© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/12 13. April 2012

„Gott schreibt keine Bücher“
Der Theologe Andreas Goetze untersucht die religionsgeschichtlichen Ursprünge des Islam
Karl-Heinz Kuhlmann

Die Entstehungsgeschichte des Islams ist außerhalb seiner selbst seit jeher nicht unumstritten. Schon Johannes von Damaskus (geboren vor 754) widmete dieser Religion ein Kapitel  in seiner „Geschichte der Häresien“ und bezeichnete sie als christliche Irrlehre. Martin Luther nannte den Koran „ein Flickwerk aus dem Glauben der Juden, Christen und Heiden“. Dennoch wurde in der folgenden Zeit die Wahrheit über die unbesiegbaren arabischen Armeen, die von Mekka aus nicht nur die Arabische Halbinsel, sondern auch den ganzen Mittleren Osten eroberten, nie angezweifelt.

Überspringt man die Anfänge der kritischen Islam-Forschung der Neuzeit im einzelnen, so hat sich mit diesen Forschern bis heute mehr oder weniger die These festgesetzt, daß der Koran im großen und ganzen von Mohammed selbst stammt und die arabische Tradition grundsätzlich wahr und glaubwürdig sei. Auch ein bedeutender Forscher wie Tilman Nagel, der 2008 das wohl bisher umfassendste Werk vorgelegt hat (Mohammed. Leben und Legende) folgt  dieser Sicht, selbst wenn er den Mohammed des Glaubens zwar für historisch hält, ihn jedoch in seiner muslimischen Stilisierung zu einem Übermenschen als ein Konstrukt sieht (JF 28/08).

Einen ersten Versuch in neuester Zeit, die orthodoxe islamische Sicht auf den Koran zu erschüttern, legte 1974 Günter Lüling mit seinem Buch „Über den Ur-Qur’an“ vor. Darin stellte er heraus, daß Teile des Korans auf seiner ersten Entwicklungsstufe ein Buch mit Hymnen aus der christlichen Gemeinde von Mekka gewesen sein könnten.

Der pseudonyme Autor Christoph Luxenberg machte 2001 darauf aufmerksam, daß viele als schwer verständlich geltende, dunkle Stellen im Koran einen Sinn bekämen, wenn man sie aramäisch statt arabisch lese. Aber nicht nur auf sprachlichem, sondern auch auf historischem Gebiet wurde weiter geforscht und die frühe Islamgeschichte kritisch beleuchtet. In Deutschland führt die Forschungsgruppe „Inarah“ der Universität Saarbrücken (Ohlig, Puin oder Popp) diese kritischen Ansätze über die Anfänge des Islam weiter.

Jedoch nicht nur das: Selbst der unter großer öffentlicher Beachtung auf den Lehrstuhl für islamische Religionspädagogik an die Universität Münster berufene Konvertit und muslimische Theologe Muhammed Kalisch konnte sich bei seinen Forschungen dieser kritischen Sicht nicht entziehen und kam zu dem Ergebnis, daß die beiden ersten Jahrhunderte des Islam entweder gefälscht oder erfunden seien und daß Mohammed wahrscheinlich gar nicht gelebt habe. Über den Koran sagte er: „Gott schreibt keine Bücher.“ Auf Druck einiger muslimischer Verbände wurde er daraufhin von seinem Lehrstuhl 2008 abberufen und einer anderen Fachrichtung zugewiesen.

Das Buch von Andreas Goetze folgt  diesem kritischen Forschungstrend mit Akribie und genauer Kenntnis der Quellen, der sowohl die orthodoxe islamische, als auch die etablierte westliche Orientalistik in ihrer Sicht auf die Anfangsgeschichte des Islam und seinen Propheten zurückweist.

Es ist aber nun nicht die Absicht Goetzes, die Konfrontation mit dem Islam aufgrund seiner Forschungsergebnisse zu verstärken. Er sieht vielmehr in der Tatsache, daß Christentum und Islam große Berührungsflächen in ihren ursprünglichen Traditionen haben, die Chance zu einem ehrlichen Dialog, weil der Islam aus der frühen innerchristlichen christologischen Diskussion heraus entstanden sei („christliche Irrlehre“): Ist Jesus Sohn Gottes und damit die zweite Person in der Trinität (Konzil von Nicaea 325 bzw. Chalcedon 451) oder doch „nur“ ein Mensch mit einer besonderen Beziehung zu Gott, wie ihn der Koran sieht?

Denn es ist diese „Beigesellung“ Jesu, die der Islam dem Christentum vorwirft und zur „schlimmsten Sünde der Ungläubigen“ zählt. Hier kommt die „Alte Kirche des Ostens“(„Nestorianer“) ins Spiel, die sich getrennt von der westlichen Reichskirche im persischen Raum entwickelt hatte und in der Christologie – jedenfalls anfänglich – eigene Wege ging. Sie hatte in Aphrahat (um 345 n. Chr.) einen Theologen, dessen Argumentation sich wesentlich auf das Alte Testament und den Namen Gottes gründete, der den Gerechten unter den Juden gegeben wurde. Hier ist Jesus „Sohn Gottes“ zwar in einer ganz besonderen Weise, nur eben nicht „Gott“. Und so bleibt „Religion fällt nicht vom Himmel“ ein liberaler, christlich-kritischer Versuch, eine Brücke zum Islam zu schlagen, der wohl fehlschlagen wird. Man muß abwarten, wie die gerade im Entstehen begriffenen islamischen Institute an den deutschen Universitäten hier reagieren werden – die ihnen beigeordneten „konfessorischen Räte“ der muslimischen Verbände lassen nichts Gutes ahnen – und ob ein wirklicher „Dialog“ auf historisch-kritischer Grundlage in Gang gesetzt werden kann.

 

Prof. Dr. Karl-Heinz Kuhlmann lehrte an der Evangelischen Theologischen Fakultät der Universität Leuven/Belgien.

Andreas Goetze: Religion fällt nicht vom Himmel. Die ersten Jahrhunderte des Islams.Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2012, gebunden, 491 Seiten, 59,90 Euro

Foto: Mezquita-Kathedrale im spanischen Córdoba mit arabischen Ornamenten aus der Zeit als Hauptmoschee des gleichnamigen Kalifats: Die Deutungen, daß Christentum und Islam große Berührungsflächen in ihren ursprünglichen Traditionen haben, könnten eine Konfrontation zwischen den Religionen hervorrufen

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