© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/12 30. März 2012

„Dieses Ergebnis ist kein Freibrief“
Mit einem Fernseh-Experiment zur besten Sendezeit in der ARD verblüffte TV-Starkoch Tim Mälzer unlängst sich selbst und viele Zuschauer. Wissenschaftlich konzipiert und betreut wurde der Versuch von Peter Nawroth, dem ärztlichen Direktor des Uniklinikums Heidelberg.
Moritz Schwarz

Herr Professor Nawroth, eine „grandiose Einschaltquote“ bescheinigten Ihnen am Ende sogar Ihre Kritiker: Tatsächlich hat Ihr TV-Experiment gemeinsam mit Tim Mälzer unlängst satte 4,2 Millionen Zuschauer vor die Mattscheibe gelockt.

Nawroth: Ja, Herr Mälzer wollte wissen, was eigentlich an unserer Vorstellung von „gesundem Essen“ wissenschaftlich dran ist. Gemeinhin wird ja etwa mediterrane Küche per se als gesund betrachtet, Fast-Food dagegen per se als ungesund.

Und das stimmt nicht?

Nawroth: Das wollten wir herausfinden. Meine These war: Es stimmt nicht.

Sondern?

Nawroth: Der Begriff „gesundes Essen“ setzt voraus, daß bestimmte Nahrung einen gesundheitlichen Nutzen hat – und das ist ohne jeden wissenschaftlichen Beleg. Ob es also eine Kost gibt, die bei einem Gesunden das Leben verlängern, den Blutdruck senken, Krebs unwahrscheinlicher oder Herzinfarkte seltener machen kann, ist eine Frage des Glaubens, aber nicht der Wissenschaft.

Das liest man gemeinhin anders, meist wird in gute und schlechte Lebensmittel unterteilt. Also in solche etwa mit vielen Ballaststoffen und Vitaminen und solche mit viel Zucker und Fett.

Nawroth: Ich sage, die Zauberformel lautet nicht was, sondern wieviel wir essen. Nämlich: Nicht mehr zu essen, als der Körper verbrennt! Also: Solange Sie sich nicht einseitig ernähren und die Gesamtkalorienmenge stimmt, kommt es eben nicht darauf an, was wir essen. 

Sie sind Leitender Ärztlicher Direktor am Uniklinikum Heidelberg und Experte für Stoffwechselerkrankungen. Ist ein Fernseh-Experiment für Sie der richtige Rahmen?

Nawroth: Warum nicht? Die Sendung dokumentierte ein Experiment, nach streng wissenschaftlichen Maßstäben, wie es in dieser Art und über diesen Zeitraum nach meinem Wissen noch nicht gemacht worden ist. Unser Konzept wurde überdies von der Ethik-Kommission der Uniklinik bestätigt, und ich schreibe gerade an einer Fassung der Auswertung, die dann in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift publiziert werden wird.

Wie sah das Experiment aus?

Nawroth: Wir haben 45 gesunde, normalgewichtige Männer zwischen zwanzig und vierzig Jahren ausgesucht. Frauen wurden wegen ihrer hormonellen Schwankungen ausgelassen, da diese das Ergebnis hätten verfälschen können – was nicht heißt, daß für sie das Resultat nicht gilt. Diese 45 Probanden wurden einen Monat lang von Tim Mälzer und seinem Team bekocht und mußten sich dabei penibel an deren Speiseplan halten. Das Experiment begann damit, allen Teilnehmern zunächst für zwei Wochen die gleiche Kost zu servieren, um ihren Stoffwechsel auf ein gemeinsames Niveau zu bringen. Dann begann die zweite, spannende Phase: Es wurden drei Gruppen gebildet. Die erste bekam von nun an ausschließlich mediterrane Kost, also mehr Gemüse, mehr als „gesund“ geltende ungesättigte Fettsäuren etc. Die zweite Gruppe wurde mit deutscher Hausmannskost ernährt, sprich mehr Fleisch und Kohlenhydrate. Der dritten wurde ausschließlich Fastfood serviert: Burger, Pommes, Bacon und Egg etc. – und das für weitere zwei Wochen, morgens, mittags, abends. Wenn man diese drei Kostformen anhand von Lebensmitteltabellen miteinander vergleicht, zeigt sich, daß sich die Inhaltsstoffe nur gering unterscheiden. Das betrifft auch Vitamine, Spurenelemente und anderes – bei gleicher Kalorienzahl.  

Also haben alle gleich viel gegessen?

Nawroth: Genau – und das ist ganz wichtig: Jede Gruppe bekam pro Mann 2.900 Kilokalorien am Tag. Das machte mengenmäßig natürlich einen erheblichen Unterschied, denn aufgrund der Energiedichte bekam damit die mediterrane Gruppe gut zwei Kilogramm Nahrung pro Tag auf die Teller, die deutsche Gruppe etwa 1.300 Gramm, die Fast-Food-Probanden aber nur knapp ein Kilo, nämlich etwa 950 Gramm. Unter ärztlicher Aufsicht wurde zu Beginn und am Ende der zweiten Phase Blut entnommen und in der Uniklinik Heidelberg untersucht, und zwar auf Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. Zudem wurde die Vitaminversorgung ermittelt.

Die mediterrane Gruppe hatte wohl vorbildliche Werte, die Fastfood-Gruppe dagegen alarmierend schlechte?

Nawroth: Falsch! Die Blutwerte aller Probanden zeigten kaum Abweichungen, sowohl vom Ausgangswert, der zu Beginn der zweiten Phase ermittelt wurde, noch die einzelnen Gruppen untereinander. Das ist auch nicht überraschend, da sich die Zusammensetzung der drei Kostenformen nur gering unterscheidet.   Tatsächlich konnten wir keine relevanten Unterschiede etwa beim LDL-Cholesterin feststellen, das zur Entstehung von Gefäßverkalkung beiträgt und den vielleicht gefährlichsten kardiovaskulären Risikofaktor darstellt. Auch beim „guten“, weil die Gefäße schützenden, HDL-Cholesterin gab es keinen signifikanten Unterschied. Und der Homocystein-Spiegel, ein Risikofaktor für Herzinfarkt und Schlaganfall, sank sogar bei allen Probanden gleichmäßig. Leberwerte, Blutzuckerspiegel, Nierenfunktion – alle Parameter blieben gleichermaßen unauffällig. Die kleinen Unterschiede, die es gab, waren so gering, daß sie im Bereich der Tag-für-Tag-Variabilität lagen und mit der Ernährung ganz sicher nichts zu tun hatten.

Allerdings, bei der Vitaminversorgung lag die Fastfood-Gruppe doch sicher zurück?

Nawroth: Die Tabellen bestätigten, daß auch die Versorgung der Fastfood-Gruppe mit den wichtigsten Vitaminen bei achtzig bis hundert Prozent lag.

Fastfood gilt gemeinhin als ausgesprochen vitaminarm – das stimmt also nicht?

Nawroth: Tatsächlich steckt selbst im Fastfood fast alles, was wir brauchen. Und der Vitamingehalt eines aufgewärmten Gerichts aus der mediterranen Gruppe etwa kann viel niedriger sein als der eines frisch zubereiteten Hamburgers. Lediglich beim Vitamin C und der Folsäure ergaben sich geringgradige Unterschiede, die aber so klein sind, daß schon ein Glas Orangensaft oder eine Handvoll Erdnüsse am Tag das ausgleichen würden. Allerdings: Unsere Fastfood-Gerichte wurden von Tim Mälzers Köchen frisch zubereitet, was also nicht unbedingt vergleichbar ist mit Fastfood aus dem Supermarkt-Kühlregal, von der Imbißbude oder dem Schnellrestaurant.

Der „Spiegel“ folgerte tags darauf in seiner Berichterstattung über Ihr Experiment ironisch: „Haut ins Mett, Jungs!“

Nawroth: Diese Schlußfolgerung ist einer dieser üblichen undifferenzierten Kurzschlüsse, die von uns nicht intendiert sind. Das Experiment zeigt vielmehr, daß selbst Fastfood bei Gesunden nicht zu einer signifikanten Änderung der Werte innerhalb von zwei Wochen führt. Dennoch würde ich niemandem zu einer einseitigen Ernährung raten. Aber es ist eben auch nicht nötig, gezielt bestimmte Lebensmittel zu essen, weil diese „gesund“ sind.

Was ist dann mit der bekannten Empfehlung der DGE, der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, fünfmal täglich eine mindestens faustgroße Portion Obst und Gemüse zu verzehren?

Nawroth: Sagte ich im Grunde schon: Wer gesund ist und sich insgesamt ausgewogen ernährt, braucht das nicht.

Also „alles falsch?“, was wir bisher über Ernährung gelernt haben, wie sich die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrem Artikel über Ihr Experiment fragte.

Nawroth: „Alles falsch“ – das ist mir zu pauschal. Nein, aber das Experiment belegt, daß einzelne Kostformen zu Unrecht verteufelt und andere zu Unrecht „heiliggesprochen“ werden. Nochmal: Wer – und diese drei Voraussetzungen sind ganz wichtig – gesund ist, ausgewogen ißt und sein Gewicht beibehält, macht nichts falsch und muß nicht darauf achten, unbedingt dies oder das zu essen oder zu meiden.

Die Sendung hat aber auch zu Protest geführt. Der Verein für Unabhängige Gesundheitsberatung etwa nannte das Experiment „abstrus“. Die ARD hat im Internet schließlich eine Seite eingerichtet, die zu einzelnen Kritikpunkten Stellung nimmt.

Nawroth: Ja, etwa die Testgruppe sei zu klein, die Laufzeit des Experiments zu knapp gewesen, oder es seien keine anderen Studien zum Vergleich herangezogen worden. Ich kann aber nur wiederholen, daß die Versuchsanordnung wissenschaftlichen Maßstäben entsprochen hat. Mir ist auch nicht bekannt, daß unter den Kritikern andere wissenschaftliche Stimmen waren. Dagegen wurden, wie in der Sendung zu sehen, auch Kollegen von anderen Universitäten zu einzelnen Fragen zitiert und interviewt.

Was wäre, wenn man das Experiment zum Beispiel auf ein Jahr ausdehnen würde?

Nawroth: Meine Hypothese ist, daß auch dann kein Unterschied nachweisbar wäre, da ja die Lebensmittel – bei gleicher Kalorienzahl – keine größeren Unterschiede in ihrer Zusammensetzung enthielten. Natürlich braucht es, um valide Aussagen über einen längeren Zeitraum machen zu können, auch eine Langzeitstudie. Ich sage ja, das ist meine Hypothese! Aber ich gebe zu bedenken, daß es diese Langzeitstudien auch für die Behauptung von den „gesunden“ Lebensmitteln nicht gibt: Niemand hat in einer Interventionsstudie bis jetzt schlüssig bewiesen, daß irgendeine Form der Ernährung Krankheiten verhindert.  

Laut Tim Mälzer haben sich die Probanden sehr unterschiedlich gefühlt: Die mediterrane Gruppe habe sich als „fit“ empfunden, während die Fastfood-Esser vielfach über Trägheit und Müdigkeit klagten.

Nawroth: Das überrascht mich nicht. Denn erstens gibt es immer einen Placebo-Effekt: Wenn ich glaube, ich esse gesund, fühle ich mich gut. Habe ich das Gefühl, gerade gesündigt zu haben, glaube ich eher, daß es mir schlecht geht. Zweitens, die hohe Fett- und Energiedichte, etwa im Fastfood, ist mühsamer zu verdauen. Während leichte Kost leichter zu verdauen ist. Drittens, wenn man es nicht gewohnt ist, energiedicht zu essen, wird man subjektiv schlicht nicht richtig satt. Tatsächlich führte die geringe Menge von unter einem Kilogramm Nahrung der Fastfood-Gruppe bei dieser auf die Dauer nicht zu einer Befriedigung des Sättigungsgefühls. Damit diese Probanden nicht im Laufe des Experimentes vor Hunger absprangen, mußten wir schließlich sogar die Nahrungsmenge erhöhen – natürlich entsprechend auch bei den anderen zwei Gruppen, denn Bedingung war ja, daß alle immer die gleiche Kalorienmenge zu sich nehmen. Ich sage es nochmal: Das Ergebnis ist kein Freibrief, sich zu fett oder zu kalorienreich zu ernähren. Aber die Gefahr von kalorienreichen Lebensmitteln liegt – bei insgesamt ausgewogener Ernährung – nicht in dem Umstand, daß sie zuviel oder zuwenig von etwas enthalten, sondern daß sie uns leichter dazu verführen können, insgesamt zuviel zu essen, also zu viele Kalorien, zuviel Energie aufzunehmen. Und dann beginnen in der Tat die Probleme!

Es Es bleibt aber, daß Ihre Ergebnisse vielen sonst gegebenen Empfehlungen widersprechen.

Nawroth: Um konkret Stellung zu nehmen, müßte man jetzt fragen, von welchen Empfehlungen Sie im einzelnen reden. Fakt ist, daß es für viele solcher Empfehlungen eben keine wissenschaftliche Grundlage gibt, die auf einer Interventionsstudie beruht. Denn es gibt viele Beispiele, daß bei Interventionsstudien völlig anderes herausgekommen ist als bei Beobachtungsstudien. Beispiel: Vitamin C korreliert mit Infekten, aber wenn man Vitamin C gibt, werden die Infekte nicht weniger. Das, was ich sage, ist bei den meisten Experten Konsens. Es gibt aber das Bedürfnis, sich Gesundheit, Jugend und Zukunft möglichst dauerhaft zu verschaffen, und deshalb blüht eine „Industrie“ von Ratgebern, auch im Bereich Ernährung, die dieses Bedürfnis befriedigt. Mit wissenschaftlichen Fakten hat das aber nichts zu tun. Viele Leute wollen glauben, daß sie etwas essen können, was sie vor Krankheit, Verfall oder Tod möglichst schützt, und sie wollen sich diesen Glauben auch nicht nehmen lassen, das ist eine Art Naturreligion.

Wie ist dann zu erklären, daß etwa die fischessenden Eskimo länger leben?

Nawroth: Obwohl wir in Deutschland angeblich immer ungesünder essen, leben wir immer länger. Eskimos essen mehr Fisch und haben weniger Herzinfarkte. Dafür haben sie aber mehr Krebs und Hirnblutungen, und sie sterben früher als wir! Davon hören wir aber kaum etwas, weil sich damit im Gegensatz zu dem Fisch-Argument keine Omega-3-Fettsäure-Produkte verkaufen lassen. Es ist inzwischen belegt, daß für normale, gesunde Menschen etwa Streß oder Arbeitslosigkeit viel bedeutendere Faktoren für Herzinfarkt, Schlaganfall und Tod sind, als der Fettgehalt einer Nahrung oder ihr LDL-Cholesterinwert. Es gibt eine Beobachtungsstudie, die zeigt, daß gute soziale Beziehungen wie eine gute Ehe und regelmäßiger Geschlechtsverkehr das Risikio kardiovaskulärer Erkrankungen weit mehr senken, als dies in Ernährungsstudien beobachtet werden konnte. Das Gesündeste am Essen ist in dieser Hinsicht vermutlich das positive Erlebnis, das Sie haben, wenn Sie es in Ruhe und Entspannung mit guten Freunden oder besser noch mit Ihrer Familie tun.

 

Prof. Dr. Peter Nawroth, ist Leitender Ärztlicher Direktor und Vorstandschef am Uniklinikum Heidelberg sowie Inhaber des Lehrstuhls Innere Medizin und Klinische Chemie. Er gilt als einer der führenden Experten zum Thema Stoffwechsel und Diabetes. Nawroth, geboren 1954, war Stipendiat der Columbia-Universität New York, wechselte dann zur Medical Research Foundation Oklahoma, lehnte den Ruf der Unis München und Münster zugunsten Tübingens ab und ist seit 2001 in Heidelberg. Neben seinem Engagement in der Europäischen und Deutschen Diabetes-Gesellschaft ist er Mitglied der nationalen Akademie der Wissenschaften „Leopoldina“ und leitet zahlreiche Tagungen und Weiterbildungen, außerdem schrieb er mehrere Fachbücher. Er konzipierte und betreute das von Tim Mälzer durchgeführte Experiment, das die ARD am 27. Februar um 20.15 Uhr unter dem Titel „Der Ernährungscheck“ ausstrahlte. Weitere Informationen sind auf der Netzseite Tim Mälzers zu finden, die ganze Sendung in der ARD-Mediathek.

www.tim-maelzer.info

Foto: Szene aus dem TV-Experiment mit Tim Mälzer und Peter Nawroth: „Die Sendung dokumentiert einen streng wissenschaftlichen Versuch“

 

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