© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/12 30. März 2012

Frankreich am Pranger
Toulouse: Deutsche Medien legen sich die Attentatsserie politisch korrekt zurecht
Fabian Schmid-Ahmad

Es ist ein kleines Lehrstück über die Funktionsweise von Ideologien. Kaum hatte sich bestätigt, daß die sieben Morde in Toulouse mit ein und derselben Tatwaffe begangen wurden, raunte es in der deutschen Presselandschaft von einem „Extremismus aus der Mitte der Gesellschaft“. Ja, ein zweiter Anders Breivik wurde von deutschen Journalisten per Ferndiagnose ausfindig gemacht. So wußte die Deutsche Presseagentur ganz genau: „Toulouse fürchtet Psychopathen à la Breivik“ und überschrieb ihre Nebelfahrt kühn mit „Analyse“.

„Er muß seine Anschläge bis ins Detail geplant haben, ähnlich wie Anders Behring Breivik, der Massenmörder von Oslo“, mutmaßten auch Thomas Kirchner und Hans Leyendecker in der Süddeutschen Zeitung. „Ein eindeutiges Motiv ist noch nicht erkennbar. Rechtsextremismus könnte eine Rolle spielen, aber auch Rache.“ Und phantasierten munter drauflos: „Vielleicht ist der Gesuchte einer der drei ehemaligen Soldaten des 17. Fallschirmjägerregiments in Montauban, die wegen rechtsextremistischer Gesinnung 2008 entlassen worden waren.“

Noch dreister verstieg sich der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Aiman Mazyek, in der Neuen Osnabrücker Zeitung: „Das atmet den Geist des NSU. Es ist leider nicht auszuschließen, daß es in Deutschland Trittbrettfahrer gibt“, mutmaßte der 1969 in Aachen geborene Cheflobbyist von 22 muslimischen Dachorganisationen, bevor die französische Polizei den Attentäter dingfest gemacht hatte. Der Rassismus in Europa sei inzwischen auf dem Vormarsch in die Mitte der Gesellschaft, stanzte der Medienberater mit dem ruhenden FDP-Parteibuch hastig in die dpa-Ticker.

Bei so viel zivilgesellschaftlichem Engagement konnte auch die Politik nicht zurückstehen. So sah SPD-Generalsekretärin Andreas Nahles anläßlich des „internationalen Tages gegen Rassismus“ – was es neben Frühlingsanfang und persischem Neujahrsfest halt noch so alles am 21. März gibt – offensichtlich gleich ihre eigene Partei im Fadenkreuz: „In Toulouse werden drei jüdische Kinder und ihr Lehrer getötet, zwei weitere Kinder sind schwer verletzt. Zuvor tötete offenbar der gleiche Täter drei farbige Soldaten. In Norwegen ermordet ein Nazi 77 Menschen – zumeist Jugendliche –, weil sie Sozialdemokraten waren. Diese Fälle rassistischer Verbrechen sind schockierend.“

Ja, im Grunde genommen hat also der Mörder nur zum Ausdruck gebracht, was als unterdrücke Ressentiments die französische Gesellschaft beherrscht, so wird schwadroniert. Wer weiß, wie weit sich Presse und Politik noch hineingesteigert hätten, wenn nicht abrupt die Realität eingebrochen wäre. Nun, wo der Täter sein großes Finale hatte, ist von diesem Generalverdacht gegen das Umfeld, welches ein solches Verbrechen ermöglichte, plötzlich nichts mehr zu hören.

Jetzt ist es auf einmal ein isolierter Einzeltäter, der quasi im luftleeren Raum seine Morde geplant hat. „Er sei ein ruhiger, anständiger, höflicher Junge gewesen“, wundert sich der Kölner Stadt-Anzeiger. Und Stefan Ulrich entdeckt in seinem  Kommentar für die Süddeutsche Zeitung die lyrische Seite des Dramas: „In den seelenlosen Trabantenstädten ballen sich junge, arbeitslose Franzosen aus zerfallenen muslimischen Immigrantenfamilien. Sie fühlen sich vom Staat vernachlässigt und von der Gesellschaft ausgegrenzt. Ihre Aussichten auf dem Arbeitsmarkt sind miserabel. Das macht diese Stiefkinder der Nation anfällig für Prediger, die ihnen eine neue Heimat im Islamismus versprechen.“

Dies ist so vermessen, daß Ulrich selbst zwar schreibt, dieses würde „Taten wie jene Merahs natürlich nicht erklären“. Er versucht es trotzdem. Und mit ihm Dutzende andere Schreiberlinge, die zuvor stellvertretend für den Mörder gleich ganz Frankreich an den Pranger stellten. Der plötzliche Umschwung kam in dem Augenblick, als klar wurde, daß mit Mohamed Merah wohl kein potentieller Anhänger des Front National gestellt wurde.

Das ist die Funktionsweise von Ideologien. Verallgemeinern, bis es paßt. Und differenzieren, bis es paßt. Dann stammt ein isolierter Einzeltäter wie Breivik „aus der Mitte der Gesellschaft“, während der über ein radikalislamisches Netzwerk eingebundene Merah nur ein isolierter Einzeltäter ist. Es ist so billig wie plump: Das erstere dient dazu, unsere Gesellschaft zu diskreditieren, als deren Vollstrecker Breivik dargestellt wird. Das letztere dient mittelbar dazu, indem Merah als ihr Opfer konstruiert wird. Der wohl nur zufällig ein frommer Moslem und im übrigen keineswegs ein „ruhiger, anständiger, höflicher Junge“ war, sondern als potentieller Terrorist beobachtet wurde.

Warum eigentlich nicht einfach mal die Ideologie vom Kopf auf die Füße stellen? Viel Blödsinn wurde über den „Faschismus“ und eine „autoritäre Erziehung“ der bürgerlichen Gesellschaft geschrieben, aber die unübersehbare Gewaltaffinität der islamischen Kultur soll angeblich ohne Folgen bleiben. Warum also nicht bis zum Beweis des Gegenteils von einem „Extremismus aus der Mitte der islamischen Gesellschaft“ ausgehen? Als deren Nebenprodukte möglicherweise Gestalten wie Merah auftreten?

Warum auch nicht bis zum Beweis des Gegenteils von isolierten Einzeltätern der Zwickauer Zelle sprechen, deren Ableger man gleich beim französischen Nachbarn wähnte? Vielleicht, weil sich das Gegenteil ganz einfach nicht beweisen läßt? Möglicherweise weil es die Wahrheit ist? Aber seien wir still und leise, stören wir die deutschen Ideologieproduzenten nicht bei ihrer Arbeit.

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