© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/12 23. März 2012

Der Weg in die sozialistische Diktatur
Euro-Krise: Das Bundeskabinett billigte vorige Woche den Rettungsschirm ESM / Weitere Aufstockung geplant
Wolfgang Philipp

Spricht der Kommunist zum Kapitalisten: „Gib mir die Hälfte deines Vermögens.“ Antwort: „Da hast du es, aber was machst du, wenn du das Geld verwirtschaftet hast?“ Kommunist: „Dann teilen wir wieder.“ Nach diesem primitiven Umverteilungsprinzip werden die EU und ihre Mitgliedstaaten künftig regiert werden, wenn der „Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus“ (ESM) wie geplant zustande kommen sollte. Das Bundeskabinett verabschiedete die Gesetzentwürfe für die Einrichtung des ESM und die finanzielle Beteiligung Deutschlands in der vergangenen Woche. Bis Juni wollen auch Bundestag und Bundesrat zustimmen.

Schon der Titel des Fonds sagt aus, daß hier ein „Mechanismus“ im Sinne eines autonomen Systems eingeführt wird. Träger dieses Umverteilungsmechanismus ist ein „Internationales Finanzinstitut ESM“. Diese Institution ist eine mit ungeheurer Fülle von Geld ausgestattete juristische Person, die in unvorstellbaren Größenordnungen politische und wirtschaftliche Macht auf sich vereinigt, ohne noch irgendeiner parlamentarischen Kontrolle der Mitgliedstaaten zu unterliegen. Zwei Dinge kommen hier zusammen: Zum einen ist der ESM mit einem Eigenkapital bis zu 700 Milliarden Euro eines der größten Bankinstitute Europas, ohne bankrechtlichen Regeln zu unterliegen. Sein Kapital ist 65mal so hoch wie das Eigenkapital der Europäischen Zentralbank (EZB) Ende 2010. Der ESM nimmt seinerseits Kredite auf, um bis zu einer Höhe von 500 Milliarden Euro ESM-Mitgliedern „Stabilitätshilfe zu gewähren“. Es genügt, daß der „reguläre Zugang zur Finanzierung über den Markt beeinträchtigt ist“ oder gar eine solche Beeinträchtigung nur „droht“. Der ESM kann sogar vorsorgliche Finanzhilfen in Form von Kreditlinien gewähren oder Anleihen anderer Mitglieder im Primär- oder Sekundärmarkt aufkaufen.

Gewährt der ESM einem Mitglied Stabilitätshilfe, hat er den „Status eines bevorrechtigten Gläubigers“, das heißt seine Forderungen müssen von dem betreffenden Staat vor jedem anderen Gläubiger befriedigt werden. Das kann nur zur Folge haben, daß dieses Land keine privaten Kreditgeber mehr finden und der ESM zum alleinigen Staatsfinanzierer werden wird. So war es in den sozialistischen Staaten, etwa auch in der DDR. Obwohl es sich hier um Bankgeschäfte gewaltigen Umfangs handelt, wird der ESM ausschließlich politisch geleitet, sein Gouverneursrat besteht aus den nationalen Finanzministern. Wie sich das Auftauchen einer derart riesigen, nicht bankfachmännisch, sondern politisch geleiteten Bank neben den anderen Banken und Notenbanken auswirken wird, kann man nur ahnen.

Die Staatsgewalt geht nicht mehr vom Volke aus

Das ist das eine. Das andere ist die Art und Weise, wie die Entscheidungen des ESM zustande kommen. Hier ist festzuhalten: Wenn die Mitgliedstaaten den ESM einmal genehmigt haben, haben sie absolut nichts mehr zu sagen. Sie verpflichten sich, insgesamt 700 Milliarden Euro (Deutschland: 191 Milliarden Euro) zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus kann der ESM-Gouverneursrat, ohne die Mitgliedstaaten zu fragen, Aufgelder verlangen und dadurch die Risiken ins Uferlose ausweiten.

Ob, wann und in welchen Tranchen dieses Geld abgerufen wird, entscheidet allein der Gouverneursrat. Dieser entscheidet auch über die Ausgabenpolitik, das heißt jede „Stabilitätshilfe“ präjudiziert wegen des dann auftretenden Geldbedarfs unmittelbar die Haushalte der hierbei aber nicht stimmberechtigten Mitgliedstaaten. Bei diesen werden Mittel abgerufen, die bei den einzelnen Staaten gar nicht vorhanden sind.

Der Gouverneursrat und die Direktoren unterliegen außer einer Rechnungsprüfung keiner Kontrolle, insbesondere gilt dies für ihre Entscheidungen. Nach Artikel 32 genießt der ESM Immunität vor gerichtlichen Verfahren jeder Art, ebenso vor Durchsuchung, Beschlagnahme, Einziehung, Enteignung und jeder sonstigen Form des Zugriffs durch gerichtliche Maßnahmen. Nach Artikel 35 genießen auch sämtliche Verwaltungsmitglieder „Immunität von der Gerichtsbarkeit hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen und Unverletzlichkeit hinsichtlich ihrer amtlichen Schriftstücke und Unterlagen“: Sie können also machen, was sie wollen, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen. Das alles ist die verklausulierte Beschreibung einer sozialistischen Diktatur. Die Macht des Gouverneursrats geht so weit, daß er sogar die Satzung des ESM und die Geschäftsordnungen autonom festlegen kann, ohne daß die Gesellschafterstaaten daran mitwirken: Absolutismus in Reinkultur!

Der ESM wird durch seine allmächtige Bankfunktion und seine staatsrechtliche Unabhängigkeit die mächtigste Institution Europas werden und das Haushaltsrecht der nationalen Parlamente beseitigen. Kein Parlamentarier kann mehr einen Jahreshaushalt verantworten, wenn er jederzeit damit rechnen muß, daß durch autonome Entscheidungen des ESM von heute auf morgen Milliarden und Abermilliarden Euro bezahlt werden müssen, für die es keine Haushaltsdeckung gibt.

Wenn der Bundestag all dem zustimmen sollte, brauchen wir ihn nicht mehr. Die Regelungen des ESM-Vertrages gehen so weit, daß entgegen Artikel 79 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 2 des Grundgesetzes die Staatsgewalt nicht mehr vom Volke ausgeht. In einem solchen Fall kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jeder Staatsbürger das Höchstgericht anrufen, was in diesem Falle große Erfolgsaussichten verspricht. Mit dem Inkrafttreten des ESM würde die EU ein unter Beiseiteschiebung der Parlamente diktatorisch regierter Bundesstaat, verbunden mit einer umfassenden Transfer-Union, obwohl dies ausdrücklich vom Lissabon-Vertrag verboten ist.

 

Europäischer Stabilitätsmechanismus

Da die bisherigen Milliardenpakete für die Euro-Rettung nicht ausreichen, hat der Europäische Rat der EU-Staats- und Regierungschefs Ende Januar beschlossen, den Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) nicht erst im Juli 2013, sondern schon Mitte 2012 in Kraft treten zu lassen (JF 6/12). Damit der ESM 500 Milliarden Euro an Krediten auszahlen kann, muß er mit 700 Milliarden Euro ausgestattet werden, wobei 620 Milliarden Euro zunächst als Garantie vorliegen, 80 Milliarden als Bareinlage. Auf Deutschland entfallen 190 Milliarden Euro. An der Spitze des ESM steht der Gouverneursrat. In „dringenden“ Fällen kann aber das ESM-Direktorium mit einfacher Mehrheit das von den Mitgliedstaaten bereitgestellte Kapital abrufen, ohne daß der Bundestag darüber noch einmal abstimmen müßte.

 

Der ESM-Vertragsentwurf im Internet: eurodemostuttgart.files.wordpress.com/2012/01/120123-esm-vertragstext.pdf

Ein neues Erklärvideo zum ESM hat die Bürgerbewegung „Zivile Koalition“ erstellt:  www.freiewelt.net/video-34/zivilekoalition

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