© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Frisch gepresst

Bildungsbürger. Als Ergebnis eines von SED und sowjetischer Besatzungsmacht nach „Nürnberger Vorbild“ inszenierten Schauprozesses wurde 1948 Hans Meinshausen, der letzte NS-Bürgermeister von Görlitz, hingerichtet. Der Enkel des auf die Bebel-SPD einwirkenden neukantianischen Sozialphilosophen Friedrich Albert Lange (1828–1875), 1919 promoviert von dem jüdischen Mediävisten Ernst Bernheim in Greifswald, verlor seinen Kopf nicht wegen konkreter Straftaten, sondern wegen seiner „allgemeinen Mitschuld am NS-System“. Wie kam es dazu, daß der Bildungsbürger Meinshausen als exemplarischer „Nazi“ auf dem Schafott endete? Diese Frage gibt den roten Faden ab für Rolf Hensels Rekonstruktion einer komplexen Biographie, die vom unspektakulären Charlottenburger Lehrerdasein zur 1931 mit Dienstentlassung quitttierten NS-Parteikarriere führte, in der Meinshausen während der „Kampfzeit“ zum Goebbels-Stellvertreter als Berliner Gauleiter aufstieg und die ihm 1933 das hohe Amt des Stadtschulrats der Reichshauptstadt eintrug, das er erst 1944 mit dem Görlitzer OB-Posten vertauschte. Obwohl Hensel bemüht ist, das individuelle als Generationenschicksal des deutschen Bürgertums zu schildern und dabei differenzierte Bilder etwa vom Berliner Schulalltag liefert, dessen „Gleichschaltung“ Meinshausen nicht gelang, ersetzt er leider manchmal hermeneutische Anstrengung durch die üblichen Dämonisierungen, besonders bei der Präsentation der Publikationen Meinshausens zwischen 1933 und 1938. (hw)

Rolf Hensel: Stufen zum Schafott. Der Berliner Stadtschulrat und Oberbürgermeister von Görlitz: Hans Meinshausen. Duncker & Humblot, Berlin 2012, 383 Seiten, Abbildungen, 28 Euro

 

Historisches Kalenderblatt

22. April 1987: Als erster offizieller Vertreter dokumentiert der stellvertretende DGB-Vorsitzende Gustav Fehrenbach (CDU) auf dem Kongreß der DDR-Gewerkschaft FDGB in Ost-Berlin die Unterstützung des DGB für eine Doktrin deutscher Zweistaatlichkeit.

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