kartell vereint, sinnvoll. Ziemlich lutherisch klingt auch Sinns Vorschlag, Bäume zu pflanzen – die effektivste Art Kohlenstoffdioxid dauerhaft auf der Erdoberfläche zu binden.

Wie zuvor in den Büchers „Basarökonomie“ (2005) und „Kasinokapitalismus“ (2009) gelingt dem wohl letzten genuinen Nationalökonomen das Kunststück, die Paradoxien deutscher Umweltpolitik jedermann verständlich zu machen. Sein unverstellter Blick auf die grünen Ideologieritter, ihre Unbedingtheit und ihre Bereitschaft, den eigenen Wohlstand für das Weltklima zu opfern, dringt tief in die deutsche Seele ein, die zu beidem fähig ist: zur „Selbstüberschätzung“ oder zu „sehr hoher Opferbereitschaft“.

Hans-Werner Sinn: Das grüne Paradoxon. Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik. Ullstein Taschenbuch Verlag, Berlin 2012, broschiert, 576 Seiten, 16,99 Euro

Foto: Windpark in Brandenburg: Über alle Parteigrenzen hinweg pflastern deutsche Politiker das Land mit Windrädern zu, ohne die einfachsten Gesetze der Ökonomik zu beachten

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