© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Personaldebatten statt Visionen
Linkspartei: Nach dem Rücktritt von Gesine Lötzsch leistet sich die Partei eine lähmende Diskussion um die Nachfolge
Paul Leonhard

Es ist wie immer. Statt sich kurz vor zwei wichtigen Landtagswahlen als die wahre soziale Partei zu profilieren, widmet sich die Linkspartei wieder ihrer Lieblingsbeschäftigung: der Personaldebatte. Auslöser ist der Rücktritt von Parteichefin Gesine Lötzsch. „Aufgrund der Erkrankung meines Mannes habe ich mich nach reiflicher Überlegung entschieden, das Amt der Vorsitzendern der Partei Die Linke niederzulegen“, teilte die 50jährige in der vergangenen Woche mit. Sie werde sich künftig um ihren Mann kümmern und auf ihr Bundestagsmandat konzentrieren. Damit hält sich die Berufspolitikerin eine Tür offen, jederzeit wieder in der Partei mitmischen zu können.

Lötzsch, die ursprünglich auf dem Parteitag in Göttingen Anfang Juni noch einmal für denVorsitz kandidieren wollte, ist es in ihrer knapp zweijährigen Amtszeit nicht gelungen, mit dem Kovorsitzenden Klaus Ernst die Linken in der Parteienlandschaft solide zu positionieren. Die Umfragewerte sind ebenso wie die Mitgliederzahlen gesunken. Die Linken schafften es in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz nicht in die Landtage. Im Saarland büßten sie ein Viertel ihrer Wählerstimmen ein. Mit der Piratenpartei ist eine neue Konkurrenz aufgetaucht, die ebenfalls um linke Stimmen buhlt.

Von der Amtszeit Lötzsch/Ernst bleiben vor allem die Querelen um Personal und persönliche Lebensumstände im Gedächtnis. Da war der Streit über das Einkommen von Ernst und dessen Porsche. Die Nähe zu ehemaligen Stasi-Mitarbeitern brachte Lötzsch den Vorwurf ein, sich als „Heilige Johanna der Alt-Tschekisten“ zu inszenieren. In der Partei war sie umstritten. Den einen galt sie als mutig, programmatisch, kompetent und nach vorn weisend, als eine Frau mit Standvermögen, andere bezeichneten das als Beratungsresistenz. Kurz nach dem Rücktritt listete die Süddeutsche Zeitung auf einer Fotostrecke im Internet genüßlich die Fehltritte auf. Da waren der Geburtstagsgruß an Kubas Diktator Fidel Castro, ihre Wertung des Mauerbaus als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges, die Unstimmigkeiten bei der Aufstellung von Beate Klarsfeld als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten. Immer wieder mußte Lötzsch, auch gegenüber den Genossen, ihre eigenen Worte erklären, sie geraderücken oder sich gar von ihnen distanzieren. Am verheerendsten für die Wahrnehmung der Partei war aber Lötzschs Beitrag für die Junge Welt, in dem sie schrieb: „Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung.“ Über eine „skandalöse Kommunismus-Sehnsucht“ empörte sich daraufhin die Welt. Zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR rufe die Linkspartei wieder offen den Kommunismus als politisches Ziel aus.

Nun könnte es noch schlimmer kommen. Den Linken droht die Vize-Vorsitzende Sahra Wagenknecht als eine Hälfte des künftigen Führungsduos. Zu der von ihr vertretenen Kommunistischen Plattform war die bisherige Vorsitzende immer auf Distanz geblieben. Hinter Wagenknecht aber stehen die westdeutschen Linksradikalen und die noch immer hervoragend organisierten DDR-Stalinisten und Ex-Stasi-Mitarbeiter. „Wer ihr lauscht, versteht: Nur mit einer absoluten Mehrheit für ihre Partei wird Frau Wagenknecht jemals das tun können, was sie für das einzig Richtige hält“, erinnert die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Wagenknecht sei noch nie in einer Position gewesen, in der sie realpolitische Kompromißbereitschaft hätte zeigen müssen.

Vizefraktionschef Dietmar Bartsch, der von Lafontaine entmachtete frühere Bundesgeschäftsführer, wäre der andere Teil des künftigen Führungsduos. Er gilt als Vertreter des für eine pragmatische Politik stehenden Reformerflügels und hatte frühzeitig sein Interesse bekannt. Bartsch und Wagenknecht an der Parteispitze können sich vor allem die Landesverbände in den östlichen Bundesländern gut vorstellen. „Wir brauchen ein sozialistisches Programm und eine Vision von Frieden und sozialer Gerechtigkeit“, sagte der Linksfraktionschef in Thüringen, Bodo Ramelow. Und sollten dann noch Lafontaine und Fraktionschef Gregor Gysi bei der Bundestagswahl 2013 zusammen als Spitzenkandidaten antreten, so Ramelow, dann wäre das „der Idealfall“.

Aber vielleicht tritt Oskar Lafontaine auch noch einmal für den Parteivorsitz an. Auf den früheren Parteichef, der im Herbst 2009 krankheitsbedingt zurückgetreten war, hofft auch Fraktionsvize Ulrich Maurer: „Wer ihn kennt, der weiß, daß er sonst längst nein gesagt hätte.“ Eine Entscheidung dürfte erst nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen  im Mai fallen. Für Lafontaines Lebenspartnerin Wagenknecht wäre in der Parteiführung dann allerdings wohl kein Platz.

Foto: Oskar Lafontaine und Gesine Lötzsch im vergangenen Jahr:  „Frieden und soziale Gerechtigkeit“

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