© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/12 23. März 2012

Symbiose zwischen Medien und Politik
Selektive Steuerung
Michael Mayer

Massenmedien stellen einen Selektionsmechanismus dar. Sie können die Wirklichkeit so selektieren, daß aus der veröffentlichten Meinung erst im Nachhinein die öffentliche Meinung wird. Dazu findet eine Auswahl und Bewertung von Informationen, eine Form der Selektion statt, die über diese Medien gesteuert wird. Die Kräfte, die dabei eine Rolle spielen, sind nur schwer zu identifizieren. Sie finden sich innerhalb des Systems Massenmedien, treten aber auch im politischen System auf, das zwangsläufig eine enge Verbindung zu diesen Anbietern professioneller Kommunikation hat.

Unsere Gesellschaft versteht sich als Demokratie, deren Entwicklung von verschiedenen Parteien in einem Wechselspiel zwischen Opposition und Regierung gesteuert wird. An der Regierung sind jeweils die politischen Kräfte, die über parlamentarische Mehrheiten verfügen. Diese Mehrheiten bilden sich über Stimmen, die bei Wahlen abgegeben werden. Deshalb dient der Wähler den Parteien, zuerst einmal aber nur als Mittel zum Zweck, um an die Macht zu gelangen.

Der Wähler wiederum muß sich entscheiden, er muß eine Auswahl zwischen den politischen Angeboten treffen. Dazu nimmt er zum einen die realen Wirkungen von Politik in Form subjektiven Erlebens auf, wie zum Beispiel die der Wahrnehmung der eigenen sozialen Lage; zum anderen bezieht er seine Informationen über die Massenmedien. Durch die Verarbeitung dieser von den Medien erzeugten Kommunikationen können aber nicht nur verborgene Einstellungen ans Licht gebracht und verstärkt, sondern völlig neue Einstellungen und in der Folge veränderte Verhaltensweisen erzeugt werden.

So weißt eine Studie des Mainzer Kommunikationswissenschaftlers Hans Mathias Kepplinger über die Ölversorgung im Jahre 1973 und 1979 nach, daß die eigentliche Krise erst durch die Berichterstattung der führenden Massenmedien ausgelöst wurde, weil es in Folge der einseitigen Nachrichten zu Hamsterkäufen kam, die auf Grund der tatsächlichen Lage gar nicht nötig gewesen wären.

Dieses Aufbauschen und Verzerren von Ereignissen durch die Massenmedien liegt daran, daß Kommunikation in eine Form gebracht werden muß, die auch konsumiert wird: Wem beim Lesen die Augen zufallen, an dem rauscht die Botschaft vorbei. Deshalb werden Skandalisierungen, die Schürung von Ängsten, das Befeuern von Vorurteilen, das permanente Anklagen, das Hochkochen von Gerüchten, das Leid, das Elend, die Krankheit, das ständig Neue als journalistische Stilmittel eingesetzt, um Spannung zu erzeugen.

Aber es ist nicht nur die künstlich inszenierte Spannung, die eine sachliche Information immer öfters verdrängt: zunehmend werden die Kommunikationen der Massenmedien auch in einen unterhaltsamen Kontext gestellt. Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter spricht bereits von der Unterhaltung als „Super-Ideologie“, die die Information als wichtigsten Träger von Kommunikation in der Medienlandschaft abgelöst hat. In der Folge kommt es zu einer Konzentration auf einzelne Personen.

Dieses Aufbauschen und Verzerren von Ereignissen durch die Massenmedien liegt daran, daß Kommunikation in eine Form gebracht werden muß, die auch konsumiert wird: Wem beim Lesen die Augen zufallen, an dem rauscht die Botschaft vorbei.

Auf diese Weise spielen persönliche Dinge bei der Berichterstattung immer mehr eine Rolle. Dies gilt vor allem für den Bereich der Politik. Zwar sind die meisten Aussagen von Journalisten über Politiker immer noch Aussagen über Parteien und die Sachkompetenz einzelner Politiker, doch liefern Journalisten auch den höchsten Beitrag wenn es um Aussagen über unpolitische Merkmale bei Politikern geht: „In Deutschland entfallen deutlich mehr als 50 Prozent aller Aussagen über das Aussehen und das Auftreten der Kanzlerkandidaten auf Journalisten, nur ein Viertel stammt von Politikern. Umgekehrt sind die Verhältnisse, wenn es um die Sachkompetenz der Kandidaten geht“, erklärt Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim.

Diese Fokussierung auf Spannung, Unterhaltung und Personalisierung gilt mehr für die privaten Medien als für die öffentlich-rechtlichen. Dies hängt damit zusammen, daß die privaten Sender aufgrund ihrer Abhängigkeit von Werbe-einnahmen stärker die Bedürfnisse ihrer Nutzer in den Vordergrund stellen müssen. Der ehemalige Chefredakteur von RTL, Hans Mahr, kommentierte die Medienstrategie seines Senders vielsagend: „Die Leute wollen Menschen wählen und sich nicht mit komplizierten Wahlprogrammen beschäftigen.“ Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben diese Struktur nicht. Getragen von der staatlichen Zwangsgebührenverordnung sind sie wirtschaftlich relativ unabhängig von der Quote. Ihre Form der Selektion setzt auf einer anderen Ebene an. Dazu muß man zuerst etwas über die organisatorische Struktur dieser Medien wissen.

Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten verfügen über Steuerungsorgane, die noch unter dem Einfluß der Besatzer installiert wurden. Es gibt ein Aufsichtsgremium (Rundfunk- oder Fernsehrat), das den Intendanten und den Verwaltungsrat wählt. In den Aufsichtsgremien sitzen zu unterschiedlichen Anteilen Vertreter von Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und anderen gesellschaftlichen Gruppen. Mit dieser verordneten Struktur wollten die Alliierten verhindern, daß Massenmedien noch einmal von der Politik vereinnahmt und das Volk mit Propaganda aufgewiegelt wird.

Doch gerade das, was verhindert werden sollte, trifft auf subtile Art und Weise ein: Vertreter der Parteien bilden innerhalb dieser Gremien sogenannte „Freundeskreise“, die sich über politische Sympathien finden. Auf diese Weise erhöht sich der Anteil des politischen Einflusses wieder. Er wird dann größer, als er der Zahl nach tatsächlich ist. Infolgedessen kann es dazu kommen, daß ein „politischer Intendant“ gewählt wird. Dies wiederum kann Auswirkungen auf die Einstellung der breiten Öffentlichkeit haben: Öffentlich-rechtlichen Sender haben trotz aller privaten Konkurrenz immer noch einen Marktanteil von etwa 50 Prozent. Bei der Glaubwürdigkeit liegen sie sogar weit vor den Privaten.

Dieser Einfluß wird besonders dann sichtbar, wenn die „Political Correctness“, das heißt das Selbstverständnis der Bundesrepublik im Umgang mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit, verletzt wird: Sofort werden Feindbilder der verschiedensten Art aktiviert, Standpunkte eingefordert, Zeichen gesetzt, die Bevölkerung zum Kotau aufgerufen; die Jagdsaison wird – meistens noch mit einem Halleluja versehen – eröffnet. Um dabei den Anschein von Neutralität zu wahren, werden „Experten“ wie Artisten in der Zirkusmanege vorgeführt. Allerdings sind nur die Fachmenschen in der medialen Manege erwünscht, die eine vorgefaßte Meinung unterstützen.

Gegenteiliges wird ausgeblendet. Massenmedien werden so aber selbst wieder zu politischen Akteuren. Ziel ist, unter dem Deckmantel der unabhängigen Information innerhalb der Bevölkerung eine bestimmte Haltung zu erzeugen. Aus Angst vor sozialer Isolation schweigen in der Folge nicht wenige. Es droht, wie die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann schreibt, eine „Schweigespirale“. Das heißt, daß nur noch die reden, die erkennen, daß ihre Meinung in der Öffentlichkeit über die Medien politisch akzeptiert wird; die anderen bleiben stumm, sie haben den Eindruck, daß sie einer Macht ausgesetzt sind, gegen die nicht anzukommen ist.

Massenmedien selektieren. Sie entscheiden, was wichtig ist und was nicht. Damit erzeugen sie, wie der Soziologe Niklas Luhmann schreibt, Ereignisse, die es ohne sie gar nicht gegeben hätte, sie bauen eine Illusion, eine „zweite Wirklichkeit“ auf.

Diese Macht vertreten vor allem die Medien, die in der Medienlandschaft eine Führungsrolle für sich beanspruchen. Hat eines dieser Medien erst einmal den Ball aufgenommen, gibt es für die anderen kein Zurück mehr. Wie ein Fischschwarm, der nur aufgrund der Richtungsänderung von einzelnen Fischen im Gesamten einen anderen Weg einschlägt, folgen alle Medien, wenn die Leitmedien vorpreschen: „Wenn ein Meinungsstrom in eine Richtung geht – dem können Sie sich nicht verschließen“, bestätigt Wolfgang Kaden, ehemaliger Spiegel-Chefredakteur. Zwar verschwinden die Schlagzeilen meist schnell wieder, doch können die Sachverhalte durch den medialen Tsunami falsch dargestellt bleiben und eine eigene Dynamik entwickeln, die die Wahrheit selbst selektiert: „Aus Lügen, die wir glauben, werden Wahrheiten, mit denen wir leben“, so formulierte es einst der frühere Spiegel-Journalist Hans Leyendecker.

Massenmedien entscheiden auf diese Weise, was wichtig, was richtig ist und was nicht: Sie selektieren und stellen selbst einen Selektionsmechanismus dar. Sie erzeugen damit, wie der Soziologe Niklas Luhmann schreibt, Ereignisse, die es ohne sie gar nicht gegeben hätte, sie bauen eine Illusion, eine „zweite Wirklichkeit“ auf. Dies ist für den Verlauf der kulturellen Evolution von wesentlicher Bedeutung, weil die Menschen neben Schlafen und Arbeiten die meiste Zeit mit dem Verarbeiten von Informationen verbringen, die sie aus den Massenmedien entnehmen. Der Einfluß der Massenmedien auf die Bewußtseinsbildung der breiten Öffentlichkeit bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das Verhalten des politischen Systems. Es folgt zwangsweise deren Logik. Falls nicht, droht der Machtentzug. Die Medien zeigen damit dem politischen System, wie es sich verhalten muß: Parteien passen ihre Führer und Themen dem Wunsche der Medien an.

Der „Medienkanzler“ Gerhard Schröder ist für diese These ein gutes Beispiel. Er hatte das, was diese Medien suchen: Redetalent und ein ansprechendes Äußeres. Ähnlich wie beim adligen „Kopierer“ Karl-Theodor zu Guttenberg reichte dies: Schröder hatte die Unterstützung zahlreicher Medien. Schröders Fall unterstreicht aber auch die Unberechenbarkeit der Massenmedien: Erklärte Schröder während seiner Regierungszeit noch süffisant, er regiere mit Hilfe von Bild, BamS und Glotze, beklagte er nach seiner Wahlniederlage im Jahre 2005 die Medienmacht.

In der traditionellen Berliner Runde, die immer kurz nach der Bundestagswahl veranstaltet wird, tönte Schröder in unvergeßlicher Weise, daß er habe Wahlkampf machen müssen gegen das, „was da geschrieben und gesendet wurde“. Dies ist nicht ganz falsch: So ist nachgewiesen, daß die größte deutsche Boulevard-Zeitung, Bild, über Angela Merkel, die Union und die FDP während des Bundestagswahlkampfes 2005 positiver berichtete als über die SPD und die Grünen.

Es wird deutlich, daß der Grad der politischen Macht wesentlich vom Grad gelungener oder nicht gelungener Medienkommunikation abhängt, wie der Soziologie Thomas Mayer schreibt. Um die teilweise unberechenbaren Selektionen der Medien in den Griff zu bekommen, haben die politischen Organisationen deshalb Strukturen aufgebaut, mit denen Medienkommunikation betrieben wird.

Damit wird versucht, Einfluß auf die Themenwahl und die Art und Weise der Darstellung in der medialen Berichterstattung zu gewinnen. Dabei besteht aber auch die Gefahr, daß es zu Symbiosen zwischen Politik und Medien kommen kann, die von einer lockeren Verbindung bis hin zur totalen Abhängigkeit reichen können: „Da lebt ein Partner im Körper des anderen oder vom Körper des anderen“, wie der ehemalige Kanzleramtsminister Bodo Hombach im Jahre 2003, dieses Mal bereits auf der anderen Seite, als Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, in einem Vortrag im Palais am Festungsgraben in Berlin erläuterte.

 

Dr. Michael Mayer, Jahrgang 1960, Soziologe, war als Sozialarbeiter im In- und Ausland tätig. Heute arbeitet er als freier Pädagoge und Publizist. Zuletzt schrieb er auf dem Forum über Soziobiologie („Die Zukunft des Übermenschen“, JF 24/07).

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