© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/12 13. April 2012

Zähes Gedenken an Johannes Fest
Berlin: Das von der Linkspartei dominierte Lichtenberg tut sich schwer mit dem konservativen Hitler-Gegner
Ronald Berthold

Mit einer Verzögerungsstrategie, die auf Vergessen setzt, verschleppt das von Linkspartei und SPD dominierte Berliner Bezirksamt Lichtenberg die Benennung einer Straße nach Johannes Fest (1898–1960). Der Vater des Historikers und Publizisten Joachim Fest gilt als bürgerlich-konservativer Kritiker des NS-Regimes. Er verlor seinen Beruf als Schulleiter in dem Bezirk und erzog seine Kinder in einem freiheitlichen Sinne. Seit fünf Jahren liegt der Vorstoß, in dem Stadtteil eine Straße nach ihm zu benennen, auf Eis.

Bereits 2007 fragte der Kulturpolitiker André Schmitz (SPD) bei Lichtenbergs damaliger Bezirksbürgermeisterin Christina Emmrich (Linkspartei) an, ob Fest am Ort seiner Geburt in Karlshorst geehrt werden könnte, berichtet das Boulevardblatt B. Z. Laut Bezirksbürgermeister Andreas Geisel (SPD) sei die Prüfung, ob eine Straße nach Fest umbenannt werden könne, bislang nicht erfolgreich gewesen. Allerdings stellte Geisel gegenüber der Zeitung in Aussicht, eine bislang namenlose Grundschule in der Nähe von Fests einstigem Wohnort nach ihm zu benennen.

Johannes Fest gehörte nicht zu jenen lauten Moralisten, die ihre Gegnerschaft zu Hitler nach dem Krieg wie eine Monstranz vor sich hertrugen. Im Gegenteil: Er blieb bescheiden und machte um seine Geschichte kein Aufhebens, weil er sie für eine Selbstverständlichkeit hielt.

Es ist seinem Sohn Joachim, dem einstigen Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Hitler-Biographen, zu verdanken, daß die Nachwelt von der konservativen Standhaftigkeit Johannes Fests erfuhr. In seinem kurz vor seinem Tod 2006 veröffentlichten Buch „Ich nicht!“ berichtete der Junior über die Geradlinigkeit des Seniors. Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Ehrung des Pädagogen sollten diese Erinnerungen des Sohnes noch einmal ins Gedächtnis gerufen werden.

Familie Fest lebte nach der Entlassung des Vaters von der Hand in den Mund. Die riesige Eigentumswohnung in Berlin-Lichtenberg wurde verkleinert. Wände wurden zugemauert, die dahinter liegenden Räume vermietet. Die Kinder mußten sich fortan die Zimmer teilen, die Kleidung wurde unzählige Male geflickt. Statt zu vornehmen Abendessen lud man die Freunde nur noch zu Teestunden ein. In den Gesprächen ging es um den Untergang des Abendlandes, den Hitler mit seiner kultur- und gottlosen Politik und der Vertreibung der Intelligenz aus Deutschland wie keiner vor ihm vorantrieb.

Einmal flehte seine Frau Johannes Fest an, sich dem Regime doch ein kleines bißchen kompromißbereit gegenüber zu zeigen. Er möge doch in  die Partei eintreten. Der Familie zuliebe, sie hätte dann wieder einen Ernährer. Die Frau sagte nach der Erinnerung Joachim Fests sinngemäß: „Und wenn es eine Lüge gegenüber denen da oben wäre, und eine Lüge solle es auch sein (...) Tausend Lügen sogar, falls notwendig. Sie hätte da keine Bedenken. Die Unwahrheit sei immer das Mittel der kleinen Leute gegen die Mächtigen gewesen ... Nun schien die Überraschung auf seiten meines Vaters. Jedenfalls sagte er einfach: ‘Wir sind keine kleinen Leute. Nicht in solchen Fragen!’“ Tatsächlich: Hier zeigte sich wahre Größe.

Das war 1936, der Hochzeit des nationalsozialistischen Regimes. Es war nicht absehbar, daß das Regime irgendwann untergehen würde. Johannes Fest hatte sich trotz aller Entbehrungen gegen jede noch so winzige Kollaboration entschieden. Daß Deutschland Hitler jemals wieder loswerden würde, daran war nicht zu denken. Der „Führer“ schien das Glück gepachtet zu haben. Die Arbeitslosigkeit ging rapide zurück, außenpolitisch revidierte er nach und nach den – auch von der Familie Fest als Schmach empfundenen – Versailler Vertrag. Zunächst auf friedlichem Wege.

Den dann 1939 folgenden spektakulären Blitzsieg gegen Frankreich gönnte Fest Hitler keineswegs, doch die Franzosen, die gemeinsam mit England Deutschland den Krieg erklärt hatten, hätten die Niederlage verdient, meinte er auch mit Blick auf Versailles. Das ist die differenzierte Haltung, die im Hause Fest gepflegt wurde – und die heute im Zeitalter der einfachen Erklärungen vielen Schwierigkeiten bereitet.

Jegliches Mitmachen bei den Nationalsozialisten kam für die Familie nicht in Frage. Als Joachim Fest zehn Jahre alt war, legte der Vater seinem Sohn einen Zettel hin und diktierte: „Etiam si omnes – ego non!“ Und dann übersetzte er: „Auch wenn alle mitmachen – ich nicht!“ Seinen Widerstand gegen das Dritte Reich, Hilfe für Verfolgte in Form falscher Papiere, wollte Johannes Fest bis zuletzt trotz des Drängens seiner Söhne nicht aufschreiben, weil er sich nicht über andere erheben wollte. Als Mitglied einer Entnazifizierungskommission wehrte er sich sogar gegen die Einstufung eines NSDAP-Ortsgruppenleiters als „belastet“. Der Funktionär hatte drei Kinder – und Johannes Fest wußte aus eigenem Erleben, unter welchem Druck man in solcher Situation stand.

Joachim Fest stellte später über seinen Vater folgende Überlegung an: „Ich habe mich oft gefragt, wer von den vielen Heldenrhetoren der Gegenwart, die sich auf den Tribünen der Gedenkveranstaltungen tummeln, wohl wie er entschieden hätte.“ Auch ihr Maulheldentum macht es wohl den professionellen Antifaschisten in Berlins Politik so schwer, eine Biographie wie die von Johannes Fest zu würdigen.

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