© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/12 23. März 2012

Politische Klasse in Deutschland
Mehr Fingerspitzengefühl
Klaus Hornung

Die Empörung über den „Ehrensold“ für Ex-Präsident Wulff ist berechtigt. Wulff war nicht nur der jüngste in der Reihe unserer Staatsoberhäupter und der mit der kürzesten Amtszeit; sein Verhalten als Ministerpräsident und Präsident offenbarte auch einige charakterliche Unreife. Schief ist auch die Zuerkennung des Ehrensolds durch sein eigenes vorheriges Präsidialamt. Man meinte wohl in Berlin, die Sache damit am elegantesten lösen zu können. Nicht auszuschließen ist, daß selbst noch das Verfassungsgericht angerufen werden muß.

„Volkes Stimme“ in der Angelegenheit hat um so mehr demokratisches Gewicht, als sie darauf aufmerksam macht, wie desolat letztlich die ökonomische und soziale Lage in Deutschland geworden ist, die von der politischen Klasse mehr Fingerspitzengefühl verlangen würde angesichts der Millionen von Mitbürgern mit Hartz-IV- und Arbeitslosenunterstützung, Zeit- und Miniarbeitern, Rentnern und Kindern an oder unter der Armutsgrenze, eine Situation, zu der der „Rentenbescheid“ für Wulff nun wahrlich gar nicht paßt. Wenn er gut beraten ist, sollte der Begünstigte am besten noch von sich aus ganz oder teilweise auf die Apanage verzichten.

Angesichts der Lage in unserem Land, in dem die Schere zwischen Arm und Reich, Oben und Unten immer weiter auseinanderklafft – nicht zuletzt durch die famose Euro- und Euro-Rettungspolitik – sollte die Politikklasse mehr Feingefühl entwickeln und daran interessiert sein, ihren Ruf zu korrigieren, vor allem an ihrer Selbstbedienung interessiert zu sein, am „Bimbes“, um Helmut Kohl aus seligen Zeiten zu zitieren. Sie sollte sich in ihrem ganzen Gebaren „am Riemen reißen“ und sich wieder mehr am Gemeinwohl orientieren.

Wulff war ja kein Einzelfall, und er merkte zu spät, daß seine Allüren als Sunnyboy nicht mehr in die Zeit passen. Das galt auch für sein lockeres Reden gleich bei Amtsantritt von „unserer bunten Republik“, mit der er sich, wie seine Mentorin Angela Merkel, bei der linken Meinungsmache einzuschmeicheln gedachte.

Es ist an der Zeit für den Nachfolger, andere und für unsere deutsche Gegenwart notwendige und tragende Zeichen zu setzen, nicht am Volk vorbeizureden, sondern ihm auf gut Luther-Deutsch „aufs Maul zu schauen“.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Hohenheim.

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