© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Unabsehbare Risiken
Euro-Krise: Der Rettungsfonds EFSF diktiert den Bundeshaushalt / Parlament wird übertölpelt
Wolfgang Philipp

In fünf Wochen soll der Bundestag über den dauerhaften Euro-Rettungsfonds ESM abstimmen, damit dieser bereits im Juli starten kann. Eine überwältigende Mehrheit dafür scheint sicher, wie Aussagen aus dem Regierungs- und Oppositionslager belegen. „Mit dem ESM und dem gleichzeitig verabschiedeten Fiskalpakt werden nun entscheidende Schritte unternommen, auch die Fiskalpolitik im Euro-Raum enger zu verzahnen“, erklärte etwa Unionsfraktionsvize Michael Meister kürzlich gegenüber der Welt.

Auch für die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Kerstin Andreae, ist der ESM wichtig, „um die Euro-Zone langfristig zu stabilisieren“. Nur die Linksfraktion will (neben einigen wenigen Bundestagsabgeordneten der anderen Fraktionen) das „gigantische Banken- und Gläubigerrettungsprogramm, für das der deutsche Steuerzahler mit immer höheren Beträgen im dreistelligen Milliardenbereich unfreiwillig in Haftung genommen wird“ (so Vizefraktionschefin Sahra Wagenknecht), geschlossen ablehnen.

Der bisherige Euro-Rettungsfonds EFSF (European Financial Stability Facility) soll – anders als ursprünglich geplant – parallel dazu weiterarbeiten, um den absehbar steigenden Finanzbedarf (etwa für Spanien) abdecken zu können. Dabei ist die Konstruktion schon jetzt in finanzieller Bedrängnis. Eigentlich sollte die EFSF bis zu 440 Milliarden Euro „Stabilitätskredite“ an notleidende Staaten der Euro-Gruppe vergeben. Doch dieses Geld muß sie am Kapitalmarkt aufnehmen, sich selbst also in dieser Höhe verschulden.

Da sie als luxemburgische Aktiengesellschaft mit einem Kapital von nur 28 Millionen Euro nicht kreditwürdig ist, mußten sich die Euro-Mitgliedstaaten (soweit sie nicht selbst Hilfeempfänger sind) verbürgen, und zwar jeweils in Höhe der Quote, mit welcher sie an der Gesellschaft beteiligt sind. Die Bundesregierung ist bei Vorlage des deutschen Begleitgesetzes davon ausgegangen, daß diese Bürgschaften für den Bundeshaushalt kein Risiko darstellten, da sie kaum in Anspruch genommen werden dürften.

Diese zweckoptimistische Einschätzung muß im Hinblick auf die jetzt sichtbar werdende Finanzpolitik der EFSF gründlich revidiert werden: Griechenland wird „Stabilitätsdarlehen“ der EFSF, wenn überhaupt, erst nach langer Zeit zurückzahlen können. Es ist deshalb geboten, diese Darlehen mit einer Laufzeit von mindestens 20 oder möglicherweise auch 30 Jahren auszustatten.

Wenn es der EFSF gelingt, ihrerseits die Refinanzierung mit gleichen Laufzeiten unterzubringen (was der altbewährten „Goldenen Bankregel“ entspräche), würde erst nach 20 oder mehr Jahren sichtbar, ob Griechenland die Darlehen bei Fälligkeit zurückzahlt und dadurch die EFSF in den Stand setzt, ihrerseits die Refinanzierungsdarlehen zu tilgen. In diesem Falle wäre kaum zu befürchten, daß Deutschland schon vorher als Bürge von den Gläubigern der EFSF in Anspruch genommen wird – es sei denn Griechenland wird vollends insolvent.

Die bisherigen Erfahrungen zeigen aber, daß es der EFSF nicht gelingt, eine solche „fristenkongruente“ Refinanzierung am Kapitalmarkt unterzubringen. Mitte März ist ihr Versuch, eine dreißigjährige Anleihe aufzulegen, gescheitert. Der Markt akzeptierte bei einem Volumen von 1,5 Milliarden Euro nur eine Laufzeit von 20 Jahren, verzinslich mit knapp vier Prozent. Weitere von ihr aufgenommene Kapitalmarktdarlehen haben Laufzeiten von drei, fünf oder zehn Jahren, was nicht ausreichen dürfte. Eine Überraschung besteht darin, daß die EFSF im Hinblick auf ihre Schwierigkeiten am Kapitalmarkt dazu überging, auch den Geldmarkt anzusprechen. Sie hat schon kurzfristige Darlehen aufgenommen, die zum Teil nur sechs Monate laufen. In Höhe von rund 30 Milliarden Euro hat sie nach einem oder zwei Jahren Laufzeit fällig werdende Schuldverschreibungen an Gläubiger Griechenlands ausgegeben. Damit sollten deren Forderungen in Höhe von 46,5 Prozent, auf die sie gegenüber Griechenland nicht verzichtet hatten, teilweise abgedeckt werden.

Dementsprechend muß die EFSF bereits in ein oder zwei Jahren solche Beträge an die Gläubiger in bar auszahlen, ohne absehen zu können, woher dieses Geld dann kommen soll. Die „Deckung“ kann nur in einer Regreßforderung gegen Griechenland bestehen, die aber nicht kurzfristig getilgt werden kann. Die EFSF ist also darauf angewiesen, diese kurzfristigen Anleihen nach Fälligkeit durch neue Kreditaufnahmen zu „revolvieren“. Gelingt das nicht, ist sie zahlungsunfähig, der Bürgschaftsfall tritt ein. Diese Art von Geschäften war 2007/2008 der Hauptgrund der die Finanzmärkte an den Rand des Abgrunds bringenden Finanzkrise, die dann in der Lehman-Brothers-Pleite ihren symbolischen Höhepunkt erreichte. Die jüngste Weltfinanzkrise ist vor allem dadurch entstanden, daß „Zweckgesellschaften“, die von großen Banken „gehalten“ wurden, langfristige Wertpapiere insbesondere in Amerika kauften und diese kurzfristig refinanzierten – bis der Markt hierzu nicht mehr bereit war und die Krise ausbrach.

Die EFSF ist selbst nicht kreditwürdig, ihr Rating wird sich mit einiger Wahrscheinlichkeit mit dem Rating ihrer Mitgliedstaaten weiter verschlechtern. Auch wird der Markt allmählich begreifen, daß die Bürgschaften der Mitgliedstaaten nicht so sicher sind, wie dies dem ersten Anschein nach aussieht. Für Deutschland, das mit etwa 29 Prozent haftet, wird dann aber mit Sicherheit der Bürgschaftsfall gegeben sein.

Dieser ist nicht mehr wie nach der ursprünglichen Konzeption allenfalls am Sankt-Nimmerleins-Tag zu erwarten, sondern schon bald: Die unseriöse Finanzpolitik der EFSF kann dazu führen, daß Deutschland mit hohen Beträgen schon in diesem oder im kommenden Jahr aus Bürgschaften in Anspruch genommen wird: Es ist nicht zu sehen, daß der Bundestag über dieses Risiko unterrichtet worden ist.

Es zeigt sich jetzt, daß das Management des Bürgschaftsrisikos dem deutschen Parlament entgleitet, wenn die EFSF (ohne den Bundestag vorher zu hören) ihre Refinanzierung in dieser Weise vornimmt. Mit dieser Methode kann die EFSF die Verpflichtungen Deutschlands und damit den Bundeshaushalt autonom diktieren. Das Problem wird gänzlich außer Kontrolle geraten, wenn sich Forderungen durchsetzen sollten, das mögliche Kreditvolumen der beiden Hilfsfonds EFSF und ESM auf eine Billion Euro zu erhöhen. Es ist deshalb zwingend notwendig, daß der Bundestag vor jeder Finanzierung, welche die EFSF vornimmt, Beschluß faßt.

An diesem Beispiel zeigt sich erneut, wie unausgegoren inzwischen internationale Verträge geschlossen werden – und wie die Bundesregierung den Bundestag über die wirklichen Risiken im unklaren läßt. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Rechte des Parlaments gestärkt, hat ist es verfassungsrechtlich geboten, den Bundestag in alle Entscheidungen einzubinden, die sich auf seinen Haushalt auswirken können. Eine generelle Ermächtigung der EFSF (und künftig des ESM) mit den beschriebenen Risiken kann dieser Rechtsprechung nicht gerecht werden.

Foto: Milliardenrisiken für Deutschland: Das Problem wird gänzlich außer Kontrolle geraten, wenn das mögliche Kreditvolumen von EFSF und ESM auf eine Billion Euro erhöht werden sollte

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