© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/12 23. März 2012

Sie wissen, wo du bist
Überwachung: Die technischen Möglichkeiten zur Ortung von Personen werden immer raffinierter
Michael Martin

Wie gläsern darf der Mensch sein? Wo verläuft die Abgrenzung zwischen einem Eingriff in die Privatsphäre, Überwachung und einer wirksamen Maßnahme zur Verbrechensbekämpfung. Spätestens seitdem der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) unlängst zugeben mußte, daß „die Polizei in Niedersachsen zum Versenden von ‘stillen SMS’ den Server eines privaten Anbieters von Telekommunikationsdienstleistungen nutzt“, ist die Debatte in vollem Gange. Stille SMS werden beim Empfänger nicht angezeigt, das solchermaßen adressierte Handy steht aber in Kontakt mit dem nächstgelegenen Funkmast, daher kann aufgrund dieser Verbindungsdaten und mit einer Reihe dieser Ortungs-SMS ein Bewegungsprofil des Gerätes und damit seines Besitzers erstellt werden. Die Sicherheitsbehörden halten diese Vorgehensweise für unerläßlich zur Verbrechensbekämpfung und zur Überwachung terroristischer Aktivitäten. Datenschützer runzeln dagegen die Stirn und fragen: Wer überprüft den privaten Anbieter? Was geschieht mit den Daten?

Die Debatte ist nicht neu und flammt in unregelmäßigen Abständen auf. Dabei ist es einer breiten Bevölkerungsschicht bis heute nicht bewußt, wie leicht es mittlerweile ist, Bewegungsprofile zu erstellen. Wer beispielsweise einmal eine Panne mit einem Mietwagen hat, wird sich wundern. Bei einem Anruf beim Verleiher kann dieser in Sekundenschnelle den Standort des Wagens herausfinden. Die Fahrzeugortung ist vor allem für solche Unternehmen äußerst interessant, die eine große Fahrzeugflotte unterhalten. „Leider gibt es immer wieder Diebstähle in Deutschland, welche sich besonders häufig auf PKW und Transporter beziehen. Diese sind besonders dann ungünstig, wenn häufiger Fahrzeuge einer großen Flotte abhanden kommen. Dadurch steigen letztendlich Versicherungskosten, auch wenn der direkte Verlust in den meisten Fällen gedeckt wird. Wir können Abhilfe schaffen“, teilt ein Anbieter mit. Doch die Übergänge zum Mißbrauch sind fließend. Und das Ende der Fahnenstange in Sachen Technik ist noch nicht erreicht.

Eltern können mit Hilfe eines Handys ihr Kind orten

In den nächsten zwei Jahren will beispielsweise ein Konsortium von drei Thüringer Firmen am Flughafen in Erfurt ein Ortungsverfahren installieren und erproben, das die Bewegungen von Fahrzeugen auf dem Gelände erfaßt. „Wir wollen mit neuer Technik energieaufwendige und teure Radarsysteme ersetzen“, kündigte das Konsortium an und fügte hinzu: „Das erhöht die Sicherheit.“

Die meisten der Ortungs- oder auch Positionsbestimmungssysteme funktioniert über das sogenannte GPS-Verfahren. Das GPS ist ein satellitengestütztes Navigationssystem, welches ursprünglich vom amerikanischen Verteidigungsministerium entwickelt wurde und aus mindestens 24 Satelliten besteht. Mehrere Länder entwickeln derzeit Alternativen zum GPS-System, um der amerikanischen Abhängigkeit zu entgehen. Das chinesische System hat Ende des vergangenen Jahres in China und in umliegenden Gebieten seinen Dienst aufgenommen. Das Beidou-Satellitennavigationssystem bietet Dienste wie Positionsbestimmung, Navigation und Zeitbestimmung an. Beidou (zu deutsch Kompaß) soll bis Ende 2012 in weiten Teilen Asiens und des Pazifiks funktionieren und bis 2020 weltweit. Die Europäer setzen auf das Satellitensystem Galileo, welches 2014 seinen Dienst aufnehmen soll.

Doch auch die Ortung per Funk, zumeist über die Mobilfunknetze ist derzeit schwer in Mode. Werbespots laufen zur besten Sendezeit und preisen der jugendlichen Kundschaft an: „Orte Deine Freunde in wenigen Sekunden.“ Die sogenannte GSM-Ortung stellt, je nach Anwendungsfall, eine einfache Alternative zum GPS dar, da für das Mobilgerät keine weitere Infrastruktur benötigt wird. Die GSM-Ortung ist jedoch meist ungenauer. Dennoch werben beispielsweise Anbieter für ein „Kinderhandy“, welches den Eltern die Aufsicht über ihren Nachwuchs „erleichtern“ soll. Immer zu wissen, wo sich das eigene Kind gerade aufhält, hat etwas verlockendes. Das Ganze ist ziemlich simpel: Eltern kaufen ihrem Sprößling ein Handy, melden die SIM-Karte beim Ortungsdienst an – und schon entgeht ihnen keine Bewegung mehr. Bei dieser Funkortung bekommen die Eltern die Daten über die Sendemasten der Funkzellen, in denen sich ihr Kind mit seinem Handy aufhält.

Die Kinderhandyfirma „Kandy mobile“ bietet beispielsweise den Service ohne Mehrkosten bei Vertragsabschluß an. Andere Unternehmen haben nur die Ortung im Programm und arbeiten mit den Netzbetreibern zusammen. Im Internet finden sich zahlreiche Anbieter und diverse Möglichkeiten der Ortung. Als „sanfte und sichere Kontrollmöglichkeit“ preist „TrackYourKid“ die Möglichkeit, den Standort des Kindes jederzeit zu bestimmen, an. „Gerade bei Heranwachsenden zwischen fünf und 17 Jahren können Sie mittels TrackYourKid Ihrem Kind Vertrauen schenken, das es verdient“, heißt es in der Beschreibung.

Doch die Kontrollmöglichkeit des Nachwuchses stößt nicht überall auf Gegenliebe. Denn Vertrauen zwischen Eltern und Kindern können die Ortungsgeräte nach Ansicht der Geschäftsführerin des Deutschen Kinderschutzbundes, Paula Honkanen-Schoberth, nicht fördern – eher im Gegenteil. „Wenn die Ortung eine erzieherische Aufgabe übernimmt, dann läuft da doch etwas schief“, sagte sie der Tageszeitung DieWelt. „Vertrauen kann sich durch so ein Kontrollsystem überhaupt nicht entwickeln. Was ist das für ein Gefühl für Kinder, wenn sie wissen, daß ihre Eltern sie ständig kontrollieren?“

Verbraucherschützer warnen vor Bewegungsprofilen

Rechtlich gesehen haben Eltern die Möglichkeit, ihre Kinder bis zur Volljährigkeit ohne deren Wissen zu kontrollieren. Während es für die Ortung von Erwachsenenhandys klare gesetzliche Regeln und Einschränkungen gibt, bleibt dies bei Kindern in einer Art juristischer Grauzone. Rein formell gehört das Kinderhandy dem Elternteil, der es gekauft hat, und rechtlich ist nicht das Kind der Mobilfunkteilnehmer, sondern Vater oder Mutter. Und sein eigenes Handy darf man in Deutschland jederzeit orten lassen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar warnt vor dem Umgang mit ortungsfähigen Mobiltelefonen und Smartphones. Angesichts der großen Zahl von Nutzern solcher Ortungssysteme würden auch Menschen an ihrem Aufenthaltsort ausfindig gemacht, die weder davon wissen, noch damit einverstanden wären, sagte Schaar.

Bei Smartphones, die mit internetgestützter Technik arbeiten, entstünden durch die Ortung lückenlose Bewegungsprofile des Nutzers, kritisierte Schaar. Er forderte: „Der Nutzer darf nur geortet werden, so er es will. Zweitens muß er diese Funktion fallweise oder generell abschalten können. Und drittens geht es den Anbieter des Ortungssystems nichts an, wo sich der Nutzer selbst aufhält, während er etwa eine interaktive Straßenkarte aufruft.“ Schaar sagte, bei dienstlich genutzten Handys und Smartphones müsse der Arbeitnehmer in die Ortung einwilligen. Das rechtfertige aber keinesfalls die lückenlose Überwachung der Mitarbeiter. Schaar warnt auch vor einem leichtfertigen Umgang mit der Nutzung von Sozialen Netzwerken wie Facebook auf Mobiltelefonen. „Dort kann man die Ortung einschalten. Ungefährlich ist das nicht. Ich habe das Gefühl, daß das Ganze sehr leichtfertig gehandhabt wird.“

Doch nicht nur mit Handys droht die totale Überwachung. So enthalten immer mehr Kleidungsstücke einen sogenannten RFID-Chip („Radio-frequency identification“, zu deutsch Identifizierung über elektromagnetische Wellen). Damit lassen sich Kunden ausspähen und orten. Ein Datenschutzverein protestiert gegen den Einsatz. „Reiskorn-kleine Funkchips zum Beispiel in Kleidungsstücken senden beim Passieren des Lesegeräts am Eingang eines Geschäfts eine eindeutige Seriennummer aus. Über eine Online-Datenbankabfrage lassen sich Informationen zum Kleidungsstück blitzschnell ermitteln“, erklärt die Welt. Die RFID-Technik ist daher so praktisch, weil sie das Erfassen der Ware an der Kasse vereinfacht und gleichzeitig als Diebstahlschutz dient.

Risiken beim Einsatz von RFID-Systemen bestehen nach Ansicht von Verbraucherschützern hauptsächlich im Hinblick auf die Einhaltung von Bürgerrechten und der Privatsphäre. Durch Smartlabels können nicht nur Artikel, sondern auch Personen eindeutig identifiziert werden. Manche Datenschützer fürchten den Mißbrauch der RFID-Technik, indem sich etwa das Kaufverhalten der Konsumenten bis ins Detail zurückverfolgen ließe. Am Eingang eines Bekleidungsgeschäfts könnte zum Beispiel sofort die Kleidergröße erkannt werden; selbst wann und wo die Ware gekauft wurde, ließe sich aus den Chips herauslesen.

Personenunabhängig gespeicherte Waren-Daten sind zwar zunächst unbedenklich, können aber auf eine konkrete Person hinweisen, wenn der Kunde im Einzelhandel bargeldlos per EC-Karte bezahlt. „Die hohe räumliche und zeitliche Dichte der Datenspuren erlaubt die nachträgliche Erstellung von personalisierten Bewegungs- und Kontaktprofilen“, sagt beispielsweise Britta Oertel vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung. Der gläserne Mensch beginnt Realität zu werden.

 

Recht und Ortung

Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch rechtlich zulässig. Andererseits schert sich die technische Entwicklung nicht immer um juristische Grenzen. Und jede grundsätzlich sinnvolle Erfindung kann auch mißbraucht werden. So etwa die sogenannte RFID-Technik („Radio-frequency identification“), also die Identifizierung mittels elektromagnetischer Wellen. Dabei wird ein kleiner Transponder (etwa so groß wie ein Reiskorn) in einen Gegenstand eingesetzt. Mittels eines stationären oder mobilen Lesegerätes kann ein Code, der auf dem Transponder hinterlegt ist, erfaßt weden. Genutzt wird diese Technik vor allem bei der Diebstahlsicherung in Geschäften oder Bibliotheken. Fest eingearbeitete RFID-Chips gibt es auch in Ski-Kleidung, damit Personen nach einem Lawinenunglück geortet werden können.

Der Vorteil dieser Chips ist, daß sie ohne eigene Stromquelle auskommen, da das Lesegerät den notwendigen elektromagnetischen Impuls liefert. Modehersteller wie Levi’s, Gerry Weber oder s’Oliver setzen bereits auf RFID, um Informationen über ein Kleidungsstück im „Waschzettel“ zu speichern. Datenschützer schlagen Alarm, daß die meist ahnungslosen Kunden dadurch quasi mit einer Art Peilsender ausgestattet sind. Und ein RFID-Handlesegerät, das auf die Informationen in der Kleidung zugreifen kann, ist heutzutage für jedermann schon – je nach Ausstattung und Qualität – zu einem Preis von etwa 500 bis rund 2.000 Euro erhältlich.

Staatliche Stellen setzen vor allem bei der Verbrechensaufklärung auf die technischen Möglichkeiten zur Ortung. Laut Paragraph 100 a der Strafprozeß-ordnung darf die Telekommunikation überwacht werden, wenn „die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre“. Dies gilt beim Verdacht einer schweren Straftat, wie etwa Mord und Totschlag, Geldwäsche, Raub, Erpressung oder bei Straftaten gegen die öffentliche Ordnung. Dabei wird durchaus darüber gestritten, was den Ermittlern erlaubt ist und was nicht. Dies betrifft zum Beispiel die sogenannte „stille SMS“, auch „stealthy ping“ genannt. Die Polizei sendet dazu an eine ihr bekannte Mobilfunknummer ein Signal („Ping“). Beim entsprechenden Mobilfunkbetreiber wird dadurch ein Datensatz erzeugt, der unter anderem die Angaben zur Funkzelle, in der sich das Handy befindet, enthält. Auf (richterliche) Anordnung werden diese Daten dann vom Mobilfunkbetreiber an die Ermittler geschickt. Der Handybesitzer bekommt weder visuell noch akustisch etwas mit. Die Rechtsgrundlage bezeichnen Juristen hier als „strittig“. So reiche etwa Paragraph 100 i, der eine Ermittlung des Standorts eines Mobilfunktelefons erlaubt, für eine „stille SMS“ nicht aus. Da Abfragen zu Standortdaten unter bestimmten Umständen ohnehin rechtlich zulässig sind (Paragraph 100 g), halten manche Experten die „stille SMS“ für obsolet.

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