© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/12 13. April 2012

Alles andere als liberal
Eine amerikanische Biographie stellt Dietrich Bonhoeffer vom politischen Kopf wieder auf die theologischen Füße
Christian Vollradt

Daß dieses Buch gleich heftigen Widerspruch aus den Reihen des offiziellen deutschen Protestantismus ernten wird, war nicht anders zu erwarten. In seiner nun übersetzten Biographie Dietrich Bonhoeffers (1906–1945) habe Eric Metaxas den berühmten Theologen und Widerstandskämpfer zum Evangelikalen umgewidmet, so der Vorwurf. Jedes liberale Element solle aus Bonhoeffer ausgeschieden werden, kritisierte etwa quasi ex cathedra die Mainzer Theologieprofessorin Christiane Tietz, die dem Rat der EKD angehört. Bellen da vielleicht die sprichwörtlichen „getroffenen Hunde“?

Zumindest ist Autor Metaxas – Amerikaner mit griechisch-deutschen Wurzeln – davon überzeugt, daß das im akademischen Mainstream gelehrte und auch in populärwissenschaftlichen Darstellungen hierzulande verbreitete Bonhoeffer-Bild falsch ist: Viele Gelehrte hätten ihn „gekapert“ und aus Bonhoeffer „fälschlicherweise einen weltlichen Humanisten und theologischen Linken gemacht“, so Metaxas. „Bei meinen Recherchen war ich geschockt, als ich herausfand: Das Gegenteil ist der Fall.“ Und dieses Gegenteil stellt der für die New York Times und CNN tätige Journalist auf über 700 Seiten (inklusive Anmerkungsapparat) seinen Lesern flüssig und packend vor. Bonhoeffer war, so Metaxas, ein tiefgläubiger, frommer Christ, ja ein Orthodoxer – und eben kein Liberaler. Dies wiederum wird nun keinesfalls einfach so behauptet, sondern mit einer beachtlichen Anzahl von Zitaten Bonhoeffers aus seinen Schriften und Briefen belegt. Zum Beispiel mit dieser Passage aus dem Jahr 1936: „Ich glaube, daß die Bibel allein die Antwort auf alle unsere Fragen ist. (...) Die Bibel kann man nicht einfach lesen wie andere Bücher. Man muß bereit sein, sie wirklich zu fragen. Nur so erschließt sie sich. (...) Das liegt daran, daß in der Bibel Gott zu uns redet.“ So schrieb Bonhoeffer an seinen Schwager Rüdiger Schleicher, indem er dessen eher kulturprotestantischer Auffassung widersprach. Dabei muß jedoch klargestellt werden, daß Metaxas weder eine dogmatische noch eine kirchengeschichtliche Arbeit vorgelegt hat, sondern eben eine Biographie. Wer also neue Forschungsergebnisse erwartet, wird enttäuscht; aber diesen Anspruch erhebt der Autor nicht, der das Vorhandene nur – in Teilen – anders, und zwar durchaus schlüssig interpretiert. Bonhoeffer war eine Ausnahmeerscheinung. Er hatte als eines von acht Kindern des Psychiaters Karl Bonhoeffer von Kindheit an das intellektuelle Milieu der Akademikervillen in Berlin-Dahlem verinnerlicht. Seinem theologischen Lehrer Adolf von Harnack war er deswegen durchaus verbunden, teilte aber dessen liberale Theologie mit ihrer Betonung der historisch-kritischen Methode mitnichten, sondern wandte sich dem Anti-Liberalen Karl Barth zu. Mit Mitte Zwanzig war Bohnhoeffer bereits habilitiert.

Metaxas schildert besonders ausführlich die prägenden Erlebnisse des jungen Theologieprofessors während seines Aufenthalts in Amerika. „Eine Theologie gibt es hier nicht“, so stellte Bonhoeffer fest, wobei Metaxas konzediert, die deutschen Theologen seien damals „die besten der Welt“ gewesen. Bonhoeffer kritisiert an seinen amerikanischen Kommilitonen die Fixierung auf das rein Soziale und bemängelt: „Man berauscht sich an liberalen und humanistischen Redensarten, belächelt die Fundamentalisten und ist ihnen im Grund nicht einmal gewachsen.“ Erinnert dies nicht ganz an die aktuelle deutsche evangelische Kirche? Erklärt dies vielleicht die Gereiztheit, mit der Linksprotestanten auf Metaxas Werk reagiert haben?

Bonhoeffer jedenfalls zeigte sich beeindruckt erst von der lebendigen Frömmigkeit, die er in den „Negerkirchen“ erlebt. Und ist nachdrücklich schockiert. In einem Brief schreibt der junge Theologe, er habe in Amerika den Eindruck gehabt, daß die „Negerfrage“ eigentlich „die Frage ist“. Gemessen am Rassismus in den USA sei die „Judenfrage“ in Deutschland „ein Witz“, gebe es zur Diskriminierung der Schwarzen in den USA kein deutsches „Analogon“, so Bonhoeffer noch im Jahre 1931.

Einen weiteren Schwerpunkt nimmt Bonhoeffers Tätigkeit als Leiter des Predigerseminars der Bekennenden Kirche und deren Kampf gegen die „Gleichschaltung“ sowie die Infiltration der evangelischen Landeskirchen mit der nationalsozialistischen Ideologie ein. Auch hier betont Metaxas die christliche Orthodoxie und Frömmigkeit, die in die Opposition führt.

„Billige Gnade“, ein Schlüsselbegriff Bonhoeffers, das hieß eine Gnade aus Prinzip; ihr stellte er die teure Gnade entgegen, der die Bereitschaft zur persönlichen Umkehr vorausgeht. Metaxas geht in seiner Analyse von Bonhoeffers Kirchenkritik sogar so weit, daß er Berührungspunkte ausgerechnet zu den nationalsozialistischen Deutschen Christen ausmacht: nämlich dort, wo beide die Abgehobenheit der Amtskirche bemängelten sowie die Fixierung ihrer Theologen auf das Gelehrtendasein.

Geradezu erfrischend ist dieses Buch besonders an Stellen, wo ein deutscher Autor wahrscheinlich nur mit allerlei Verrenkungen das Lektorat hätte passieren können. So etwa, wenn beschrieben wird, wie der NS-Gegner Bonhoeffer sich ab 1940 als „Vertrauensmann“ der militärischen Abwehr unter Admiral Canaris dem immer wieder drohenden Zugriff der Geheimen Staatspolizei entziehen konnte. Da heißt es dann ganz nonchalant zur Erläuterung: „Es bestand damals eine große Rivalität zwischen Abwehr und Gestapo, die verschiedene Aufgabenbereiche hatten, ähnlich wie heute CIA und FBI in den USA.“ 

Man mag Metaxas durchaus vorhalten können, daß er manches – etwa die Fraktionen im Kirchenkampf der dreißiger Jahre oder die militärische Widerstandsbewegung gegen Hitler – mit zuwenig Tiefenschärfe referiert. Zu bedenken ist jedoch, daß sein Buch in erster Linie für den amerikanischen Markt geschrieben wurde, wo es über Monate auf der Bestsellerliste der New York Times vertreten war.

Eric Metaxas: Bonhoeffer –       Pastor, Agent, Märtyrer und Prophet. SCM Hänssler Verlag, Holzgerlingen 2012, gebunden, 768 Seiten,       29,95 Euro

Foto: Bonhoeffer (3. Reihe links) als Leiter des Predigerseminars der Bekennenden Kirche (1936/37), Gedenktafel im KZ Flossenbürg: Gegen billige Gnade

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