© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/12 13. April 2012

Demographischer Sinkflug
Bevölkerungsentwicklung Deutschlands: Viel Schatten, wenig Licht
Curd-Torsten Weick

Sichtlich stolz präsentierte Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs im September 2011 die neuesten demographischen Daten der Landeshauptstadt. Potsdam wächst. Seit elf Jahren hat die Stadt eine positive Bevölkerungsentwicklung zu verzeichnen.

Ursache hierfür ist nicht allein die Zuwanderung aus dem Potsdamer Umland sowie Berlin, sondern ebenso der hohe Geburtenüberschuß von 400 Personen, der so bisher nach der Wende noch nie erreicht wurde. Im Jahr 2010 starben 1.353 Potsdamer, demgegenüber erblickten 1.753 Kinder das Licht der Welt (118 mehr als 2009). Seit neun Jahren gibt es in Potsdam mehr Geburten als Sterbefälle.

Verkehrte Welt. Im Vergleich zu anderen Orten Brandenburgs hat Oberbürgermeister Jakobs ein Luxusproblem, wenn er von den „schwierigen finanziellen Herausforderungen“ spricht, die die Stadt im Bereich der „Wohnraumerweiterung, der sozialen Infrastruktur sowie der Einrichtung von Schulen und Kitas umzusetzen“ habe.

Parallel dazu fällt Potsdam zumindest etwas aus dem Rahmen, wenn man die Fertilitätsrate betrachtet. Denn im Durchschnitt wurden im Jahr 2010 von jeder Potsdamerin 1,58 Kinder geboren. Damit liegt die Stadt über dem Durchschnittswert in den neuen Bundesländern (1,46 Kinder pro Frau), in den westdeutschen Ländern (1,39 Kinder) und des Bundes, mit ebenfalls 1,39 Kindern pro Frau.

Doch ein Blick auf das Jahr 1960, in dem eine Frau sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR durchschnittlich 2,4 Kinder hatte, genügt, um das Bild zurechtzurücken. Denn für den Erhalt der Bevölkerungszahl (Generationenersatz) wären über die Jahre 2,1 Kinder pro Frau notwendig gewesen. Diese Zahl wurde beiderseits der Elbe seit Anfang der 1970er Jahre nicht mehr erreicht. Parallel dazu übertraf die Zahl der Sterbefälle die der Geburten erstmalig im Jahr 1972 und setzte sich fort. Allein im Jahr 2009 standen in Deutschland 665.000 Lebendgeborenen 855.000 Gestorbene gegenüber.   

Seitdem verändert sich der Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland, und die Struktur zwischen den Altersgruppen verschiebt sich rapide. Einem sinkenden Anteil Jüngerer steht ein wachsender Anteil Älterer gegenüber. Hielten sich die Altersgruppen der unter 20jährigen und die der über 60jährigen im Jahr 2000 noch die Waage, werden die unter 20jährigen im Jahr 2060 mit einem Anteil von 16 Prozent an der Bevölkerung einem Anteil von 48 Prozent der über 60jährigen gegenüberstehen.

Dabei verläuft der demographische Sinkflug, der einhergeht mit erheblichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Negativentwicklungen (Stichwort: Wirtschaftsrückgang, Wohlstandseinbußen, angespannte Pflegesituation, mangelnde medizinische Versorgung), innerhalb Deutschlands regional unterschiedlich.Vor allem viele mitteldeutsche Regionen sind mit einem deutlichen Rückgang der Bevölkerungszahl und einer starken Überalterung konfrontiert. In zunehmendem Maße gilt dies jedoch auch für viele ländliche und städtische Regionen in Westdeutschland.

 Die wachsenden Regionen verdanken ihren Bevölkerungsanstieg zumeist wirtschaftlich bedingten Wanderungsbewegungen. Zuwächse durch Geburtenüberschüsse, wie in Potsdam zu beobachten (2009: plus 1,9), sind  dagegen eher rar gesät. Von den Hauptstädten waren dies Berlin (plus 0,1), Stuttgart (0,2), Mainz (0,4), Wiesbaden (0,5), Dresden sowie München (2,5).

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