© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/12 13. April 2012

Zuwenig Nitroglycerin
Brüderliche Freiheit: Zum 13. Jünger-Symposion in Heiligkreuztal
Sebastian Hennig

Zum dreizehnten Mal versammelte sich der Freundeskreis der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger am Palmsonntagwochenende im einstigen Zisterzienserinnenkloster von Heiligkreuztal zu seinem Jünger-Symposion. „Freiheit“ ist für dieses und das folgende Jahr das übergreifende Thema und Motto aller Vorträge. Während bei dem französischen Maler Eugène Delacroix die halbnackte Freiheit es nicht verschmäht, das Volk in Person auf die Barrikaden zu führen, veranlaßte hier eine literarische Freiheit die akademischen Eliten, an das Katheder zu treten.

In allen Beiträgen wurde mit dem Nitroglycerin in diesem Begriff behutsam mal jongliert und öfter aber auf Pantoffeln um das explosive Gefäß der Jüngerschen Schriften herumgeschlichen. Zur abendlichen Einführung wrang Günter Figal seine sinndurchtränkten Hauptsätze mit ihren Nebensätzen wieder aus. Sein Vortrag über „Jüngers Freiheiten“ war eine Möbiusschleife aus Staniolpapier, von der Schere einer leerlaufenden Gewitztheit in immer feinere Streifen geteilt. Wobei der zuvor selbstgeklebte Zusammenhang in immer neuen Figuren sichtbar wurde. „Absetzung des Geistes vom Gegenstand, des Autors von der Welt“, diese Schönheit der Wendungen lag nur im Auge des Betrachters, auf der Zunge des Redners. Freiheiten, die man sich herausnimmt, das klingt nach verzeihlichen Impertinenzen eines sonst begnadeten Autors.

Sooft, wie hier im Kloster die Namen der säkularen Kirchenväter Thomas Mann, Musil, Proust, Kafka, Brecht bemüht werden, um Ernst Jünger damit in einer temporären Vorstellung von Modernität festzukeilen, sowenig ist von seinen wichtigeren Lehrmeistern, Anregern und Bestätigern Oswald Spengler, Hugo Fischer, Carl Schmitt oder Bruder Friedrich Georg zu vernehmen. Der sonst sehr informative Beitrag des Biographen Helmuth Kiesel über die Jüngersche Publizistik im Umfeld der nationalistischen Literatur um 1930 ließ sich auf Friedrich Georg Jüngers zuweilen viel radikalere Verlautbarungen jener Jahre nicht weiter ein, zu schweigen von den Beweggründen dafür.

Luca Crescenzi aus Pisa wandelte auf den abenteuerlichen Pfaden der „Afrikanischen Spiele“ ohne damit tiefere Einsichten zu provozieren. Franz Schwarzbauer aus Ravensburg berührte ein Forschungsdesiderat, nämlich die lang anhaltende formale Krise, die von „Auf den Marmorklippen“ bis zu „Die Zwille“ reicht und ihren bedenklichsten Ausdruck in „Heliopolis“ erreichte. Er beschränkte sich dabei nur auf jenes Buch und hatte schon damit einen schweren Stand bei den Zuhörern.

Am Samstagabend gab es ein Konzert mit zwei blutjungen Schlagwerkerinnen, den Schwestern Jessica und Vanessa Porter, Siegerinnen des Bundeswettbewerbs „Jugend musiziert“. Den Trommelgewittern von Maurizio Kagel und der uhrwerkartig minimierten Musik Steve Reichs hätte der Verfasser von „Der Arbeiter“ bestimmt etwas abgewinnen können. Aber Bachs Musik transformiert in das Geglucker von Marimba- und Vibraphon, das war ein wahrhaft seltsamer Genuß.

Heike Gfrereis aus Marbach kategorisierte am Palmsonntag die mit einem Naturkaleidoskop von Zeichen, Zeichnungen und Blütenblättern überblendeten Manuskriptblätter. Mehr als nötig ließ sich die Leiterin der Museumsabteilung im Deutschen Literaturarchiv dabei von den schalkhaften Vexierungen des Autors zu mutwilligen Folgerungen verleiten. Die Frage aus dem Auditorium, ob die angereicherten Text-Assemblagen die verbindliche Quelle des Werkes seien und daraus abgeleitet Jünger eigentlich nur durch Faksimiles der Kritzeleien voller Ginkgoblätter und Schmetterlingssticker authentisch erschlossen werden kann, bejahte sie vorbehaltlos.

Dabei wird völlig verkannt, daß was in den Marbacher Kalligraphien über und neben den Zeilen ins Bild tritt, beim Lesen des Buches im Leser zwischen den Zeilen laut wird. Erst wenn er dann aus dem Buch aufschaut und die Welt um sich herum erblickt, sieht er die „Mannichfaltige Einheit“ (Goethe) der Dinge. Das genau ist es, was Gottfried Boehm meinte, als er sagte: „Wer Ernst Jünger liest, lernt sehen.“ Das andere ist gutes Kunstgewerbe, wie auch die diesjährige Symposions-Kunstausstellung mit Malereien von Martin Strohmayer nicht viel mehr als solches darstellte.

Georg Knapp, der wie immer eloquent und diplomatisch den Verlauf des Symposions steuerte und moderierte, bot zum Abschluß seine Erinnerungen an den berühmten Wilflinger. Hoffnungen, die sich mit dem Vortrag von Dietmar Koch, „Anarch, Waldgänger und Désinvolture“, vielleicht verbinden ließen, mußten wegen Zeitknappheit auf das nächste Jahr vertagt werden.

Auf den schwankenden Dielen der Wilflinger Oberförsterei ist der offiziellen Erhebung zum Literaturmuseum mit geschätzten tausend Besuchern im Jahr der Besucheransturm ausgeblieben. Dafür findet sich gelegentlich eine kleine Schülergruppe des nahegelegenen Riedlinger Gymnasiums mit ihrem Deutschlehrer im Jünger-Haus ein und ergibt sich anhand der Sammlungsstücke und Kurztexte des „Abenteuerlichen Herzens“ der stereoskopischen Wahrnehmung.

Es gibt also keine zerstörerische Drängelei im fragilen Gehäuse des Käfersammlers, Lesers und Autoren. Großer Erfolg bei großer Qualität beruht heute zwangsläufig auf Mißverständnissen, und die sind hier ausgeblieben. Es scheint also so, als hätte Jünger sich auch posthum zu schützen gewußt. In „Autor und Autorschaft“ schreibt er von (derzeitigen) Umständen, unter denen sogar Nachruhm nicht wünschenswert ist.

Alle Redebeiträge waren mäßig interessant und kaum beunruhigend. Aber wer Netze auswirft, kann schließlich nur die Arten einholen, welche gerade im Gewässer leben. So ist es eben mit den Referenten, deren Beiträge immer geradeso um das Schwarze herum trafen. Die Diskussionen lenkten dann die zaghaften Thesen meist noch weiter in Richtung des friedlichen blauen Himmels. Die Erregung geschieht dafür im einzelnen Leser.

Aber wichtiger als die Unabweisbarkeit der Redebeiträge waren wie immer die persönlichen Gespräche der durch Jünger-Lektüre und immer seltener noch direkte persönliche Berührung geprägten Teilnehmer. Die Geradheit und aufrichtige Gastlichkeit der Menschen dieses Landstrichs, die schon Jünger zum Bleiben bewogen hat, bestimmen den Geist der Treffen. Was im großen gilt, erweist sich auch im kleinen als wahr. Davon konnte sich überzeugen, wer beim Besuch des Jünger-Hauses noch den Garten betrat und im kleinen nierenförmigen Teich der zahlreichen Nachkommen jener Bergmolche ansichtig wurde, die sich Jünger seinerzeit von Georg Knapp erbeten hatte.

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