© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/12 30. März 2012

Hart an der Wirklichkeit
Auf der Klaviatur deutscher Schuldgefühle: Vivien Steins Biographie des Kunstsammlers Heinz Berggruen
Thorsten Hinz

Die Trauerfeier für den Kunstsammler Heinz Berggruen am 2. März 2007 in Berlin wurde als Staatsakt zelebriert. Der Bundespräsident, die Kanzlerin, der Außenminister, der Regierende Bürgermeister bekundeten ihre Anteilnahme. Zu dem Zeitpunkt war der mit 93 Jahren verstorbene Berggruen längst in den Stand der Beinahe-Heiligkeit entrückt. Spätestens seit der Übergabe seiner Kunstsammlung an das Land Berlin im Jahr 2000 wurde von ihm ausschließlich im Tonfall äußerster Ehrerbietung gesprochen. Die Aura des kunstsinnigen Philantropen ist auf seinen Sohn Nicolas übergegangen. Als der im Sommer 2010 Karstadt übernahm, wurde er als eine ätherische Erscheinung angestaunt, die hoch über den Niederungen des schnöden Kapitalismus schwebt.

Doch was heißt Übergabe der Sammlung? Rund 250 Millionen D-Mark waren an Berggruen geflossen. Kein überhöhter Preis für all die Picassos, Matisses und Klees gewiß, aber auch kein Pappenstiel. Zuvor hatte Berggruen einige der besten Stücke aussortiert, um sie anderweitig zu verkaufen. Doch wer nicht auf die Details blickte und sich vom Spektakel der Medien gefangennehmen ließ, kam zur Überzeugung, Berlin sei eine Quasi-Schenkung vermacht worden.

Der eigentliche Reiz des Vorgangs lag ohnehin in der impliziten Betroffenheits- und Heilsgeschichte: Ein als junger Mann aus dem Land getriebener und in der Fremde zu Reichtum gelangter Jude war in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Nicht als Rächer wie die alte Dame bei Dürrenmatt, sondern als Wohltäter, der den Deutschen ihre Läuterung bescheinigte, der ihnen verzieh und sie belohnte. Berggruen wurde zu einem übermenschlichen Wesen von monströser Güte stilisiert. Gewiß, unter der Hand kursierten auch gegenläufige Gerüchte, doch kein Journalist oder Kulturpolitiker wagte es, ihnen nachzugehen und sie auszusprechen.

Das hat die Autorin Vivien Stein, ein Kind Berliner Emigranten, nachgeholt. Jahrgang 1951, bringt sie aus jahrzehntelanger Tätigkeit eine intime Kenntnis der internationalen Kunstszene mit. Damit das Ergebnis ihrer Recherchen in Buchform erscheinen konnte, mußte eigens ein Verlag in der Schweiz gegründet werden. Als im vergangenen Herbst in der Süddeutschen Zeitung eine lobende Besprechung erschien, artikulierte sich in den anderen Zeitungen ein heiliger Zorn über die Beschmutzung des Berggruen-Denkmals. Obwohl keine einzige Feststellung widerlegt werden konnte, gilt die Biographie als „umstritten“. Spätestens seit der Sarrazin-Debatte weiß man, was das bedeutet: Das Buch ist hart an der Wirklichkeit und verletzt damit die gültigen Diskursgesetze. Folglich hat es gute Chance, die von Verlogenheit beherrschte Gegenwart zu überdauern.

Vivien Stein will Heinz Berggruen gar nicht demontieren. Sie stellt sachlich dar, daß die Öffentlichkeit über ihn kaum etwas wußte. Sie kannte nur das, was er ihr erzählt hatte, und das war eine Mischung aus Legende und Wirklichkeit. Außergewöhnlich ist sein Lebensweg allemal.

1935 veröffentlichte er in der Frankfurter Zeitung einen frühreifen Aufsatz über Thomas Manns „Zauberberg“, genauer: über die Figur des jüdischen Sophisten Naphta. Der Text geriet ihm zur Selbstaussprache über die Zerrissenheit der jüdischen Existenz. Ein Jahr später verließ er Deutschland in Richtung Vereinigte Staaten, wobei er Wert darauf legte, ausgereist, nicht geflohen zu sein. In den USA gelang es ihm, Kontakte zu Künstlern und Galeristen zu knüpfen. Allerdings hat er die eigene Bedeutung und seine Nähe zu den Berühmtheiten in den Selbstdarstellungen maßlos übertrieben. Nein, er war nicht der Geliebte von Frieda Kahlo und auch nicht der engste Vertraute Diego Riveras. Seine Freundschaft mit Picasso war eine lockere Bekanntschaft, und der behauptete große Krach mit Peggy Guggenheim fand entweder im stillen oder eher gar nicht statt. Stein fand auch keine Anhaltspunkte für Berggruens Mäzenatentum und Philantropie. Er war ein knallharter Geschäftsmann und besaß ein sagenhaftes Geschick, Steuern zu vermeiden.

Seine Tätigkeit als  Kunsthändler beginnt unmittelbar nach dem Krieg. 1945 kehrte er in amerikanischer Uniform nach Deutschland zurück. Die Menschen hungerten, Deutschland durfte keinen Handel treiben, keine Lebensmittel einführen und war von Hilfssendungen abgeschnitten. Privatreisen ins Ausland waren verboten. Berggruen tauschte Lebensmittel und Zigaretten (die das Hungergefühl stillten) gegen Kunstwerke, die er anschließend in der Schweiz verkaufte.

So weit, so profan. Der internationale Kunsthandel ist ein Haifischbecken, in dem sich die Haifische, keine verspielten Delphine behaupten. Das ist kein Werturteil! Indem sie Berggruen als Haifisch beschreibt, gibt Vivien Stein ihm seine menschliche Dimension zurück. Menschlich ist es übrigens auch, hinterher ein anderer und Besserer gewesen sein zu wollen.

Psychologisch betrachtet, ist der Zorn der Kritiker ein Ausdruck ihrer Selbstbeschämung. Denn das Problem, das Stein seziert, liegt nicht bei Berggruen, sondern in der Berliner beziehungsweise deutschen Gesellschaft, die nicht nichts wußte, nicht nachfragte, sondern ein blöde-andächtiges Auditorium bildete und für jedes Manöver Berggruens eine positive Erklärung fand. Die in „Weltoffenheit“ schwelgende politisch-mediale Klasse hat sich erneut als tief provinziell erwiesen: Sie fand „in Berggruen eine Projektionsfläche für alle Klischees, die man in Deutschland mit dem Bilderbuchbegriff ‘jüdischer Intellektueller’ verbindet. Der Parvenü, der in seiner eigenen Galerie oft für einen Angestellten gehalten wurde, wird zum feinen Herrn: ‘eine elegante Erscheinung’, ‘von größter Distinktion und Diskretion’, ‘große Klasse’. (...) Nachkriegsschiebereien verwandeln sich magisch in Nächstenliebe (…) Der mehrfache Steuerflüchtling wird zu einer der verehrten, gefeierten und geliebten Figuren des Weltanspruchs.“ Es ist peinvoll, die Zeugnisse der Unterwürfigkeit und Selbsterniedrigung zu lesen, die Stein aus den deutschen Feuilletons zitiert.

Als einzig Normaler in der Anstalt erscheint schließlich Heinz Berggruen, der seine Bewunderer natürlich durchschaute und im Ausland über sie spottete: „Mit all diesen Orden sehe ich aus wie Hermann Göring“, kommentierte er die Ehrungen, mit denen er in Deutschland überschüttet wurde. An anderer Stelle mokierte er sich über die Verrückten, die ihm Briefe mit seitenlangen Schuldbekenntnissen schickten.

Der deutschen Verrücktheit entspringen auch die Restitutionsregeln, die zu den abenteuerlichsten Ansprüchen an Museen und Galerien ermuntern. Berggruen hat gleichfalls auf der Klaviatur des deutschen Schuldgefühls gespielt und Konditionen für sich ausgehandelt, die ihm in keinem anderen Land gewährt worden wären. Über seinen Tod hinaus besitzt Berggruens Name eine enorme symbolpolitische Bedeutung. Sie ist so groß, daß der Wikipedia-Eintrag zu seiner Person einer Hagiographie gleicht und bis heute (Ende März 2012) von Vivien Steins Recherchen völlig unberührt geblieben ist. Erstaunlicherweise ist Nicolas Berggruen, der vom Philantropenruf seines Vaters zehrt, mittlerweile vom ZDF als ganz normale Heuschrecke demaskiert worden.

Was bleibt von der Berggruen-Legende? Die prächtige Sammlung Berggruen im Stüler-Bau gegenüber dem Schloß Charlottenburg, die ihr Namensgeber mit eisernem Willen zusammengetragen hat. Im Sommer soll sie wiedereröffnet werden. Freuen wir uns darauf!

Vivien Stein: Heinz Berggruen. Leben & Legende. Edition Alpenblick, Zürich 2011, gebunden, 571 Seiten, 28,90 Euro

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