© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/12 23. März 2012

David Lammy. Der britische Labour-Abgeordnete verkündet unbequeme Botschaften
Stimme von unten
Derek Turner

Ich bin der einzige, der das sagt“, lobte der Unterhausabgeordnete David Lammy sich unlängst öffentlich selbst. Denn schon ist Frühling und Lammys Angst wächst: Schließlich brauche man keine Wissenschaft, um zu erkennen, daß „wenn der Sommer kommt, es nicht gut ist, wenn zu viele junge Männer untätig auf der Straße abhängen“. Es drohe, warnt Lammy, inzwischen ein erneutes Aufflammen der sozialen Unruhen, wie sie Großbritannien im letzten Jahr erschüttert haben.

Das Pikante: Der Parlamentarier ist kein säbelrasselnder Tory, sondern Labour-Mann und Farbiger, und er wagt es, als Ursache der Aufstände die antiautoritäre Erziehung ins Spiel zu bringen. Neben der Sparpolitik der Regierung Cameron macht er auch den Umstand dafür verantwortlich, daß Eltern Kindern laut Gesetz keine Ohrfeigen mehr verpassen dürfen.

Was für manchen klingen mag wie die Reduzierung des Problems auf Repression, ist laut Lammy nur die Anerkennung von dessen Komplexität – eben auch unter Nennung von Ursachen, die wir im Namen der Politischen Korrektheit gerne übersehen. The European etwa springt Lammy bei und schreibt: „Das 2004 verabschiedete Labour-Gesetz ‘Children’s Act’ wirkte auf viele wie die Entmachtung elterlicher Kompetenz.“ Zerplatzt unsere Vorstellung von Pädagogik also in der Realität multikultureller Einwandererviertel wie Seifenblasen, die auf eine Betonwand treffen?

Lammy immerhin kann für sich beanspruchen, Bescheid zu wissen. 1972 als Sohn guyanischer Einwanderer geboren – der Vater ließ die Familie früh im Stich –, wuchs er im von ethnischen Unruhen gebeutelten Tottenham auf. Statistisch betrachtet ist der Aufstieg des Jungen aus dem Londoner Problembezirk über das Jurastudium, unter anderem an der US-Eliteuni Harvard, immer noch eine Anomalie.

Heute gilt Lammy als öffentliches Antlitz einer Strömung, die 2011 als „Blue Labour“ bekannt wurde und zu den interessantesten Entwicklungen in der britischen Politik der letzten Jahre gehört. Zwar löste sie sich nach umstrittenen Äußerungen ihres Vordenkers Maurice Glasman, der sich für einen kompletten Einwanderungsstopp aussprach, rasch wieder auf, doch Kommentatoren bescheinigen ihren Ideen, nach wie vor starken Einfluß auf die Labour-Spitze zu haben.

„Blue Labour“ stand für einen kommunalistischen Gesellschaftsansatz auf Grundlage von Werten, die durchaus als konservativ zu bezeichnen sind. Lammys 2011 erschienenem Buch „Out of the Ashes“ bescheinigte die Financial Times einen „gesellschaftspolitischen Konservatismus“, und auch dezidiert konservative Institutionen wie der Daily Telegraph und das Centre for Policy Studies fanden lobende Worte. Wie weit aber Lammy in einer Partei, der aussagekräftige Debatten seit langem verhaßt sind, mit so pointierten Aussagen kommen wird, bleibt abzuwarten.

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