© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/12 06. April 2012

Abschied vom Kommunismus
Literatur: Der russische Dissident Lew Kopelew
Markus Brandstetter

Mit seinem prächtigen weißen Bart, den milden Augen, und dem kahlen Denkerschädel wirkte Lew Kopelew stets wie das Urbild des russischen Memoirenschreibers, politischen Analytikers und Philosophen. Von all dem hatte er auch wirklich etwas, hauptsächlich aber war er eine Mogelpackung. Kopelew hat Aufstieg und Fall des Stalinismus hautnah miterlebt, aber seine Erinnerungen daran sind selektiv, seine Einsichten trivial, sein analytischer Durchblick gering. Fünfzig Jahre nach den Geschehnissen (1981) zerfieselt er Stalins Rhetorik, entlarvt post festum den Diktator, was andere wie André Gide („Retour de l’U.R.S.S.“, 1936) oder Robert Conquest („The Great Terror“, 1968) Jahrzehnte früher, schärfer und gründlicher getan haben. Kopelews Memoiren, die er auf 1.400 Seiten ausbreitet, sind anekdotisch, weitschweifig und langweilig. Nie erreicht er die emotionale Gewalt, die tiefe Traurigkeit und menschliche Größe von Gulag-Insassen wie Margarete Buber-Neumann oder Jewgenia Ginsburg.

In seiner Autobiographie „Und schuf mir einen Götzen“ schildert Kopelew, wie er als überzeugter Kommunist an der Zerschlagung der Kulaken (Großbauern) teilnimmt; wie sein Vater ihm die Leviten liest und erklärt, daß die Kommunisten die Leibeigenschaft schlimmer als unter den Zaren wieder eingeführt hätten. Bis zuletzt weiß Kopelew nichts davon, daß zehn Millionen Menschen beim Krieg gegen die eigenen Bauern ums Leben kamen und zwanzig Millionen auf Jahrzehnte versklavt und unterdrückt wurden.

Am Zweiten Weltkrieg nimmt Kopelew als Propaganda-Offizier der Sowjetstreitkräfte teil. Die Greueltaten der Russen gegenüber den Deutschen erschüttern ihn. Er lehnt sich dagegen auf, wird verpfiffen, verhaftet und zu zwanzig Jahren Lagerhaft verurteilt. Im Gulag lernt er Solschenizyn kennen und tritt den Weg einer langwierigen Bewußtwerdung an, der endlich auch ihm zeigt, daß der Kommunismus nicht die endgültige Heilslehre ist.

1981 reist er nach Deutschland aus, wo er zum Liebling des sozialdemokratischen Establishments und zum Freund des Literaturnobelpreisträgers Heinrich Böll avanciert. Er wirkt authentisch, kann exzellent Deutsch und kommt nur gemäßigt antikommunistisch daher, ist dabei aber weder wirklich konservativ (wie Solschenizyn) noch ein bekehrter Ex-Kommunist (wie Wolfgang Leonhard). Heute ist in Köln ein kleiner Weg nach ihm benannt.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen