© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/12 06. April 2012

Wechselbad der Gefühle
Jahrhundertkrankheit: Die Alzheimer-Forschung pendelt zwischen Resignation und leiser Zuversicht
Arne Klein

Die vor ein paar Wochen von der Boulevardpresse ausgewalzte Alzheimer-Erkrankung des Ex-Fußballmanagers Rudi Assauer trifft zusammen mit der Meldung, daß die US-Regierung trotz gewaltiger Etatdefizite die Mittel für die Erforschung der am meisten verbreiteten Demenzkrankheit bis 2014 um 130 Millionen Dollar aufstockt. Angesichts der bis 2050 prognostizierten Verdopplung der 5,1 Millionen heute davon betroffenen US-Bürger spricht Gesundheitsministerin Kathleen Sebelius von einer wachsenden Bedrohung für „amerikanische Familien und unsere Nation insgesamt“.

Mit ihrem gesundheitspolitischen Paukenschlag ist die Obama-Regierung spät dran – verglichen mit der Bundesregierung, die bereits vor fünf Jahren beschloß, den Geldhahn für die Alzheimer-Forschung aufzudrehen, um endlich den ersehnten Durchbrüchen in Diagnose und Therapie näher zu kommen. 2009 wurde in Bonn im Rahmen der Helmholtz-Gemeinschaft das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) eingeweiht. Organisiert von dem italienischen Biomediziner Pierluigi Nicotera, soll dieses Netzwerk, in das sieben Standorte molekularbiologischer und hirnphysiologischer Spitzenforschung eingebunden sind, frischen Wind in die stagnierende Suche nach den Krankheitsursachen von Alzheimer und Parkinson bringen.

60 Millionen Euro kommen jährlich aus dem Haushalt von Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) in der Erwartung, daß die DZNE-Experten helfen werden, ein Gehirnleiden in den Griff zu bekommen, das eine alternde Gesellschaft ohne wirksame Therapie in die medizinisch-soziale Katastrophe zöge (JF 52/11). Zumindest dann, wenn 2050 vier Millionen statt der derzeit etwa 700.000 Alzheimer-Patienten in Deutschland zu versorgen wären.

Neue Impulse sind auch angesichts einer sich ausbreitenden therapeutischen Resignation dringend erwünscht. In den vergangenen Jahren versetzten Nachrichten von der Forschungsfront Betroffene und Angehörige in ein Wechselbad der Gefühle. Zwar fanden Berichte über Erkenntnisfortschritte und Ankündigungen bald marktreifer Medikamente den Weg aus Fachzeitschriften in die Tagespresse. Auf dieser Linie bewegt sich auch die den „Fall Assauer“ abfedernde Nachricht, US-Forscher hätten mit dem gegen Lymphdrüsenkrebs erfolgreichen Wirkstoff Bexaroten Alzheimer-Symptome bei Mäusen rückgängig gemacht. Jedoch folgte auf solche euphorische Meldungen allzuoft die Ernüchterung.

Erinnert sei nur an den 2010 eingestandenen Rückschlag des US-Pharmariesen Eli Lilly. Vergeblich waren 300 Millionen Dollar in den Wirkstoff Semagacestat (LY450139) investiert worden. Denn auf dieser Basis erprobte Medikamente bauten zwar amyloide Plaques, verklumptes Eiweiß zwischen den Nervenzellen ab, das als Hauptauslöser der Alzheimer-Demenz gilt. Aber die Reduktion brachte für 2.600 Probanden, die Eli Lilly klinischen Tests unterwarf, keine Besserung. Im Gegenteil: Die Gedächtnisverluste weiteten sich aus, und zusätzlich erhöhte sich das Risiko einer Hautkrebserkrankung.

Von solch „Risiken und Nebenwirkungen“ ist die Alzheimer-Forschung der Pharma-Labore geprägt, obwohl Bild ihnen vorige Woche eine „Vorreiterrolle“ bei den angeblich „beachtlichen Ergebnissen in der Forschung zu den genetischen Voraussetzungen für den Ausbruch von Morbus Alzheimer“ attestiert. Tatsächlich hätte es des Eli-Lil-ly-Desasters gar nicht bedurft, um den Forschungsstand illusionsfreier zu beurteilen. Von der Kapitulation angesichts des Befundes, keine effektive Therapie und erst recht keine Chance auf Heilung offerieren zu können, sprachen Teilnehmer auf der Jahrestagung der Internationalen Alzheimer-Gesellschaft (ADI) 2011 in Paris. Die Süddeutsche Zeitung resümierte damals ein „Scheitern der Alzheimer-Forschung“.

Keine Rede mehr von der Prophezeiung des Molekularbiologen Konrad Beyreuther (Uni Heidelberg), der beflügelt von der ihm 1986 gelungenen Identifizierung der chemischen Bestandteile der Eiweißplaques glaubte, 2010 werde Alzheimer „Geschichte“ sein. Stattdessen gewinnt Skepsis die Oberhand. So sekundierte den Pariser Konferenzteilnehmern jüngst Beate Grübler (Deutsches Ärzteblatt 1-2/12): 105 Jahre nach der Erstbeschreibung der Krankheit durch den Münchner Neurologen Alois Alzheimer hätten 25.000 Forscher, die sich weltweit mit der Lösung von Demenz-Rätseln befassen, kaum „dürftig“ zu nennende Resultate vorzuweisen.

Auf der Tübinger Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie schlug diese Frustation in die Bereitschaft um, eingefahrene Wege zu verlassen und „alles auf Null“ zu stellen. Auf den Prüfstand wollten die 150 Wissenschaftler vor allem die fast zur Binsenweisheit abgesunkene Hypothese stellen, daß Eiweißablagerungen im Gehirn wirklich Demenz auslösen. Diskutabel scheint inzwischen, ob die Plaques nicht vielleicht nur Begleiteffekte seien, zumal Fehlschläge der Pharma-Forschung erwiesen hätten, wie gering sich die Verminderung dieser Eiweißablagerungen auf die Symptome der Patienten auswirkte.

Ungeachtet solcher Zweifel konzentrieren sich die Hirnforscherteams um Jens Pahnke (Rostock) und Steffen Roßner (Leipzig) weiter auf den biochemischen Mechanismus, durch den krankhafte Proteinablagerungen in den Hippocampus gelangen, den Teil des Gehirns, der für Lernen und Gedächtnis zuständig ist. Auch sie, wie ihre auf Grüntee-Extrakte mitsamt Laserbestrahlung setzenden Berliner und Ulmer Kollegen machten 2011 mit „grundlegenden Erkenntnissen“ auf sich aufmerksam. Kämen sie auf diesen Pfaden wenigstens an das bescheidene mittelfristige Ziel, das der Freiburger Gerontologe Michael Hüll anvisiert, bis 2020 nutzbringende Medikamente für spezielle kleine Gruppen von Alzheimer-Kranken zu entwickeln, wäre schon viel erreicht.

Foto: Kein Hoffnungsschimmer im Pharmalabor: Die eingefahrenen Forschungswege verlassen und wieder „alles auf Null“ stellen

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