© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/12 27. April 2012

Noch hält die Koalition stand
Familienpolitik: Im Streit um das geplante Betreuungsgeld wächst der Druck von Opposition und Kritikern aus CDU und FDP
Paul Rosen

In der aufgeheizten Debatte um die Einführung eines Betreuungsgeldes für Eltern, die ihre Kinder in den ersten Lebensjahren zu Hause betreuen, kommt Vernunft nur selten zum Vorschein. Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) versuchte es: Das Betreuungsgeld sei im Koalitionsvertrag von Union und FDP vereinbart worden. Daher könne man jetzt nicht so tun, als sei damals kompletter Blödsinn beschlossen worden, so die Kanzlerin-Vertraute im Deutschlandfunk.

Aber man könnte meinen, „mit dem Geld meuchelten ein paar reaktionäre CSU-Leute den gesellschaftlichen Fortschritt, spülten die zivilisatorischen Errungenschaften den Bach runter und gefährdeten die Anschlußfähigkeit Deutschlands auf dem Weltmarkt“, faßte die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Debatte zusammen. In der Tat tobt an dieser Stelle eine der großen Auseinandersetzungen im wiedervereinigten Deutschland: Soll bei der Kindererziehung auf die Linie des DDR-Systems eingeschwenkt werden, wo der Staat in den Kitas die vorschulische Erziehung und damit auch die Kontrolle über die Kinder übernahm? Oder ist die Kindererziehung in einer freien Gesellschaft Sache der Eltern?

23 CDU-Abgeordnete haben bereits in einem gemeinsamen Schreiben an Kanzlerin Merkel erklärt, daß sie ein Betreuungsgeld nach Vorstellung der CSU, also eine Finanzleistung von 150 Euro im Monat, ablehnen würden. Da auch die FDP nicht mehr viel von Eigenverantwortung hält und sich dem Hang zum Kollektivismus angeschlossen hat, steht die Koalition faktisch ohne Mehrheit da. Da hilft es nichts, daß CSU-Chef Horst Seehofer fordert, das Betreuungsgeld müsse und werde kommen. Standhaft zeigte sich Anfang April CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe: „Das Betreuungsgeld wurde auf einem CDU-Parteitag beschlossen und seine Einführung als Barleistung vereinbart. Dazu stehen wir.“ Allerdings sagte Gröhe nicht, wie lange.

Der Druck auf die CDU, vom Betreuungsgeld abzurücken, wird größer. Nachdem Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) öffentlich Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Leistung hatte erkennen lassen, ohne dies näher zu begründen, legte die Opposition nach. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, nannte das Betreuungsgeld bildungspolitisch falsch und verfassungsrechtlich fragwürdig. Eine Klage dagegen sei möglich. In seltener Einmütigkeit warnten Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes Michael Sommer: „Die geplante Einführung eines Betreuungsgeldes ist ein Rückschritt und gefährdet wichtige Ziele der Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Familienpolitik.“

Grünen-Chefin Claudia Roth zeigte, daß sie sich auch in dieser Frage gut empören kann und legte sich mit Familienministerin Kristina Schröder (CDU) an: Die sei „nichts anderes als eine reaktionäre Kulturkämpferin“. Damit hat Roth die Katze aus dem Sack gelassen. Es geht für Rot-Grün darum, dem Staat mehr Einfluß auf die Familie zu verschaffen. Durch die scharf geführte Debatte geraten Eltern unter Rechtfertigungsdruck, wenn sie ihr Kind nicht in der Kita abgeben, sondern die Erziehung selbst übernehmen wollen.

Auf der jungen Ministerin Schröder, die sich des Rückhalts der Kanzlerin nicht unbedingt sicher sein kann, lastet ein großer Druck: „Nichts ist öder als die Politik von Frau Schröder“, reimte die Bild-Zeitung und zitierte einen ungenannten Spitzenpolitiker aus der Union: „Im Kabinett ist Frau Schröder alles andere als ein Aktivposten.“

Die aus Hessen stammende Familienministerin hat viele Gegner, aber schlug sich bisher tapfer. Es gelang ihr auch, aus dem übergroßen Schatten der Amtsvorgängerin Ursula von der Leyen herauszutreten und sich als konservativer Gegenpol zur Niedersächsin von der Leyen zu positionieren. Schröder gehörte wenigstens zeitweilig zur konservativen Gruppe um den hessischen CDU-Fraktionsvorsitzenden Christean Wagner. Das Handelsblatt unterstellte ihr aber Opportunismus: „Als sie merkte, daß diese Gruppe von Merkel kritisch beäugt und mithin nicht karrieretauglich war, zog sie sich wieder zurück.“

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