© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/12 13. April 2012

Faszinierender Untergang
Linda Maria Koldau über den Mythos „Titanic“
Matthias Bäkermann

Daß den Grabstein von J. Dawson im kanadischen Halifax auch hundert Jahre nach seinem Tod ständig frische Blumen schmücken, hat dieser letztlich dem Schmachtstreifen von James Cameron zu verdanken. So pilgern ständig weibliche Teenager – im Kopf und im Herzen den von Leonardo di Caprio gespielten fiktiven „Titanic“-Helden Jack Dawson – zur letzten Ruhestätte des einfachen Kohlentrimmers mit dem Vornamen Joseph, der am 15. April 1912 mit seinem Schiff unterging und dessen Tage darauf im eiskalten Atlantik geborgene Leiche man hier begrub.

Wohl kein Schiffsunglück dürfte den Bekanntheitsgrad haben, wie jener des Passagierdampfers „RMS Titanic“, die nach der Kolli-sion mit einem Eisberg im Nordatlantik sank und über 1.500 Opfer forderte. Dabei war nicht unbedingt absehbar, warum ausgerechnet aus dieser Havarie Stoff unzähliger literarischer und cineastischer Mythen werden sollte.

Darauf weist auch die im dänischen Aarhus lehrende Kulturhistorikerin Linda Maria Koldau in ihrem ebenso unterhaltsamen wie materialreichen und gut gegliederten Buch hin. Natürlich war der Anlaß einer Jungfernfahrt etwas Besonderes – der Erwerb des „Blauen Bandes“ war übrigens gar nicht beabsichtigt –, im Fokus der Aufmerksamkeit stand seinerzeit aber jene des ebenso luxuriösen Schwesterschiffs „Olympic“, die als Flaggschiff ihrer Reederei White Star Line mit viel Tamtam bereits 1911 über den Atlantik rauschte.

Fast kriminalistisch spürt Koldau der Frage nach, warum die „Titanic“ auf der bereits 1912 vielbefahrenen Atlantikroute erst so spät Hilfe bekam. War es die mangelnde Kommunikation zwischen den Bordfunkern, die damals auf der Lohnliste der Marconi-Telegraphie-Gesellschaft und nicht der Reederei unterstanden, und Kapitän Smith. Oder sollte der Stolz gegenüber Schiffen anderer Reedereien bzw. sogar anderer Nationen die Rettung der Passagiere behindern? Immerhin wurde die früh angebotene Hilfe des deutschen Auswandererschiffs „Frankfurt“ schnöde über den Äther zurückgewiesen.

Wer Koldau in ihrem empfehlenswerten Buch folgt, dem wird klar werden, daß die „Titanic“-Katastrophe wohl noch lange ihren Nimbus behaupten wird – inklusive aller Mythen und Legenden.

Linda Maria Koldau: Titanic, Das Schiff, der Untergang, die Legenden. Verlag C.H.Beck, München 2012, gebunden, 303 Seiten, Abbildungen, 19,95 Euro

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