© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Zuviel Streß im Geschlechterkampf
Helen Heinemann analysiert den Zusammenhang von Burnout-Syndrom und Gender Mainstreaming
Ellen Kositza

Nicht unser stressiger Arbeitalltag sei schuld, wenn wir uns restlos ausgebrannt fühlen, sagt die psychotherapeutisch ausgebildeten Pädagogin Helen Heinemann. Drei Blicke auf ihr Buch, das begründen will, „warum Burnout nicht vom Job kommt“: Der erste beeindruckt, der zweite enttäuscht, der dritte wiederum bekräftigt den ersten Eindruck. Frau Heinemann hat 2005, also noch vor der Modewortwerdung der Diagnose, ein Institut für „Burnout-Prävention“ gegründet und führt ihre Seminare in Zusammenarbeit mit einer großen Krankenkasse durch.

Das Buch wird mit einer ungewöhnlichen Kernthese annonciert: Nicht ein Zuviel an Arbeit lasse Menschen in jenen tiefen Erschöpfungszustand fallen, der heute als „Burnout“ die Runde macht. Die Auflösung der Geschlechterrollen mache krank. Das klingt zunächst so hübsch gewagt – weil selten so pointiert geäußert – wie plausibel: Wo jede Biographie anhand unzählbarer Optionen erfunden werden soll, wo alles möglich ist, jede Entscheidung einzeln verhandelt und gerechtfertigt und hinterfragt sein will, da gibt es wenig Halt. Der seelische Aufwand, seine höchst individuelle und geschlechtlich nicht festgelegte Rolle zu finden und diese, angetrieben durch allerlei gesellschaftliche Souffleusen und Verstärker, möglichst makellos zu spielen, erfordert immensen seelischen Aufwand.

Leider schwingt sich das Buch in seiner ersten Hälfte etwas fahrig auf diesen Hauptpunkt ein. Viele Fallbeispiele werden geschildert, sprachlich manchmal unbeholfen. Es kommen Frauen mit tiefen Augenringen vor und Männer, die erst selbstsicher wirken, dann „stutzen“, ihren Gefühlen schließlich freien Lauf lassen, „erschüttert“ ihre Irrwege registrieren und die Tränen rollen lassen.

Wo Rollen sich auflösen,  fällt der sichere Boden weg

Von „Partnern“, ja „Teampartnern“ ist die Rede, wo es um Paare geht, vom „sich annehmen“ und „im Dialog bleiben“. Die Autorin überspitzt manche Sachlage (etwa, wenn sie schreibt, der berufstätige Mann ohne Hausmann-ambitionen erfahre heute keinerlei Anerkennung mehr) und rudert doch wie verschreckt zurück, indem sie wiederholt betont, sie lehne die alte „Monokultur der Holzschnittrollen“ vehement ab. Auf den letzten Seiten ihres Buches hat Frau Heinemann ein „Geschlechterrollenspiel“ entworfen. Es besteht aus je einem gleichlautenden Fragebogen für Männer und Frauen, auf drei Linien pro Frage (etwa: Meine drei Lieblingsspielzeuge) möge man Antworten eintragen. Solches „Denkmal nach!“-Spiel mag infantil wirken und abschrecken.

Die entscheidende Würze des Buchs liegt in den letzten vier der zehn Kapitel, hier findet die Autorin präzise zum Fokus ihrer – nun wirklich hilfreichen – Handreichung. Warum haben wohl ausgerechnet die sozial als fortschrittlich gepriesenen skandinavischen Länder eine überdurchschnittlich hohe Rate an Burnout-Fällen? Dort war man schließlich Vorreiter bei den sogenannten Vätermonaten, man hat Frauenquoten allenthalben, eine hohe Frauenerwerbsquote und flächendeckende Kinderbetreuungsangebote. Frau Heinemanns nachvollziehbares Fazit: Wo Rollen, mit einbezogen sind neben der Geschlechterthematik auch diverse andere soziale Mobilitäten, sich auflösen, fällt die sichere Basis weg. „Der schwankende Boden fordert ständige Aufmerksamkeit und ständig neues Austarieren.“

Sie selbst übrigens bekennt, sich mit ihrem Mann statt für „Monopoly“ oder „Mensch ärgere dich nicht“ für das traditionelle „Vater-Mutter-Kind-Spiel“ entschieden zu haben. Frau Heinemann hat vier Kinder und war längere Zeit „nur“ Mutter: „Das war unsere Freiheit. Das war unsere Emanzipation.“ Auch vor diesem Hintergrund liest sich ihr „Plädoyer für die Klarheit der Rolle und gegen Rollenverwischungen“ erfrischend: „Wenn ich im Wasserfarbenkasten alles durcheinandermische, erhalte ich graubraunen Einheitsbrei. Wenn ich mich eindeutig für Rot entscheide und mit dem Gelb warte, bis Rot getrocknet ist, bleiben die Farben klar.“ Sprich: Alles hat seine Zeit, alles hat seinen Sinn. Wer beides erkennen kann, brennt nicht so rasch aus. 

Helen Heinemann: Warum Burnout nicht vom Job kommt. Die wahren Ursachen der Volkskrankheit Nr. 1. Adeo Verlag, Asslar 2012, gebunden, 235 Seiten, 17,99 Euro

Foto: Reif für die Insel: Alles hat seine Zeit, alles hat seinen Sinn. Wer das erkennen kann, brennt nicht so rasch aus

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